Im Nachhinein ist es immer schwer die genauen Abläufe zu beschreiben. Blieb Südamerika in der Anfangszeit des Krieges noch weitestgehend verschont, traf die zweite Welle nur umso härter. Die Staatschefs mussten sich für eine Seite entscheiden, doch egal wen sie wählten, die Gegenseite hatte noch genug Raketen zur vollständigen Entvölkerung ganzer Landstriche übrig. Ecuador und Peru bildeten da keine Ausnahme.
Als die Raketen den Himmel verdunkelten und die Rauchschwaden über hunderte Kilometer hinweg sichtbar waren, suchten die wenigen Überlebenden Schutz in den Steilhängen der Anden. Die ecuadorianische Sierra wurde zu einer der wenigen bewohnbaren Gebiete des Landes, die Küstenregionen brannten im Lichte des Weltenbrandes, die Amazonasgebiete versanken in Seuchen und Hungersnöten. Angesichts der Zustände waren die Überlebenden hoffnungslos und jeder Zuversicht beraubt... bis ER kam.
ER kam eines Tages allein aus den Bergwäldern gewandert, ohne Schuhwerk oder Proviant dabei, lediglich ein altes Volkslied auf den Lippen. ER wurde in der größten Flüchtlingssiedlung im ehemaligen Ambato schnell ein gefragter Mann. Sein Wissen war nahezu unerschöpflich, genauso wie sein Überlebenswille und seine Zuversicht. Jeden Abend hielt ER Ansprachen vor seinen Brüdern und Schwestern, jeden Abend wurde die Zuhörerschaft größer. ER sprach von den Wirren des Krieges, von der Verdorbenheit der Menschen, welche letztendlich zu diesem entsetzlichen Krieg geführt hatten. Doch ER verteufelte nicht, ER gab keinen einzelnen Personen die Schuld an der Entwicklung. Nein, ER appellierte an die Überlebenden, sich im Innersten ändern zu wollen. ER erklärte, dass Ausbeutung und Geldgier die Grundprobleme der Gesellschaft waren, welche angetrieben von falschen Vorstellungen nur in Gewalt enden konnten.
ER sprach es nie aus, doch irgendwann wusste es auch der letzte Zuhörer... er sprach von Kommunismus und die Menschen waren nur zu gern bereit, einer starken Führungsfigur überall hin zu folgen. Anders als in der UdSSR oder den Blockstaaten etablierten sich in der Folgezeit jedoch keine Führungseliten oder Parteigremien. ER glaubte an den wahren Kommunismus und so wurde alles weitestgehend in der Gemeinschaft entschieden. Ein jeder wurde dazu aufgerufen, das Handwerk zu verrichten, was er konnte und seine Erzeugnisse einem jeden aus der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug durfte ein jeder sich das nehmen, was er zum Leben brauchte.
Entgegen der Befürchtungen einiger schien es zu funktionieren. Die Zeiten des Krieges hatten bescheiden gemacht und Selbstsucht und Raffgier wurden vergeblich unter den Menschen gesucht. ER ging auch selbst mit besten Vorbild voran. Er half beim Wiederaufbau der Siedlungen, zeigte den Menschen gute Anbauflächen, koordinierte in der schwierigen Anfangszeit ein wenig den spärlichen Warentransport und war zu jeder Zeit ein Vorbild. Schnell verbreitete sich die Kunde seiner Ankunft in die restlichen Lagern in den Anden und schon bald herrschte ein reger Austausch und es bildete sich allmählich etwas wie eine neue ecuadorianische Gemeinschaft.
Unter seiner Führung wurde auch die ecuadorianische Costa neu besiedelt und zur Verblüffung aller war die ehemals größte Stadt des Landes, Guayaquil, gar nicht so stark zerstört wie befürchtet. Sie wurde neu besiedelt und bildete fortan das Zentrum der Überlebenden. Von hier wurden täglich Suchtrupps und Siedlertracks zusammengestellt, um auch die letzten Ecken des Landes zu durchforsten und allen Flüchtlingen die neue Lebensweise zu unterbreiten.
Der Erfolg seiner Lehren gab ihm Recht und so wurde ER der bejubelte Herrscher des wiederbesiedelten Ecuadors, obwohl ER selbst nie davon sprach und weiterhin allen Menschen helfend zur Hand ging.
Die Jahre gingen ins Land und die Menschen vollbrachten großartiges. Schon bald war das gesamte Gebiet des ehemaligen Äquators wieder besiedelt und allmählich kehrte etwas zurück, was man schon fast Alltag nennen konnte.
