Der Emir von Timbuktu stellt die erste berittene Militäreinheit der Songhai auf. Sie setzte sich fast ausschließlich aus den Söhnen der Aristokratie zusammen. Im Volksmund hieß dieser wilde Haufen bald nur noch „die wüsten Söhne“. Ob das der Grund war, dass der Emir sie „Wüstensöhne“ getauft hatte?
Die Truppen vor Najran hatten einen schweren Stand und die dichten Wälder südlich von Heliopolis behinderten den raschen Vorstoß nach Bagdad.
Die in Timbuktu fertiggestellte Triere war auf ein Barbarenlager gestoßen, so dass die Wüstensöhne sogleich einem Praxistest unterzogen werden konnten. In der Hafenstadt selbst hatte man mit dem Bau eines Leuchtturms begonnen.
Seit er auf der großen Baustelle arbeitete war er eigentlich immer müde. Ihm kam es so vor, als müsse er alle Arbeit alleine verrichten, da die Anderen in seiner Gruppe sich nicht wirklich Mühe gaben. Außerdem wurde er ständig damit aufgezogen, dass er der Neffe des Großen Baumeisters war und dadurch privilegiert. Und das alles nur, weil ihn Onanga ein paarmal abends bei ihm zum Essen eingeladen hatte. Die älteren Gruppenmitglieder behandelten ihn von Oben herab und behaupteten er sei zu nichts zu gebrauchen und hätte bei seinen Ziegen bleiben sollen. Und die Jungen schnitten ihn sowieso. Hätte er sich nicht so geschämt, wäre er am liebsten in Tränen ausgebrochen. Dabei hatte ja Keiner von ihnen auch nur die entfernteste Ahnung wie wichtig der Bau der Hängenden Gärten war. Er jedoch hatte es erlauscht! Onanga hatte ihn an jenem Abend schon weggeschickt, denn Ashanti war zu Besuch gekommen. Die Neugier hatte den Jungen veranlasst zu lauschen und das Gehörte raubte ihm nun Nacht für Nacht den Schlaf. So auch heute. Nachdem er mit seiner Arbeit fertig gewesen war hatte er sich todmüde hinter einen der großen Steinquader niedergelassen und war, den Rücken an den warmen Stein gelehnt, eingeschlafen. Die Kälte der Nacht hatte ihn geweckt und nicht nur diese ließ ihn nun schaudern. Sein Magen vermeldete Hunger und er rieb die steifen ausgekühlten Glieder. Ein Blick in den Himmel zeigte ihm, dass es schon beinahe Mitternacht war. Wo sollte er jetzt noch Essen auftreiben? Er erhob sich und erwärmte sich ein wenig indem er seine Arme um sich schlug und wiederholt in die Hocke ging. Dort wo er stand war es stockdunkel, doch die breiteren Wege der Baustelle wurden vom Sternenlicht erhellt, so dass er sich orientieren konnte. Er würde zum Zelt seines Onkels gehen, womöglich hatte der ja etwas Essbares übriggelassen. Vorsichtig ertastete er seinen Weg durch die Finsternis, als er einen schwachen Lichtschimmer gewahrte. Wieder einmal siegte seine unstillbare Neugier über das Hungergefühl und er ging dem schwachen, kaum wahrnehmbaren Schein nach.
Ashanti war Jäger gewesen und als solcher wusste er, dass es mehrere Arten gab ein Wild zur Strecke zu bringen. Ihm ließ es keine Ruhe, dass anscheinend niemand wirklich etwas unternahm um den Verräter im Palast Dingfest zu machen. Als aller erstes suchte er das Gespräch mit Nefer, um ihn über das Gift auszufragen. „Nun, es ist ein Kontaktgift und wurde durch die Haut verabreicht.“ „Wie soll ich das verstehen?“ „Jemand hatte eines der Kleider der Großen Gemahlin in diesem Gift getränkt und als sie es trug, hat sie sich dadurch vergiftet.“ „Ich dachte immer, Gift müsse man essen oder trinken.“ „Nein, da gibt es viele Möglichkeiten …“ „Weiß Askaiya davon?“ „Ja. Er war dabei, als ich das Gewand verbrannte.“
Nun hatte der Jäger seine Fährte aufgenommen und würde sicher nicht locker lassen, bis er sein Ziel erreicht hatte. Es war nicht schwer herauszubekommen wer für die Wäsche Thanits verantwortlich war. Es waren vier Dienerinnen, aber eine von ihnen war schon über zwei Wochen nicht mehr zum Dienst erschienen und niemand wusste warum. Bestürzt nahm Ashanti zur Kenntnis, dass er die verschwundene Dienerin kannte. Ihr Name war Kira und er hatte einmal ein Techtelmechtel mit ihr, bevor er diese kleine Gazelle aus dem Wirtshaus kennengelernt hatte. Wie hieß die doch gleich? Egal, es war nun klar was zu tun war. Ashanti begab sich zum Haus Kiras, fand dieses jedoch leer vor. Die Nachbarn berichteten ihm, dass Kira anscheinend einen neuen reichen Freund gefunden hatte. „Sie ist noch blasierter geworden, als damals, als Du noch öfters bei ihr vorbeigeschaut hast,“ grinste die zahnlose Fettel von nebenan. „Sie faselte ständig etwas von einem neuen schönen Haus, mit gediegener hölzerner Einrichtung und Teppichen und so. Keiner von uns hat das wirklich ernst genommen. Sie war eine Wäscherin, wie sollte sie schon zu Reichtum kommen?“
Es kostete Ashanti vier Tage das Haus zu finden. Da er sonst niemanden zur Hand hatte holte er sich zwei der Bibliothekswachen die gerade dienstfrei hatten. Er befahl ihnen das Haus zu bewachen, der eine von Vorne der andere von Hinten. Danach klopfte er an die Tür. Nichts rührte sich. Ashanti betrat das Haus und wartete bis sich seine Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten. Dann suchte er die Zimmer ab. Im Schlafzimmer fand er sie endlich. Kira lag in einer riesigen eingetrockneten Lache ihres eigenen Blutes und hatte schon angefangen zu stinken. Ihre Kehle war so stark geschlitzt, als hätte jemand versucht mit einem Streich ihren Kopf abzutrennen. Nefer, nach dem Ashanti geschickt hatte, meinte dass sie drei, maximal vier Tage Tod sein konnte. Das bedeutete, so überlegte Ashanti, dass jemand seine Nachforschungen beobachtet hatte und nun seine Spuren verwischen wollte. ‚Armes Ding‘, dachte er, ‚Du warst zwar ein geldgieriges Luder, aber das hattest Du nicht verdient.‘ Kira konnte ihm zwar nichts mehr verraten, aber womöglich ließ sich ja herausfinden, wem das Haus gehört hatte.
