Es hatte sich angedeutet. Seit Monaten.
Geigerzähler-Wachen hatten regelmäßig die obersten Stockwerke überwacht. Den großen Umkleideraum und den alten Speisesaal. Die Zentrale für die Steuerung des Aufzugschachtes und das Treppenhaus mit den ausgetretenen, flachen Stufen, der in die Eingangshalle führte.
In den Eingangsbereich wagte sich freilich selten jemand. Dort gab es verzogene Metalltüren, gesprungene Fenster, die nur notdürftig mit Kunststoff, leichten Eisenplatten oder Erde aus der Tiefe der Teufe abgedichtet worden waren.
Sträflinge kamen nach hier oben. Mussten ihre Strafen in der am stärksten exponierten Stelle der Zeche abarbeiten. Wer in den Anfangsjahren mehr als zwei Wochen hier verbrachte, der starb. Jetzt jedoch war seit vielen Wochen kaum noch Strahlung gemessen worden.
Vier verschiedene Geigerzähler waren in den Eingangsbereich gebracht worden. Jedes Gerät, das noch funktionierte. Und alle zeigten die gleichen niedrigen Werte.
Also konnte es nur eine Entscheidung geben.
"Wir öffnen die Türen!"
Der große Weg:
Skizze des kommenden Weges
Achtung Spoiler:Menschen überleben. Immer. irgendwie.
Daran hatte die Oligarchie des Bunkers immer gedacht, als sie sich entschied, die Türen zur Oberwelt zu öffnen. Sie hatten mit Ansiedlungen und Stämmen gerechnet. Einige Menschen glaubten an absonderliche Mutationen mit drei Augen oder bestialisch veränderte Tiere.
Aber eine gewaltige Metropole, ebenso groß wie die Stadtkomplexe, die in alten Büchern und Datenbanken verzeichnet waren, mit Tausenden von Menschen - das hätte sich niemand zu träumen wagen.
Die Oberhäupter der drei großen Familienclans - Müller-Koslowski, Scharrer und Ozkanoglu - die je nach aktuellen Vereinbarungen untereinander meist das Amt des Bürgermisters unter sich ausmachten, diskutierten hefitg über die Lage, in der sie sich befanden.
Seit etwas mehr als einem Jahrzehnt war der Aufstieg an die Oberfläche geplant gewesen. Die Menschen im Bunker hatte sich als neue Adams und Eva gesehen (tatsächlich kamen diese Namen erhablich in Mode), die ihre Erde erneut bevölkern konnten.
Dass sie keineswegs den Neuanfang darstellten, sondern nur Neuankömmlinge in einer bereits verteilten Welt, deren Ressourcen viel knapper waren, als einige Jahrhunderte zuvor, hatte die Bevölkerung schockiert.
"Nun, wenn ein Flöz überschwemmt wird, versuchen wir es abzudichten", versuchte Dorkas Scharrer ihre Situation in eine Metapher zu verpacken. Das gelang ihr nicht sehr gut, aber die beiden Männer an ihren Seiten verstanden, was sie meinte.
"Damit nicht noch mehr Wasser eindringt. Wenn wir auf eine zu gefährliche Ader stoßen, versiegeln wir den Stollen und graben in eine andere Richtung. Wir umgehen das Problem, bis wir eine Lösung finden. Dann graben wir weiter. Vielleicht in größerer Tiefe. Vielleicht in einem anderen Winkel."
Einvernehmliches Nicken.
Mustafa Müller-Koslowski, der letztendlich die Entscheidungen zu treffen hatt, kratzte sich seinen Bart. Trotz der Fortschritte, die im Bereich der Luftfilterung gemacht worden waren, rieselte noch immer Kohlestaub heraus.
"Also versuchen wir uns nach Norden und Westen auszubreiten. Wir konfrontieren die Stadt nicht mit regelmäßigen Kontakten und versuchen nicht aufzufallen. Trotzdem ist die Rendite, die eine Lieferung von Kohle bringen kann, unermesslich hoch. Wie können wir das Risiko der Reise reduzieren?"
Ivan Ozkanoglu, der bisher geschwiegen hatte, knetete seine großen Hände, die von schwerer Arbeit mit ebenso großen Maschinen zeugten.