ER erreichte unterdessen in der Bevölkerung den Staus eines Gottes, ER wurde überall verehrt und was immer ER vorschlug, es wurde sofort in die Tat umgesetzt. Umso tragischer traf es die Menschen, als ER erkrankte. ER war zu diesem Zeitpunkt vielleicht 60-70 Jahre alt, ein geradezu biblisches Alter in der Nachkriegszeit, trotzdem stürzte es die Menschen in tiefe Verzweiflung, als ER im Sommer des Jahres 2032 nach kurzem, schweren Kampf letztendlich verstarb. Obwohl es keine Regierung im eigentlichen Sinne gab, kein Staatsoberhaupt existierte, so war das Volk ab diesem Zeitpunkt führerlos. ER war der Dreh- und Angelpunkt des erstarkenden Landes gewesen, niemand hatte sich ein Leben ohne ihn vorstellen können.
Das plötzliche Machtvakuum bot jedoch einem der engagiertesten Jünger unerwartete Handlungsspielräume. Emilio Illescas, 2010 im gerade wieder aufgebauten Guayaquil geboren, war ein bedingungsloser Verfechter der kommunistischen Idee und hatte sich trotz seines jungen Alters schnell einen gewissen Ruf erarbeitet. Viele sahen ihn ihm eine Art Ziehsohn des großen Befreiers, da er ganz nach seinem Vorbild den Menschen Hoffnung und tatkräftige Unterstützung schenkte. Er suchte bestänndig seine Nähe und setzte sein Werk fort, wann immer ER gerade woanders gebraucht wurde. So wunderte es die wenigsten, als Emilio Illescas eine Woche nach dem Todestag eine Ansprache an das gesammte ecuadorianische Volk organisierte. Er sprach von den Wirren des Krieges, welche er nur aus Erzählungen kannte, und von der bewiesenen Überlegenheit der ecuadorianischen Lebensart. Er sprach von der Hoffnung und Zuversicht, welche sie nun schöpfen sollten, und das sie ihm mit dem Fortführen seiner Arbeit ein Denkmal errichten sollten. Der aufbrandende Jubel verschlang seine weiteren Worte, im ganzen Land wurde sein Name auf den Straßen gerufen und die Menschen fielen sich weinend vor Freude in die Arme. Emilio Illescas bekam Macht, Anerkennung und grenzenlosen Zuspruch... und veränderte sich. In den folgenden 3 Jahren reformierte er die jungen Strukturen des aufstrebenden Landes und vertiefte sich in die alten Heldengeschichten Südamerikas.
Er fing damit an, ein eigenes Militär aufzubauen, abseits der bewaffneten Siedlertrupps und Grenzschützer. Eine Armee, welche nur ihm unterstellt war und die ihm blind vertraute. Er ließ neue Gebäudekomplexe in Guayaquil errichten, welche nur von ihm und seinen Vertrauten betreten werden durften und gab sich ganz seinem steigenden Größenwahn hin. Er war jedoch kein schlechter Regent, nein das Volk hatte nicht zu leiden. Es war schon vorher ohne wirkliche Führung ausgekommen und lebte weiterhin den Traum, den ER verbreitet hatte. Von Emilios Eskapaden bekamen die wenigsten etwas mit und so wurde er immernoch vom ganzen Volk geliebt und geachtet. Und so kam der 21. Juli des Jahres 2035.
Am Morgen dieses Tages öffnte Emilio Illescas zum ersten Mal die Tore seines palastartigen Komplexes und ließ die Menschen auf den zentralen Platz strömen. Am Kopfende stand ein imposantes Rednerpult, welches in einer kleinen Kanzel in guten 5m Höhe mündete. Der Platz war gesäumt von einer Doppelreihe stramm stehender Soldaten, allesamt maskiert und mit schweren Waffen ausgestattet. Als der Platz bis zum bersten gefüllt war, erhob sich die Stimme des jungen Emilio für alle hörbar über den Platz:
"Platzhalter"
"Und so meine Freunde, meine Familie, lasst uns der Welt zeigen, dass wir unseren Platz verdient haben! Lasst uns Südamerika unter einem gemeinsamen Banner vereinen und für die Zukunft Frieden und Wohlstand sähen! Der Weg wird schwer werden und er wird viele Opfer kosten. Aber seid ihr bereit, mit mir gemeinsam diese Opfer zu erbringen? Seid ihr bereit, eurer Bestimmung zu folgen? Dann folgt mir und meinen Männern, folgt der Puño de los sueños, der Faust der Träume!"
An diesem denkwürdigen Tag wurde das glorreiche Neu-Äquatoria ausgerufen, mit Emilio und seinem Trupp an der Spitze und Millionen begeisterter Anhänger, welche gewillt waren, die kommunistische Idee und das Vermächtnis ihres Retters bis in den hintersten Zipfel der Welt zu tragen.
Fortsetzung folgt.