Aulus blickte vom Schiff aus zurück auf das sich entfernende Land. Die Akropolis strahlte in der Morgensonne rötlich auf. Aus dieser Entfernung waren Schmutz und Kot der Straßen natürlich nicht zu sehen, was so Athen um einiges attraktiver machte als es bei näherer Betrachtung war. Im Grunde war er froh, die Stadt hinter sich zu lassen. Er ging zu dem kleinen Verschlag, der die nächsten Tage seinen Schlafplatz darstellte und ein kleines schmuckloses Holzkistchen hervor und öffnete es. Als er das Samttuch zurückschlug, lagen drei Stücke der Schale vor ihm. Die Neuerwerbung aus Athen, unspektakulär wie die Seereise von Spanien hierher, schien auch nicht zu den anderen Stücken zu passen. Einzig gleich bei allen Stücken war, dass sie alle mit brutaler Gewalt getrennt worden waren - jedenfalls sahen die Ränder ganz danach aus - und der Stil der Symbole einheitlich war.
Drei Stücke von zwölfen, das war nicht gerade eine große Ausbeute der letzten Monate. Langsam zweifelte Aulus an der Durchführbarkeit seines Vorhabens.
Andererseits, von den Beamten des oströmischen Kaisers war er wohlwollend aufgenommen worden. Noch herrschte keine Zwietracht, ganz im Gegenteil. Die Constantinische Familie war hier wohlgelitten und auch Barrivendos hatte seine Zustimmung zu Aulus‘ Reise gen Osten gegeben. Wie es schien war hier Kooperation erwünscht. Wie hieß es so schön, der Feind meines Feindes ist mein Freund.
Aber wie nun weiter? Nach Konstantinopel zu reisen erschien ihm nicht ratsam, zumal dort kein Stück der Schale deponiert war. Von diesem Machtzentrum hielt er sich lieber fern. Die große Politik konnte mitunter ganz plötzlich sehr ungesund sein. Lieber wollte er nach Antiochia reisen und von dort aus weiter in den unbekannten Osten, auch wenn das nicht minder gefährlich war als eine Audienz beim oströmischen Kaiser.
Artarxarta, Persepolis, Indien ...
Märchenhafte Vorstellungen waren mit diesen Namen verbunden. Und irgendwie anziehend. Es klang nach Alexander dem Großen. Aulus wollte im Kleinen in dessen Fußstapfen reisen, trotz aller Grenzscharmützel müsste er mit einer der grenzüberschreitenden Karawanen ins sassanidische Herzland gelangen können. Die athenischen Verbindungsleute hatten ihm Empfehlungsschreiben mitgegeben an sassanidische Handelspartner.
In vier Tagen sollten sie bei diesem Wind Sidon erreicht haben, so die Voraussage des Kapitäns. Aulus verstaute seinen Schatz wieder in der Tiefe seiner Habseligkeiten. Er wünschte sich Neuigkeiten von Saturnius. Das letzte, was er noch in Erfahrung bringen konnte, war, dass Corduba von den Constantinern erobert worden war.
‚Na, das wird ein Fest für den guten Gaius gewesen sein‘, dachte Aulus, ‚wieder eine Stadt für den wahren Glauben gewonnen.‘
Die Abwehr der Sachsen in Britannien hatte er mit Erleichterung aufgenommen, aber auch mit Wehmut, wenn er an Gudrun dachte. Er hatte das Mädchen wirklich gemocht, und ihre tollkühne Flucht imponierte ihm sehr. Laut geheimen Spähberichten und Gefangenenbefragungen war eine Frau maßgeblich an der Expeditionsplanung beteiligt und ihre Beschreibung würde auf Gudrun passen. Was den ‚Ausflug‘ der Sachsen auch erklären würde.
Ihr Verbleib war allerdings unklar, und irgendwie hoffte Aulus für sie das Beste. Wenn sie es bis zu den Schiffen geschafft hatte und in die Heimat gelangt war, mussten die britannischen Provinzen mit weiteren Abstechern rechnen.
Auch die Sachsen suchten nach der Schale.
Aber am meisten fürchtete er die unbekannte Gefahr, die ihm auf den Fersen war. In Athen fühlte er sich ständig beobachtet und er war trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen froh, als das Schiff den Hafen verließ.
Seit Tagen grübelte er darüber nach, was er mit den bisher gefundenen Stücken machen sollte, sie weiter mit sich herum zu schleppen erschien ihm immer risikoreicher, aber wem anvertrauen?
Nun, bis das Schiff den Hafen erreichte, wollte Aulus die Pause zur Erholung nutzen, die weitere Reise würde noch anstrengend genug werden.