Erst gestern noch dachte ich, alles würde immer so bleiben, wie es ist. Dass die Welt ein festes, ja ein sogar in sich unveränderbares System sei. Zwar gab es immer wieder gigantische Imperien, die die Weltgeschichte wesentlich beeinflussen sollten, doch zerfielen diese auch stets wieder nach etlichen Jahren, Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten. Das einzige, was von ihnen übrig bleibt, ist ihre Kultur und die Erinnerung an das, was einst war. Wer könnte sagen, was passiert wäre, hätten diese Reiche niemals eine solche Macht erlangt? Wäre womöglich stattdessen an anderer Stelle ein potentielles Großreich entstanden, welches durch den Lauf der tatsächlichen Geschichte jedoch niemals an die Macht gelangen sollte? Wie würden wir heute leben? Ich habe so viele Fragen, doch keiner kann sie mir beantworten, woher denn auch? Letztendlich gibt es ein Schicksal, das bestimmt, was passieren soll, wann es passieren soll und wie es passieren soll.
Diese Allmacht des Schicksals betrübt mich, sie betrübt mich nun schon seit all der Zeit, seitdem ich darüber nachdenke. Wofür lebe ich, wenn doch nichts von Dauer ist? Mehr noch, wofür leben die anderen Menschen? Wofür leben die Tiere? Es muss doch irgendwo einen Sinn für all diese massive Existenz geben!
Als diese Frage nach dem Sinn des Lebens mir soeben ein weiteres Mal den Schlaf raubte, ging ich an die frische Luft, um mich abzukühlen. Wahrlich es war kalt, zudem war es mitten in der Nacht, alle Lichter waren aus, das gesamte Dorf war still. Doch meine Gedanken flogen immer noch im Chaos umher. Ich schlenderte also um das Dorf herum, bis ich beim Roten Felsen, welcher des nachts gar nicht so rot aussah, Äste knacken hörte. Mein Herz blieb kurz stehen, wer mochte das sein? War es womöglich ein Späher dieser Räuberbanden, von denen den Kindern immer erzählt wird, um sie zum Einschlafen zu bringen? Doch wenn ja, was suchten sie hier? Wie sollten sie überhaupt hierher gelangt sein? Ja, das sind tatsächlich berechtigte Fragen, es wäre schon ein sehr großer Zufall, eine sehr große Unwahrscheinlichkeit, dass dieses Geräusch tatsächlich von einem Streiter der Horden kommen sollte. Doch komplett ausschließen konnte und wollte ich es auch nicht. Ich versuchte also, meinerseits unentdeckt zu bleiben, presste mich mit dem Rücken an den großen Felsen, bedacht daran, keinen Laut von mir zu geben.
So harrte ich dort einige Minuten aus, bis plötzlich ein helles Leuchten durch den Himmel zischte.
Was auch immer es war, ich konnte nicht wegsehen. Denn ein solch helles Licht, welches sich in einer solch hohen Geschwindigkeit bewegte, war mir noch nie in die Augen gefallen. Es dauerte nur Sekunden, bis das Leuchten wieder am Horizont verschwand, doch ganz fasziniert muss ich auch danach noch wie ein Narr in den Himmel geblickt haben. Denn plötzlich wurde ich am linken Arm gegriffen. Meine Gedanken waren wieder klar sortiert. Während ich von dem Leuchten abgelenkt war, musste sich der Feind um den Felsen geschlichen haben! Ich drehte mich direkt um, die andere Hand bereits zur Faust geballt, um mich aus dem Griff zu befreien.
Ich hörte noch das Ansetzen der Stimme, bevor meine Faust nur knapp ihr Gesicht verfehlte. Diese Frau...ich kannte sie...es war Hailey...sie lebte bei ihrer Familie auf der anderen Seite des Dorfes...sie waren erst vor wenigen Jahren weit aus dem Norden vor den Horden geflüchtet. Ich war im Schock, starrte in die Leere der Nacht, auch Haileys Blick blieb nicht an mir hängen, sondern schweifte direkt zur Seite in die Ferne.
So standen wir da, nach einiger Zeit merkte ich, wie sich ihr Griff an meinem Arm löste und auch ich bemerkte, dass auch mein anderer Arm immer noch dicht an ihrem Kopf vorbei und über ihrer Schulter hinweg, mit meiner zur Faust geballten Hand hing und zog ihn zurück.
Wir schwiegen einander weiter an...
"Dieses Leuchten...am Himmel....du hast es auch gesehen.", stotterte ich.
Nach ein paar Sekunden nickte sie leicht und sagte:
"Mein Großvater sagt, dass diese Lichter ein Zeichen der Götter sind."
"Ein Zeichen wofür?"
"Für eine Veränderung, großen Ausmaßes. Was für eine Veränderung dies ist, wissen jedoch nur die Götter selbst."
"Ich glaube nicht an die Götter."
Wieder erfüllte ein Schweigen die Luft.
Sie fuhr wieder fort:
"Es heißt, ein jeder sieht in seinem Leben ein solches Himmelslicht nur genau einmal. Vielleicht wollen die Götter uns sagen, dass es an der Zeit ist, dass wir selbst die Veränderung übernehmen. Denn auch, wenn Ihr nicht an die Götter glaubt, die Götter wachen trotzdem auch über Euch und möchten Euch womöglich eine Chance geben."
"Diese Chance habe ich auch ohne die Götter. Einen schönen Abend!" antwortete ich und ging.
Doch womöglich hatte Hailey Recht: Das Schicksal der Welt ist nicht fest, es enthält eine Variable, auf die ich direkten Einfluss habe: Mich selbst
Und selbst, wenn es ein Schicksal geben sollte, selbst, wenn es einen Gott geben sollte, so gab er mir soeben das Zeichen, aktiv zu werden. Vielleicht ist es ja an der Zeit, an die Götter und ihre Zeichen zu glauben.
Halley's Komet sollte meinem Leben fortan eine neue Richtung geben, und diese Richtung kann ich ganz allein auswählen.
Konstantin I.
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