Schon als Valerius in den Flügel einbog, der ihre Unterkunft beherbergte, kam ihm Saturnius aufgeregt entgegen. Er zog Aulus in einen behaglichen kleinen Leseraum, eine Gäste-Bibliothek sozusagen. Abgesehen von ihnen war niemand hier.
„Ich war beim Papst!“
Aulus seufzte. Diese religiöse Begeisterung würde er wohl nie verstehen.
„Er war sehr interessiert an dieser Geschichte von der Himmelsschale. Wir haben zusammen überlegt, wie diese nutzbringend für die Missionierung der barbarischen Gebiete einzusetzen wäre und wie gleichzeitig die standhaften Jünger Jesu auf die Suche nach der Schale zu schicken, ohne allzu sehr die Aufmerksamkeit ungebetener Gäste zu erregen.“ Saturnius grinste und seine Wangen waren vor Aufregung gerötet. Aulus rutschte ein wenig tiefer in den Sessel und erwartete eine theologische Elegie. Er dachte mit Schaudern an die Kämpfe der Gruppierungen der Kirchen, Orthodoxe, Arianer, Nestorianer, Monophysiten, Manichäer und wie sie alle hießen. Er vertrat da keine feste Meinung und verstand auch zuwenig von derlei theologischen Spitzfindigkeiten. Der oströmische Verbindungsoffizier erzählte ihm einmal, dass in Konstantinopel zur Zeit heftig darüber gestritten werde, ob die Engel Männer oder Frauen seien. In Gedanken schüttelte er den Kopf. Als ob keine dringenderen Probleme anständen! In der Hinsicht ähnelte er von der Einstellung her seinen noch immer zahlreichen heidnischen Mitbürgern, die ihre Hochburgen vor allem in Spanien und Gallien besaßen. ‚Ich glaube, ich muss ein wenig raus aus der Stadt.‘ dachte er.
„Joseph von Arimathia!“ deklamierte Saturnius, breitete seine Arme aus und schaute Valerius erwartungsvoll an.
Aulus schaute ihn verdutzt an.
„Wie, was?“ fragte er verständnislos.
„Als der Herr auf Golgatha am Kreuz hing,“ deklamierte Saturnius feierlich und ging wie ein Redner in der Basilika auf und ab, „stachen die Soldaten ihm in die Seite, um zu sehen, ob er wirklich tot sei. Dabei floß Blut aus dem Leib des Herren. Dieses Blut fing Joseph von Arimathia in dem Kelch auf, mit dem Jesus das letzte Abendmahl feierte, und barg in ihm diese kostbare Reliquie. Dieser Kelch, den er den Gral nannte, begleitete ihn auf seinen weiteren Reisen, die ihn schließlich bis nach Massilia brachten. Angeblich ist er dort verstorben und seine Gebeine wurden in der Stadt begraben. Bald wurden seine heiligen Gebeine als Reliquien in weite Teile der Welt verbracht, um die Verbreitung des wahren Glaubens zu fördern. ... Wie der Gral abhanden kommt, muss der Papst noch ein wenig ausgestalten ... wie findest du das?“ Er drehte sich grinsend zu Aulus um.
Der schaute ihn eine Weile nur blöde mit offenem Mund an.
„Ihr habt euch das ausgedacht?“ fragte er schließlich.
„Gut, nicht wahr? So wird das wahre Ziel verschleiert, aber viele Christen werden sich leidenschaftlich auf die Suche nach dem Gral machen. Und der Missionierung wird ein wundertätiger Kelch ebenfalls hilfreich sein. Die Barbaren stehen auf so etwas.“
„Die Leute werden es für bare Münze nehmen. Stell dir vor, das wahre Geheimnis geht verloren, dann werden in tausend Jahren noch Menschen nach einem Gral suchen, der gar nicht existiert!“
Saturnius winkte lässig ab.
„In tausend Jahren werden bestimmt viele Leute diese weinselige Ausgeburt Platons für bare Münze nehmen und überall nach Atlantis suchen.“
„Nein, mein Lieber, so blöd wird nun wirklich keiner sein, aber eure Geschichte ist zu dicht an der Realität dran. Das ist gefährlich, wenn sich die Sache verselbständigt.“
„Es kann nur unserer Sache dienen.“
Aulus gab sich geschlagen.
„Meinetwegen, dafür habe ich auch etwas.“
Er zog das Bruchstück der Himmelsschale, der wahren Himmelsschale, hervor und hielt es Saturnius hin. Dessen Augen weiteten sich, er griff nach der Bronze mit beiden Händen und sank dabei ehrfürchtig in die Knie.
„Das ist nicht der Gral!“ scherzte Aulus, aber Saturnius war von dem Gegenstand zu ergriffen, um darauf zu reagieren.
„Es ist also wirklich wahr,“ hauchte er.
„Natürlich, hast du nicht daran geglaubt? Viel Blut ist dafür vergossen worden, als letztes das deines Sekretärs. Hast du auch deine Kontakte hier in der Stadt bemüht?“
„Alle sind abgereist, in den Süden.“ Was haben die Isisdeppen gesagt?“
Aulus beglückwünschte sich innerlich, dass er den Tempel aufgesucht hatte. Saturnius hätte bestimmt nichts aus dem Ägypter herausgekriegt. Er brachte den Freund auf den neuesten Stand.
Saturnius sprang erregt auf und begann wieder im Raum herumzulaufen.
Also, Rom haben wir, Massilia und Nova Karthago dürften kein großes Problem sein, da kann der Papst seine Kirchenleute hinschicken. Karthago ist schon schwieriger, da sind so viele Heiden, da werden die Priester das Schalenstück nicht so ohne weiteres rausrücken. Der Osten ist da wesentlich problematischer.
Bleibt noch Hibernia. Wie kommen wir da ran? Wir müssen mit dem Kaiser sprechen, komm mit!“
Er drehte sich gar nicht mehr um, sondern stürmte aus dem Raum. Aulus seufte tief und rappelte sich auf. Wenn sich Saturnius einmal festgebissen hatte, gab es für ihn kein Halten mehr. Aber er stimmte im Stillen seinem Freund zu. Hibernia war das erste Ziel, wie damals ... . ‚Komisch, wie sich die Geschichte wiederholt‘, dachte er noch und eilte Saturnius hinterher.