Habe gerade eine Partie gespielt, bei dem es einige taktische Motive gibt, die sowohl mein Gegner als auch ich übersehen haben. Ich werde im Folgenden kurz die Partie vorstellen und euch Fragen, ob ihr die gleichen Fehler gemacht hättet
Ich mit Weiß, mein Gegner mit Schwarz. Los gehts, mein Gegner spielt Philidor:
Hatte ich ewig nicht mehr auf dem Brett, ich habe davon nicht viel Ahnung, ich weiß nur, dass d4 direkt ganz gut ist. Ich spiele es also und wir landen in der Stellung:
#1: Weiß am Zug. Was ist der beste Zug?
4 Züge gespielt und ich bin aus der Theorie
Ich habe nicht den besten Zug gespielt und sämtlichen Vorteil verschenkt
Macht nichts, Leben geht weiter und wir landen in dieser Stellung:
Ich habe soeben Sg3 gespielt um das Matt zu decken. Der Zug ist aber nicht gut.
#2: Schwarz am Zug. Was ist der einzige Zug, der Schwarz einen Vorteil verschafft?
Mein Gegner findet den Zug glücklicherweise nicht und wir landen dennoch in einem für mich schlechteren Turmendspiel:
#3: Schwarz am Zug. Was ist der einzige Zug, der Schwarz einen Vorteil verschafft?
Mein Gegner findet ihn wieder nicht, und ich komme in ein relativ komfortables Turmendspiel:
2 Türme auf der 7. Reihe garantieren das Remis (das gilt übrigens sehr oft!). Er muss seinen Turm passiv stellen, sodass ich problemlos den a-Bauern einsammeln kann.
Das daraus resultierende Turmednspiel ist Remis - also normalerweise
[...]
[...]
Ich habe das Turmendspiel trotz schlechterer Bauernstruktur sauber verteidigt, es steuert dem sicheren Remishafen entgegen. Mein Gegner stellt jedoch in vollkommener geistiger Umnachtung den g-Bauern ein:
Den ich natürlich nehme. Die Stellung ist damit immernoch Remis, aber jetzt muss Schwarz aufpassen, keinen Blödsinn zu machen.
Wir erreichen nach einiger Zeit diese Stellung:
#4: Schwarz am Zug. Wie sind die 3 möglichen Königszüge zu bewerten? Gibt es einen Unterschied?
Mein Gegner macht in der Partie zum Glück Blödsinn und ich kann doch noch den Sieg nach Hause fahren :
Hier gibt er auf.
In der Partie gab es einen Haufen Fehler...
... die aber auf Grund der 103 (!) Züge dennoch nicht so ins Gewicht fallen. Mein Gegner hat meine angedeuteten Remisgebote nie genommen (mehrfacher Versuch der 3-fachen Stellungswiederholung von meiner Seite aus) und dann tatsächlich noch verloren
Die Partie war 10+5, ich hatte übrigens seit dem 26. Zug immer unter 1 Minute und war somit 75% der Partie in Zeitnot. Die Partie ging 38 Minuten, was für eine 10+5 die längste Partie ist, die ich bisher gespielt habe.
Das Inkrement rettet einen dann aber doch in solchen Partien, ich kann nur jedem empfehlen mit Inkrement zu spielen. Sonst wäre die Partie sehr schnell durch Zeitüberschreitung verloren gewesen, ich hätte nichts dabei gelernt. So habe ich stattdessen ein langes Endspiel gewonnen und gute Laune
gute Laune
Mein Niveau erkennt man vielleicht an folgender Frage: Wieso kannst du den a-Bauern problemlos einsammeln?
In meinen Augen hast du nur den schwarzen Turm indirekt gefesselt, oder willst du die doppelte 7er Reihe wieder aufgeben? Klang so, als bleibt man dort möglichst lange.