"Wir könnten einen Tunnel graben. Nicht für LKWs, aber ein Förderband. Mit Fußgängerweg. Wenn wir eine Kaverne, eine alte Tiefgarage oder einen großen Kellerraum finden, der nahe genug an der Metropole gelegen ist, dann binden wir ihn an den Bunker an. Kohle schicken wir über das Förderband dort hin. Menschen können laufen oder auch auf dem Förderband fahren. Am Ziel brauchen wir ein geschütztes Lager. Wenn es unterirdisch ist, wäre es gut zu verteidigen. Dort kann ein Transporter stehen und ein paar Begleitfahrzeuge. Wir verkürzen den Weg zu Metropole und natürlich auch den Rückweg. Wäre doch dumm, wenn wir viel Ertrag machen und uns jemand diesen auf dem Rückweg wieder abnimmt. Selbst wenn der Außenposten einmal überrannt werden sollte, könnten wir mit dem Förderband Sprengladungen dorthin bringen, mit einer Explosion alle Feinde umbringen und den Außenposten wieder aufbauen. Das ist zwar eine radikale Methode, aber sicher."
"Das ist ein weitsichtiger Vorschlag, Ivan. Wirklich gut", lobte Müller-Koslowski.
"Also, wir erschließen die Lagerstätten von Kohle und Wasser, richten unsere Ausdehnung nach Nordwesten aus und meiden die Stadt erst einmal. Sobald wir können, versuchen wir einen gesicherten Konvoi hinein zu bringen und Ware zu verkaufen. Wir erwerben einen Transporter, weitere Waffen und Geräte. Ich denke an Funkgeräte und Telefone, damit wir ohne Zeitverlust mit unseren Außenposten sprechen können. Außerdem werden wir über kurz oder lang nach einer Kaverne oder Tiefgarage suchen müssen. Geben Sie bitte beide an Ihre Familien weiter, dass ich mit diesem Gespräch äußerst zufrieden bin. Es wird sicher nicht alles so einfach werden, wie wir es uns erhoffen. Aber wie wir schon oft bewiesen haben: Wir finden einen Weg!"
Und da es immer mehr hermacht, wenn man es optisch darstellt, habe ich hier noch eine naive Zeichnung....
Die Bunker-Mentalität
Ausführungen zu Regierungsform und Gesellschaft
Achtung Spoiler:In der Isolation haben sich die Menschen eine neue Herrschaftsform geschaffen. Diese kann als Familien-Oligarchie beschrieben werden. Insgesamt gibt es drei sehr mächtige Familien, die zentrale Punkte des Bergwerkes kontrollieren. Die Produktion, die Luftumwälzung, die Wasseraufbereitung. Ursprünglich wurde die Bunkeranlage durch die Sektionsleiter der einzelnen Teilbereiche vertreten. Dazu gehörten in der Anfangszeit auch Funk, Sanitätswesen und Nahrungserzeugung. Außerdem gab es Vertreter der Bevölkerung.
Über die Jahre schotteten sich die Technikbereiche ab, um durch eine exklusive Leistung Druck auf andere Gruppen ausüben zu können. Sie bildeten nur intern ihr Personal aus, so dass eine Art Technik-Kaste entstand. Die Leitungsfunktionen wurde innerhalb der Kasten weiter gegeben und irgendwann nur noch vererbt. Die Funk-Kaste wurde sehr früh unwichtig, da kaum noch Kontakt in die Außenwelt möglich war und ging in der Produktion auf. Das Sanitätswesen der Familie Müller ging eine enge Bindung mit der Luftaufbereitung unter Familie Koszlowski ein, wodurch der Doppelname entstand. Die Nahrungserzeugung wurde von der Wasseraufbereitung abhängig und musste sich so zwangsweise eingliedern lassen, ohne weiteren Einfluss zu haben.
Da die mächtigen Techniker-Familien immer mehr an Einfluss gewannen und sich oftmals gegeneinander ausspielten oder miteinander paktierten, waren die ursprünglichen Bevölkerungsvertreter bald nur noch schmückendes Beiwerk der Ratssitzungen und wurden entfernt.
Die politische Macht der drei Familien wechselt unregelmäßig. Es gibt Familienführer, die ihre Reihen geschlossen halten und sich wenig um die anderen Belange des Bunkers kümmern, wodurch sie dem Bürgermeisteramt keine Bedeutung beimessen. Andere sind opportunistisch und tauschen ihre Stimme bei der Wahl gegen Konzessionen oder den Abkauf von Teilbereichen ein. So konnte der Teilbereich "Datenverarbeitung", der eigentlich dem alten Hauptbereich "Funk" untergeordnet war, gegen eine günstige Stimmabgabe von der Familie Oczkanoglu aus dem Verantwortungsbereich der Familie Schaller (Produktion) herausgekauft werden.
