...also, willkommen zur zweiten Theoriestunde. Ich will mal ein paar Begriffe einführen, die man braucht, wenn man über Strategiespiele redet.
Das erste Begriffspaar ist greedy vs solide. Greedy ("gierig") spielen bedeutet, etwas zu riskieren, um dafür in irgendeiner Hinsicht besser dazustehen.
Ein gutes Beispiel ist Liberalismus in CIV4 BTS, wer das als erster erforscht hat, bekam eine kostenlose Technologie. Wenn es knapp ist und ich Erster bin, muss ich es erforschen sobald es geht, und dann kann ich eine Tech nehmen die dann verfügbar ist. Sagen wir mal, ich nehme Nationalismus, das ist eine gute Wahl, kostet ungefähr 3000. Wenn es aber nicht knapp ist, kann ich erst noch andere Techs erforschen, sodass etwas teureres verfügbar ist. Wenn ich sehr gut in Führung liege, kann ich vielleicht Liberalismus verzögern bis Eisenbahn verfügbar ist, das kostet ungefähr 8000, also deutlich mehr. Es kann dann aber jemand anderes schneller sein, dann kriege ich gar nichts. Ich habe also 3000 riskiert, um möglicherweise 8000 zu bekommen. Ob das eine gute Idee ist, kommt darauf an wie wahrscheinlich jemand anders schneller ist. Nationalismus nehmen wäre solide, weiterforschen bis Eisenbahn wäre greedy.
In diesem Spiel stand ich auch oft vor der Entscheidung, greedy zu spielen, und fast immer habe ich es gemacht. In Runde ~80 habe ich nur zwei Krieger und zwei Späher, sonst überhaupt nichts. Und das bei einem aggressiven Nachbarn wie Gorgo. Dafür habe ich auch vieles bekommen: Ich habe ein großes Gebiet abgesperrt wo nur ich Städte habe, ich habe in Runde ~80 schon 6 Städte und 2 fastfertige Siedler, überall werden ausgebaute Felder belegt. Meine Position ist sehr gut, aber ich hätte auch verlieren können, wenn Gorgo früh angreift.
Ich habe auch oft Techs verzögert, weil ein Heureka kurz bevorstand. Das ist auch greedy - ich könnte sofort den Vorteil haben, die Tech etwas früher zu habe, möchte aber lieber ein paar sparen.
Ob grundsätzlich eine solide oder eine greedy-Spielweise besser ist, kann man nicht sagen. Wenn man vorne liegt, sollte man unbedingt solide spielen. Wenn man abgeschlagen hinten liegt, sollte man greedy spielen. Wenn man gegen menschliche Gegner spielt, darf man nicht zu greedy spielen, wenn der Gegner die Möglichkeit hat einen dafür zu bestrafen. Im Multiplayer hätte ich mit dieser Spielweise keine Chance, weil jeder Nachbar leicht erkennen kann was ich tue, und es recht einfach wäre mich zu bestrafen.
Das andere Begriffspaar, was ich einführen möchte, ist flexibel vs träge. Irgendwie muss ich meine Ressourcen (zB in Civ6 , , , ) dazu einsetzen, meine Position zu verbessern. Flexibel spielen heißt, möglichst lange möglichst viele Optionen offen zu haben.
In Civ4 BTS konnte man zum Beispiel mit dem Forschungsregler seine Position flexibler machen. Wenn ich gerade bei 20% Forschungsregler einen ausgeglichenen Haushalt habe, und dann zehn Runden für eine Technologie brauche, kann ich auch den Forschungsregler auf Null drehen, acht Runden Geld sparen, und dann zwei Runden bei 100% Forschungsregler forschen. Das führt dazu, dass ich mich erst acht Runden später entscheiden muss, was ich forsche. Falls in diesen acht Runden etwas wichtiges passiert (sagen wir mal, jemand erklärt mir den Krieg), kann ich das Geld anders einsetzen (zB für Militärtechs, Einheiten oder Diplomatie).
In Civ6 sind einige Dinge weniger flexibel: Das Spielen mit dem Forschungsregler geht nicht mehr, es gibt keine Sklaverei (auch eine sehr flexible Mechanik in BTS), wenn man etwas mit baut, gibt es kaum Möglichkeiten den Bau zu beschleunigen. Handelsrouten kann man frühestens nach 20 Runden ändern. Die einzige richtig flexible Ressource ist , das kann man für viele verschiedene Dinge ausgeben (Felder kaufen, Einheit/Gebäude kaufen, Diplomatie, Staatsformwechsel). Dinge mit zu kaufen, ist nicht so effizient wie mit (man braucht 4x so viel, obwohl es nicht viel leichter ist, 1 zu erzeugen statt 1), das ist normal.
Ich habe in dem Spiel bisher vor allem träge gespielt, weil man da langfristig mehr rausholt. Im frühen Spiel mal einen Bautrupp gekauft, jetzt in den letzten paar Runden auch einige Felder, ansonsten alles langsam mit normaler Produktion. Bei StSt habe ich mir gelegentlich mal eine Gesandten aufgehoben statt ihn sofort einzusetzen, das war flexibel. Und ich war immer flexibel genug, um zur Not schnell ein paar Einheiten rauszuhauen, falls mir jemand den Krieg erklärt.