London (dpa) - Im Irak war der englische Pressefotograf Terry Richards in feindlichen Kugelhagel geraten und hatte um sein Leben gefürchtet. «Aber nichts konnte mich auf die zwei Stunden hirnlosen Hasses vorbereiten, mit denen ich auf den Straßen eines portugiesischen Ferienortes konfrontiert wurde», bekannte er.
Wie «ein Rudel Tiere» seien die englischen Hooligans in Albufeira über ihn hergefallen, um zu verhindern, dass er ihre Verwüstungen fotografierte. Einer der Anführer wurde mittlerweile von einem portugiesischen Gericht zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Ein Schnellgericht in der Kleinstadt hatte es als erwiesen angesehen, dass der Feuerwehrmann der Anführer der Randalierer war, die sich am Rande der Europameisterschaft Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert hatten. Der Engländer darf die Strafe in seinem Heimatland verbüßen. Zwölf weitere Engländer und ein Russe wurden aus Portugal ausgewiesen. Sieben der Briten wurden zudem zu Haftstrafen von bis zu neun Monaten verurteilt, die jedoch zur Bewährung ausgesetzt wurden.
Die «englische Krankheit» ist auch bei dieser EM wieder ausgebrochen, und das, obwohl fast 2700 bereits auffällig gewordene Hooligans erst gar nicht nach Portugal ausreisen durften. «Die Schande Englands», titelte das Massenblatt «Daily Mirror», und die «Sun» bildete sechs verurteilte Randalierer mit Foto und Namen auf der Titelseite ab.
Der konservative «Daily Telegraph» schrieb im Leitartikel: «Es ist ein deprimierender Gedanke, dass Engländer, denen wirklich etwas am Image ihres Landes liegt, auf eine Niederlage des eigenen Teams hoffen müssten, damit ihnen eine Fortsetzung dieser nationalen Demütigung an der Algarve erspart bleibt.» Der linksliberale «Guardian» titelte: «Es ist Zeit, das Team nach Hause zu schicken.»
Warum immer England? Prof. Eric Dunning, Hooligan-Experte des Zentrums für Sportsoziologie an der Universität Leicester, nennt vor allem zwei Gründe: die britische Geschichte und die Wurzeln des Fußballsports in der Arbeiterklasse. «Es ist deshalb immer England, weil wir eine Insel sind, die einst ein Weltreich aufbaute - wir sind daran gewöhnt, ins Ausland zu gehen, um dort zu kämpfen», erläutert er. Schon 1147 legten englische Kreuzfahrer auf dem Weg nach Jerusalem in Lissabon einen Zwischenstopp zum Morden und Brandschatzen ein, später gefolgt von den Freibeutern des Sir Francis Drake und den Söldnern des Generals Wellington.
Der typische englische Hooligan stammt nach Dunnings Erkenntnissen aus einfachen Verhältnissen, ist schlecht ausgebildet und arbeitslos. Doch diese Beschreibung hält einer Prüfung kaum stand: Die in Portugal festgenommenen Hooligans eint gerade ihr gehobener Hintergrund. Da finden sich der Spross eines Psychotherapeuten und der Enkel eines Polizeipräsidenten, der Sohn eines Firmenchefs und ein Archäologie-Student.
Glenn Wilson, Psychologe an der University of London, interpretiert das Hooligan-Phänomen als Versuch zur Kompensierung «sexueller Erfolglosigkeit». Weniger umstritten ist der Alkoholaspekt: Trinken bis zur Besinnungslosigkeit ist in letzter Zeit auch unter gebildeten und beruflich erfolgreichen jungen Briten eine solche Selbstverständlichkeit geworden, dass Premierminister Tony Blair bereits von einer «neuen britischen Krankheit» spricht.
«England hat auf jeder Ebene eine Kultur der Maßlosigkeit entwickelt, vor allem in Bezug auf Trinkgelage und Schlägereien», urteilt der «Guardian». Deshalb beschränke sich das Problem auch keineswegs mehr auf eine überschaubare Gruppe von harten Hooligans. Es sei irreführend, wenn Blair im Parlament darauf verweise, dass man es nur mit einer kleinen Minderheit zu tun habe: Vielmehr ist der «Hooliganismus» demnach drauf und dran, ein landestypisches Männerleiden zu werden.
Von Christoph Driessen, dpa
12:01 Uhr, 17.06.2004 (dpa"bdt")
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