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FAZ
17. Juli 2009 Bäcker achten selten auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts, denn dieses befasst sich kaum mit Vorschriften für Backwaren. Doch das jüngste Urteil der Karlsruher Richter zum Lissabon-Vertrag der EU, das den Bundestag rügte, hat die Handwerker hellhörig gemacht. Sie erhoffen sich nun von deutschen Politikern mehr Hilfe, um eine geplante europäische Harmonisierung abzuwehren. Sie würde ähnlich wie in Italien auch deutsche Bäcker zwingen, für Brötchen oder Croissants keinen Stückpreis mehr zu verlangen, sondern die Ware vor dem Verkauf erst zu wiegen und dann den Preis festzulegen.
In einem geharnischten Brief an Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU), der der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorliegt, forderte der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks die Politikerin jetzt auf, „unsinnige Regelungen“ in der vorgesehenen Verordnung zur Lebensmittelinformation zu verhindern. Das Wiegen von Kleingebäck, so heißt es in dem Brief, möge zwar in anderen EU-Ländern üblich sein, entspreche aber in keinem Fall deutscher Verkaufstradition und werde auch von keinem Kunden ernsthaft erwartet. „Für uns erschließt sich absolut kein Sinn für die Notwendigkeit einer europaeinheitlichen Regelung. Vielmehr stellt dies einen weiteren Beweis für die Überflüssigkeit der gesamten Verordnung dar.“
Keine Lust in einer langen Schlange auf das Wiegen zu warten
Die Bäcker hoffen auf Hilfe von Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU)
Die Bäcker hoffen auf Hilfe von Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU)
Mit der Verordnung zur Lebensmittelinformation verfolgt die EU zwei Ziele. Sie will einerseits bestehende Richtlinien zur Etikettierung und Nährwertkennzeichnung zusammenfassen. Doch statt einer bürokratischen Vereinfachung, wie man erwarten würde, hat sich die Textmenge der Verordnung fast verdreifacht. Mit den Vorschriften will die EU ferner Regeln zur Gewichtsangabe europäisch harmonisieren und sie somit der nationalen Kompetenz entziehen, damit sie den Binnenmarkt nicht behindern.
Die Bäcker bestreiten zwar nicht, dass einheitliche Gewichtsangaben für verpackte Ware notwendig sind, weil diese über Grenzen geht. Sie sehen aber nicht, dass die fehlende Nettogewichtsangabe von Brötchen eine Binnenmarkt-Hürde ist. „Ein Bäcker aus Berlin liefert doch nicht nach Polen“, sagt Eberhard Groebel, Hauptgeschäftsführer des Verbandes. Auf Brötchen könne man auch nicht ein Schild kleben mit einer mindestens drei Millimeter großen Schrift, fügt er hinzu, und außerdem habe kein Kunde im Backshop Lust, in einer langen Schlange auf das Wiegen des Gebäcks zu warten.
Für Brötchen gibt es bisher keine staatliche Gewichtsvorschrift, sie sollen zwischen 35 und 45 Gramm wiegen. Das sei auch angemessen für ein Produkt, meint Groebel, das von Hand gemacht werde und daher keine Einheitsgröße haben könne. Im Übrigen könnten die Kunden ja den Bäcker wechseln, wenn das Gebäck stets zu klein sei.
Der Bäcker-Verband sieht in der Verordnung nicht nur eine unsinnige Reglementierung, sondern auch die Gefahr, dass unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes die industrielle Backwaren-Herstellung gefördert wird. Die Großen der Branche scheinen zumindest weniger Bedenken gegen die Verordnung zu haben als die Kleinen. Wegen dieser industriepolitischen Implikation wird auch verständlich, warum Groebel jetzt so scharfe Töne anschlägt und sich nach dem Verfassungsgerichtsurteil sofort die Ministerin aus der europakritischen CSU als Verbündete sucht. „Wir befürchten das Schlimmste“, beteuert Groebel, „sind aber fest entschlossen, in dieser Frage Fundamentalopposition zu machen.“