Ich rate mal:
#1. Lc4
#2. b5 und wenn er den Springer schlägt, irgendwelche Se2+ - geschichten mit Läuferabzugsschach, eventuell in Verbindung mit Txe3. Wie gesagt, das ist geraten, nicht gerechnet. Das Motiv selbst hab ich nicht durchgerechnet.
#3. Ta4 mit der Idee Tf4 deckt alles und der a-Bauer läuft
#4. Kd4 geht nicht, weil dann Te4+ kommt und der letzte schwarze Bauer fällt
Geändert von Ilja (18. April 2022 um 15:48 Uhr)
PB 89 - Sieger der Herzen https://www.civforum.de/showthread.p...-mit-Per%FCcke
Real Life Story - Mein Leben als Imker https://www.civforum.de/showthread.p...eben-der-Biene
Carlsen rocks!
Ich wäre auch für:
1. Lc4
2. Te4
3. Keine Ahnung, was Ilja sagt klingt plausibel.
4. Ke4 ist nicht gut wie von Ilija beschrieben, ich würde Ke3 bevorzugen um evt das Schach auf der zweiten Reihe zu haben.
So, dann will ich mal auflösen:
#1:
Lc4 ist OK, aber wirft die Hälfte des weißen Vorteils Weg. Der gesuchte Zug ist Dd5!
Überraschenderweise spielen nur 7,5% der Spieler auf Lichess diesen klar besten Zug (in der Meisterdatenbank aber 75%), ich bin also nicht der einzige, der keine Ahnung von Theorie hat
Keiner der 2 Kandidaten erhält einen Punkt.
#2:
Te4 ist korrekt, Punkt für Xan.
#3:
Ta4 ist Richtig, auch die Idee von Ilja ist korrekt. Ich gebe Ilja mal den vollen Punkt und Xan einen halben wegen Abschreiben
#4:
Hier seit ihr auf dem falschen Dampfer. Kd4 hält Remis (nach dem Nehmen auf f4):
Diese Stellung mit K+T+f-Bauer+h-Bauer vs. K+T ist ein elementares Endspiel und z.B. in "100 Endgames you must know" beschrieben. Sind f+h Bauer noch relativ weit hinten ist es remis (so wie hier), sind sie jedoch weiter vorne (z.b. auf der 5./6. Reihe) gewinnt es. Ihr habt offenbar eure Hausaufgaben nicht gemacht
Ebenfalls remis hält Kd3. Kd2 verliert (hat mein Gegner in der Partie gespielt ), aber nicht wegen dem blockierten Schach auf der 2. Reihe. Es liegt stattdessen daran, dass dem König dort ein Tempo fehlt. Nach z.B. dieser Abwicklung:
(schwarz am Zug)
Diese Stellung verliert mit dem König auf d2. Wäre der König auf d3 wäre es remis, weil er noch rechtzeitig den Bauern stoppen kann (sagt mir die Tablebase, so tief rechnen kann ich nicht ).
Was lernen wir aus #4?
Endspiele sind saukompliziert. Kein Wunder, dass auch so mancher GM diese wegwirft.
Ergebnis:
Xan: 1,5 Punkte
Ilja: 1 Punkt
Gratulation an Xan zum Sieg
Ja, die Verdopplung auf der 7. Reihe kann man wieder auflösen. Es hat ihn dazu gezwungen mit Ta8-Tf8 die a-Linie zu räumen. Ich kann jetzt einfach den a-Bauer von der Seite angreifen und mit den 2 Türmen einsammeln z.B. mit Verdopplung auf der a-Linie.
Dd5 hatte ich tatsächlich auch auf dem Radar und für stärker als z. B. De2 eingestuft, weil darauf einfach d5 kommen kann. Allerdings habe ich nach Dd5 Sc5 keinen konkreten Vorteil gesehen...auf Lc4 kann Schwarz einfach Le6 spielen.
Te4 hatte ich dagegen nicht auf dem Schirm - auch weil ich die Widerlegung von Dxe4 nicht direkt gesehen habe.