Für viele Jahre hatte die Datenverarbeitung immer mehr an Bedeutung verloren, da die Computersysteme immer häufiger an Defekten litten. Doch Paulina Oczkanoglu, die Tante des heutigen Familienführers Ivan, hatte als erste die Vision, an der Oberfläche nach intakten Komponenten zu suchen, um so der Datenverarbeitung eine neue Blüte zu verschaffen. Sie mag sich um vierzig Jahre verschätzt haben, doch durch den Kontakt zu Metropolis und dem Erwerb einfacher Komponenten, wird die Bedeutung der Datenverarbeitung steigen. Da auch der Bereich Funk nun wieder wichtiger wird, könnte es sein, dass in den nächsten Jahren ein Bürgermeister aus dem Hause Schaller zu sehen sein wird. Es wird gemunkelt, dass Haus Oczkanoglu bereit ist, noch einmal eine Generation lang auf das Amt des Bürgermeisters zu verzichten, um sich eine starke Machtbasis für die Zukunft zu schaffen.
Die Nomenklatura - wie kommen die Bunkerbewohner zu ihren Namen?
Achtung Spoiler:Nomenklatura - wie kommen die Bunkerbewohner zu ihren Namen?
Das Ruhrgebiet und das umgebende Rheinland waren seit Jahrhunderten Sammelbecken vielfältiger Bevölkerungsgruppen. Mit Beginn der Industriealisierung, Mitte des 18. Jahrhunderts, zogen Menschen aus allen Himmelsrichtungen in die Region. Hier gab es Arbeit und Geld. Wanderungswellen wurden teilweise forciert, teilweise ignoriert. So wanderten Flüchtlinge aus den alten deutschen Ostgebieten hinzu. Polnische und italienische Gastarbeiter. Später türkische Gastarbeiter. So lange ein Miteinander notwendig war, eine gemeinsame Verständigung pflicht, wie bei der harten Arbeit unter Tage, gelang eine Integration. So konnte bei der ersten Generation der Zuwanderer oftmals bemerkenswerte Sprachkenntnisse zu Tage kommen, die bis ins hohe Alter blieben. Mit zunehmendem Wohlstand und steigender Globalisierung wurden Nachrichten und Fernsehprogramm ebenfalls international. Eine Anpassung war nicht mehr erforderlich, ein Nebeneinander wurde geduldet. Diese Mischung vielfältiger paralleler Ethnien sorgte in der Region lange Zeit für ein argwöhnisches Nebeneinander und zahlreiche Spannungen. Mit dem Einschluss im Bunker am Rhein wurde nicht nur ein Zwang aufgebaut, sich einander anzunähern und gemeinsam für das eigene Überleben zu kämpfen - es entstand ein wahrer Schmelzofen der Kulturen, der zwei Jahrhunderte unter hohem Druck brodelte und eine bemerkenswert reichhaltige Kulturlandschaft erzeugte. Familienclans und -Strukturen reichen bis weit in die Regierungsform hinein. Innerhalb dieser Familien ist ein Aufstieg jedem möglich, der fleißig genug ist. Unterschiede zwischen Frauen und Männern werden kaum gemacht. Jeder muss seinen Teil zum Überleben beitragen. Durch die fast schon kastenartige Aufteilung von Aufgabenbereichen ist allerdings eine gewisse gesellschaftliche Starre zu beobachten. Die aufgeteilten Zuständigkeitsbereiche kooperieren miteinander, jedoch auf Basis eines Austauschs von Gefallen, Diensten und Verpflichtungen, der teilweise lange in Vergangenheit und Zukunft hinein reicht. Während die Gegenleistung recht frei verhandelbar ist, halten sich die Familien sehr akribisch an ihre Verpflichtungen.
Ausdruck dieses bunten kulturellen Hintergrundes ist die Kombination von Ruf- und Familiennamen aus allen Wurzeln. Diese Vielfalt wird sehr geschätzt und sogar zelebriert. Insbesondere einflussreiche Familienzweige achten auf eine große Diversität bei der Namenswahl ihrer Kinder.
Agoraphobie - das hat nichts mit griechischen Säulen zu tun. Also seit auf der Hut!
Achtung Spoiler:Die ältesten Überlieferungen und Bildaufzeichnungen zeigen ein sportliches Wettkampfereignis, das in der alten Zeit regelmäßig und in mehreren Ländern der alten Welt abgehalten wurde. Allwöchentlich pilgerten Zehntausende Menschen in eigens dafür errichtete Arenen, gekleidet in einheitlichen Farben - meist in einheitlichen Farbtönen, dennoch möglichst kontrastreich zu den konkurrierenden Anhängern - um einer Gruppe von Athleten zuzusehen, wie diese im sportlichen Wettkampf gegeneinander antraten.
