Cynfawr marschierte mit einer kleinen Truppe nach Norden. Eine kleine rebellische Pictensiedlung war das Ziel. Schnee peitschte vom Wind getrieben in die Gesichter der Männer, die bereits einen entbehrungsreichen Marsch durch das caledonische Hochland hinter sich hatten. Cynfawr war nervös. Seit Tagen schlief er schlecht und seine Unruhe hatte sich schon auf seine Männer übertragen. Sie passierten immer wieder verlassene Weiler, die Hütten glichen eher Ställen für Schafe als menschlichen Behausungen. Das Kommen der Krieger war den Bewohnern dieses schroffen Landstrichs natürlich nicht verborgen geblieben. Nicht dass sich Cynfawr nicht alle Mühe gegeben hätte, auf Umwegen über uneinsehbare Waldstücke zum Ziel zu gelangen, aber diese Menschen hier verstanden sich zu gut auf die Jagd und das Deuten der Zeichen der heimischen Tierwelt. Außer Kräfteverschleiß hatte die gewundene Annäherung nichts gebracht.
Im Stillen formte sich in Cynfawrs Kopf ein Fluch. Warum war er immer so gehorsam, der treu ergebene Sohn, immer bereit in die Schlacht zu ziehen und Siege zu erringen? Was hatte es ihm gebracht? Nicht er war der designierte Nachfolger des großen Königs der Icenier, des mächtigsten Stammes in ganz Britannien, sondern Belenus, der Nachgeborene. Zugegeben, Belenus, obgleich ein Jahr jünger als er selbst, hatte durchaus seine Qualitäten. Kein anderer Feldherr weit und breit war gerissener als er, keinem folgten die Männer williger in die Schlacht. Außerdem hatte ihn die richtige Frau geboren, die Fürstin Barita, oberste Priesterin der Britannia und Erbin des Thrones. Nicht ein einfaches Schankmädchen wie Cynfawrs Mutter. Aber kaum einer war in der Verwaltung der Königsgüter so geschickt wie der Erstgeborene, darin übertraf Cynfawr sogar seinen Vater und alle dessen Ratgeber zusammen.
Cynfawr zog die Schultern hoch und kauerte sich im Streitwagen zusammen. Bald war eine Rast angesagt. Die Männer brauchten ihre Kräfte noch. Das hatte er von Belenus gelernt. Begierig war er ihm, dem Vollblutkrieger in die Schlacht gefolgt, ... warum nur?
Widerwillig musste sich Cynfawr eingestehen, dass es Ehrgeiz und Neid waren, weniger die Gier nach Herrschaft. Aber die Begeisterung Belenus' für das Kriegshandwerk hatte auch auf ihn abgefärbt, obwohl das Hacken und Töten doch immer ein wenig Abscheu in ihm erzeugte. Aber er wollte unbedingt auch auf diesem Feld seinen Bruder ausstechen, die Achtung des Königs, des Vaters erlangen. Und deshalb war er hier. Er versuchte die düsteren Gedanken fortzuscheuchen. Schließlich hatte sein Vater ihm diese besondere Mission anvertraut.
Er hasste Belenus nicht.
Diese Erkenntnis war ihm schon lange gekommen. Niemand konnte Belenus hassen. Er war der geborene Männerführer und Frauenheld. In beiden Bereichen war sein Ruf legendär. Und gleichzeitig blieb er immer der gute Kumpel und unglaubliche Zecher, der immer noch stand, wenn frühmorgens die Diener die Bierleichen wegschleppten. Dann schwang er sich auf den Wagen und inspizierte die Wachtposten.
Cynfawr war da anders, eher still und in sich gekehrt. Aber umsichtig und fleißig im Sondieren der Lage wie in der Versorgung des Heeres. Er brachte mehr Männer zurück aus den Feldzügen als andere Hauptleute, mit Ausnahme von Belenus selbst.
Und Krieger wissen das zu schätzen. Sie liebten Cynfawr vielleicht nicht und würden sich wohl auch nicht für ihn in Stücke reißen lassen, aber sie vertrauten ihm blindlings. Wenn Cynfawr die Schlacht befahl, so wussten sie, war er auch sicher sie zu gewinnen - und auch auf welche Weise.
Aber heute war es anders. Und die Tage davor auch. Das spürten die Männer und Cynfawr wusste, dass sie es spürten. Noch fiel ihm kein Rezept dagegen ein, aber es wurde langsam Zeit.