Der Junge lugte vorsichtig um die Ecke und gewahrte, dass der Lichtschein aus dem Eingang zum zentralen Gebäudekomplex der Hängenden Gärten fiel. Leise bewegte er sich auf diesen Eingang zu, als er Schritte und Stimmengemurmel wahrnahm. Geistesgegenwärtig versteckte er sich hinter einem der großen Steinquader, nicht unähnlich jenem hinter dem er vorhin geschlafen hatte, die überall auf der Baustelle zu finden waren. „Das war richtig unheimlich, da unten. Mich bringt keine ganze Kompanie mehr da runter! Ganz sicher nicht!“ Der Mann, der gesprochen hatte war groß und Kapuzenbewehrt und hielt eine kleine Fackel in der Hand. Hinter ihm erschien eine zweite Gestalt die ebenso gekleidet war. „Halt gefälligst den Mund Du Idiot!“ zischte er, „Oder willst Du dass er Dich hört?“ Beim Klang dieser Stimme zuckte der Junge zusammen, denn er kannte sie. Es war die Stimme eines rohen Babyloniers, der bei ihm in der Gruppe arbeitete und der außer zum Schleppen schwerer Lasten zu nichts taugte. „Aber ich bin auch froh, dass das vorbei ist. Der Alte hat gesagt, dass wir heute das letzte Mal hinunter mussten. Es ist getan und was immer er auch gemacht hat wird seine Wirkung entfalten. Diese überheblichen Songhai haben‘s nicht besser verdient und sobald ich mein Gold habe hau ich hier ab.“ Er verstummte und kurz darauf waren schlurfende Schritte zu vernehmen. Eine dritte Kapuzengestalt erschien und die drei machten sich auf den Weg. Der Junge schlich ihnen vorsichtig nach und fluchte innerlich, als er mit dem Fuß kleine Steinchen los trat. Doch die drei gingen unbeirrt weiter und der Junge folgte in einigem Abstand. Als sie die Baustelle verlassen hatten wandten sie sich in Richtung Stadt. In der Dunkelheit erkannte der Junge nur die beiden Hinteren und schickte sich gerade an ihnen weiter zu folgen als er hinter sich etwas hörte. Wie glühendes Feuer brannte der Schmerz in seinem Rücken, dann war nichts mehr, nur Dunkelheit und Vergessen.
„Bei den Göttern, er öffnet die Augen!“ Onanga, der am Lager des Jungen gewacht hatte, blickte erleichtert zu Ashanti. Nefer, der den Ausruf gehört hatte trat in das Zimmer und beugte sich über den Jungen. „Wirkliches Glück!“ wiederholte er zum zigsten mal. „Junge, die Götter hielten ihre schützende Hand über Dich. Keines der wichtigen Organe ist verletzt, obwohl der Stich durch Dich hindurchging. Schschsch spar deinen Atem!“ „Nein es ist wichtig,“ hauchte der Junge, „Onkel ich habe gehört wie sie gesagt haben…“
Askaiya blickte auf den Jungen hinab, dem sie so viel verdankten. „Durch Dich haben wir den feigen Anschlag auf die Hängenden Gärten entdeckt und konnten so verhindern, dass sie uns langsam von innen heraus vergiften. Wir haben das ganze Gelände magisch gesäubert und werden es jetzt schleifen, damit nichts von dem unheilvollen Zauber seine Macht entfalten kann.“ „Aber Thanit! Was wird aus eurer Großen Gemahlin?“ hauchte der Junge. „Davon weist Du? Es gibt wohl nicht vieles, was Dir entgeht, nicht einmal die geheimsten Dinge des Staates? Aber auch hierfür muss ich Dir danken. Denn in der Geheimkammer unter dem Zentralkomplex fanden wir nicht nur die Ingredienzien für das Ritual, welches die Hängenden Gärten vom Segen zum Fluch wandelten, sondern im Zentrum des Rituals lag auch eine magische Puppe mit deren Hilfe der Anschlag auf Thanit geführt worden war. Er hatte wohl vor, dass sich beide Anschläge gegenseitig verstärken. Dem haben wir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Thanit wird wieder vollständig genesen, so wie Du, mein Junge. Schlafe jetzt, wir sehen uns später.“