Die Bildaufzeichnungen sind zahlreich, allerdings von minderer Qualität oder durch den Verlust von Technik nicht mehr abspielbar. Analytiker erkennen Dutzende Gruppierungen, die zunächst für eine Art religiöse Kulte gehalten wurden. Zahlreiche unterschiedliche Gesänge, Banner und Wappen konnten identifiziert werden.
Die sportlichen Regeln wurden anhand von alten Schriftstücken und der Analyse des Bildmaterials extrapoliert und können bis heute weitgehend originalgetreu wiedergegeben werden. Dieses beeindruckende kulturelle Schauspiel, das über Ländergrenzen hinweg ausgetragen wurde und Athleten aus der ganzen Welt vereinte, um gemeinsam gegen andere, ebenso bunt zusammengefügte Gegner anzutreten, weitgehend friedlich und mit klar strukturierten Straf- und Pflichtkatalog wurde von einigen Historikern des Bunkers an Rhein als eine Art prä-nuklearen Konfliktlösungsmechanismus beschrieben. Gegenteilige Meinungen vertraten die Ansicht, nur eine ausufernde und auf die Dekadenz des untergeganenen Zeitalters hinweisende Form von Panem et Circenses - Brot und Spiele - gestoßen zu sein.
Während die kulturelle Bedeutung dieser Veranstaltungen bis heute unbestritten ist und auch im Bunker Nachahmer findet, sind sowohl Historiker als auch Laien über eine Tatsache schwer erschrocken:
Diese, Zehntausende Menschen anziehenden Ereignisse wurde bis auf wenige Ausnahmen unter freiem Himmel durchgeführt!
Natürlich war bereits seit den dunklen Anfängen der Bunker-Besiedlung darüber gesprochen worden, an die Oberfläche zurück zu kehren. Auch dass sich das prä-nukleare Leben der meisten Menschen auf der Erdoberfläche abspielte, ohne die Sicherheit eine schützenden Decke in Griff- oder zumindest Sichtweite, wurde nicht verschwiegen. Dennoch waren die ersten Kundschafter über die ungesicherte Weite der offenen Leere des Himmels entsetzt. Einige weigerten sich sogar, den Bunker zu verlassen, mit dem Hinweis, sie fürchteten, in die Unendlichkeit zu fallen.
Für eine Kultur, die ihre grundlegenden Werte hinter das Überleben zurückstellen musste, die aus dem bunten Durcheinander ihrer gesellschaftlichen Wurzeln eine neue Grundlage des Zusammenlebens schaffen musste und die in der offenen Oberfläche über viele Generationen hinweg eine Todesfalle sehen musste, war die Erkenntnis, dass es einen offenen Himmel gab, der nicht schützte und nicht begrenzt war, ein gewaltiger Schock.
Die Scouts, die als erste die Umgebung erkundeten, griffen letztendlich auf den Trick zurück, Hüte mit breiter Krempe oder Kopftücher zu tragen. Die Psychologie spielte dabei einge große Rolle. Die breite Krempe oder der überstehende Stoff erzeugten zumindest die Illusion eines Schutzes von oben. Dass sich die Scouts durch ihre weiten Kopfbedeckungen auch vor den brennenden Sonnenstrahlen schützten und so einen Sonnenstich vermieden, wurde ihnen erst dann klar, als andere freie Körperstellen, die sich in der Wärme der Oberwelt entblößt hatten, sich röteten und begannen zu schmerzen.
Zuerst dachten sie sofort an Strahlung und Radioaktivität, was große Panik auslöste, doch die Geigerzähler zeigten nur minimale Hintergrundstrahlung an.
Auch hier wurden erneut alte Aufzeichnungen zu Rate gezogen. Bilder von Männern mit dicht geschlungenen Turbanen, die durch den Wüstensand ritten und von offensichtlich elegant gekleideten Frauen, die ausladende Hüte trugen, wurden kurzerhand in das kulturelle Erbe aufgenommen. Der Mann kleidet sich beim Aufenthalt außerhalb des Bunkers nun typischerweise mit einem Turban oder Kopftuch, während Frauen eher auf einen Hut zurückgreifen, der bei längeren Haaren deutlich praktischer ist.
Esskultur - Entrecotè, Champagnertrüffel und geeistes Marillensorbet
Oder halt das, was noch da ist.