Er schaute hoch und fing den Blick seines Hauptmanns Catavignus auf. Fast unmerklich nickte er, sein treuer Untergebener verstand sofort und eilte an die Spitze des Zuges. Bald bog der Trupp ab auf eine kleine Senke zu. Dort würden sie lagern und die Nacht verbringen. Es war nur noch eine gute Stunde Wegstrecke bis zu ihrem Ziel.
Die Männer suchten sich auf dem Boden ihre Schlafplätze, die leichten Zelte für die Nacht wurden aufgestellt und das Essgeschirr hervorgekramt. Die hölzernen Näpfe wurden mit Wasser aus den Lederschläuchen gefüllt und Gersten und Haferkörner hinein geschüttet. Gut gequollen wurde es mit langen Zähnen zermahlen und einem kleinen Schluck Dünnbier hinuntergespült. Wer klug war, hatte sich ein Stück Räucherschinken aufgespart, der ein wenig Würze ins karge Mahl brachte. Feuer machen war streng verboten.
Cynfawr ging durch die Reihen, sein Hauptmann mit ihm. "Wir brauchen heute doppelte Wachen!" Catavignus nickte, das war selbstverständlich, so nahe am Feind. "Und zwei Sonderpatroullien, je acht Mann, rund um die Uhr." Jetzt zuckte der erfahrene Soldat zusammen. zwei mal acht und das in drei Schichten, das waren noch einmal fast 50 Männer, die mit wenig Schlaf auskommen mussten, das würde der Moral nicht gerade zuträglich sein.
Sie waren vier Einheiten Speerträger, eine Einheit Wagenbogenschützen und eine Einheit schwerer Wagenkämpfer, bei denen der Feldherr mitkämpfte, also etwa 550 Mann. Dazu kamen noch diese geheimnisvollen Druidenkämpfer mit ihren Kurzsicheln. Aber die waren natürlich vom Wacheschieben befreit, genau so wie die Wagenkämpfer, die mit ihren Tieren schon genug zu tun hatten. Der Hauptmann stöhnte leise. Cynfawr drehte sich um, legte ihm eine Hand auf die Schulter und sagte leise aber bestimmt: "Morgen ist es vorbei, dann wird gefeiert und es gibt wieder Braten satt für alle!" Der Schatten eines Lächelns huschte über sein Gesicht, dann wandte er sich wieder um und setzte den Rundgang fort. Catavignus richtete sich auf und straffte die Schultern. Was auch immer seinen Häuptling bedrückt hatte, es schien verflogen und gute Laune und Zuversicht kehrten zurück. Energisch ging der junge Hauptmann zu den Scharführern und besprach mit ihnen die Wacheinteilung. Sein Elan ging auf sie über und von diesen auf alle Männer. Die ängstliche Unruhe wich der Spannung, die immer aufkam, wenn eine Schlacht bevorstand. Dennoch waren die Männer nicht besorgt.
Es waren zwar keine Berufskrieger, von den Wagenkämpfern und Druiden abgesehen, aber auch keine Frischlinge. Morgen würden sie siegen!
Nachdem alles für die Nacht besprochen und kontrolliert war, ging Cynfawr zu seinem Zelt, das bereits in der Mitte des Lagers für ihn errichtet worden war. Er kletterte in die Düsternis, denn auch für ihn galt selbstverständlich das Verbot Feuer zu machen. Er legte sich voll angezogen auf die Unterdecke, die nur unzulänglicher Ersatz für eine Matratze war, legte seinen Schwertgurt neben sich und befahl seinem Burschen: "Morgen früh muss die Rüstung schnell bereit sein, es gilt nun!" Der nickte, er hatte bereits alles zurecht gelegt, die letzten Augenblicke des Tageslicht nutzend. Jetzt im Winter waren die Tage kurz und die Nächte bitterkalt. Dem Diener fröstelte, er schüttelte sich kurz und wickelte sich dann in drei dicke Wolldecken. Im Gegensatz zu seinem Herrn fror er sehr leicht, Cynfawr dagegen schien die Kälte nichts auszumachen. Er lag lang ausgestreckt, nur mit einer Decke aus gegerbten Schaffellen bedeckt, im Zelt und starrte an die Decke.
Eigentlich war es verrückt, mitten im Winter einen Feldzug durchzuführen. Und dann noch hier im unwirtlichen Norden der Insel. Cynfawrs Gedanken schweiften zurück, zum letzten Sommer, ja, ein halbes Jahr war das schon her.