Achtung Spoiler:Wie wir schon gesehen haben, halten sich die Bewohner des Bunkers am Rhein an traditionelle Hausmannskost. Erwähnt wurden bereits Döner mit viel Scharf, eisgekühltes Pils und deftige Krakauer. Auch hier schlagen die unterschiedlichen Kulturwurzeln der Bewohner durch. Die klassische deutsche Küche wird angereichert durch beliebte Speisen aus den anderen Kulturen. So wird zu einer Erbsensuppe gerne mal ein Raki gereicht oder ein Fladenbrot mit Erdbeermarmelade kredenzt.
So weit zur Theorie.
Natürlich verwenden die Bewohner noch immer die traditionellen Bezeichnungen für die Gerichte, die sie kochen. Hydroponik, sofern sie noch funktioniert, oder gut gedüngte Erde in Verbindung mit UV-Lampen bietet auch unter Tage die Chance zum Anbau von Gemüse. Und die Erbauer des Bunkers waren sehr darauf bedacht, Saatgut für anspruchslose und ertragreiche Pflanzen wie Kartoffeln oder Zwiebeln einzulagern. Doch viele bekannte Früchte und Gemüsesorten der Prä-Atomkrieg-Zeit gingen verloren. Schlechte Ernten, fehlerhafter Anbau und keine Chance, neues Saatgut zu sammeln trugen dazu bei, dass die Auswahl an Nahrungsmitteln geringer wurde. Sämtliche Arten von Obstbäumen konnten nur sehr begrenzt gezüchtet und erhalten werden. Hauptsächlich Beeren gediehen in den Bunkeranlagen. Einige der weiter abseits gelegenen und inzwischen verlassenen Räume des Bunkers sind noch immer überfüllt mit den verdorrten Ranken von Brombeeren, die bis weit über Mannshöhe gewuchert waren.
Nur dank gewaltiger Vorräte an künstlichen Vitaminen konnten die ersten Siedler überleben, bis sie ihren Nahrungsbedarf selbst decken konnten.
Jedenfalls den pflanzlichen Bedarf. Denn Nutztierhaltung im industriellen Maßstab war unter Tage nicht möchlich. Jegliche Tierart, die eine bestimmte Größe überschritt, konnte nicht weiter gezüchtet werden. An das Leben unter Tage angepasste Tiere wie Kaninchen und Mäuse, aber auch domestizierte Haustiere wie Hunde und Katzen, die auch unter der Erde einen gewissen Nutzen hatten, um Schädlinge zu bekämpfen - dazu zählten auch die Nachkommen von entflohenen Kaninchen und Mäusen oder die allgegenwärtige Ratte - wurden wegen ihres Fleisches und ihres Fells gezüchtet. Ursprünglich waren diese Tiere nicht als Nahrungsmittel im Bunker vorgesehen, aber viele Menschen brachten am Tag der Flucht Haustiere mit in den Bunker. Diese eigentlich sehr dumme Entscheidung, die Nahrungsvorräte und den Platz unter Tage mit Tieren zu teilen, deren Besitz in der neuen Welt des Bunkers reiner Luxus war, sollte einen wichtigen Teil zum Überleben der Bevölkerung beitragen. Die Relation zwischen notwendiger Fläche, benötigtem Futter und Wurfgröße passte bei diesen Säugetieren ebenso wie bei Hühnern.
So wurde im Döner mit viel Scharf vielleicht noch mit den üblichen Gemüsesorten wie Zwiebeln, Salaten und Chili gearbeitet, aber bereits das Brot bestand nicht mehr aus Weizen und als Fleisch der Wahl wurde kein Lamm verwendet. Auch eine Vielzahl von Milchprodukten waren nicht mehr herstellbar, gab es doch keine Säugetiere, die große Mengen an Milch produzierten. Zwar wurden Experimente und auch Züchtungen durchgeführt - eine schnelle Generationenfolge konnte bei Kleintieren sicher gestellt werden - dennoch waren die Ergebnisse zu vernachlässigen. Keines der im Bunker beheimateten Säugetiere war dazu in der Lage auch nur annähernd an die Milchproduktion einer Kuh oder einer Ziege heranzukommen.
Eine große Rolle in der Nahrungsversorgung des Bunkers nahmen Pilze ei, die in der neuen Umgebung jederzeit gediehen. Außerdem spielten sie als Indikatoren für Umweltbelastungen eine große Rolle. Pilze wurden als Primärpflanzen bei der Erschließung von Bodenflächen genutzt. Sammelten sich zu viele Schwermetalle oder andere schädliche Substanzen im Pilz an an, musste das Erdreich noch einmal gereinigt werden. Auch waren Pilze ein Indikator für kontaminiertes Wasser, das in den Bunker eindrang und bestimmte Sorten ersetzten nach einiger Zeit die nicht mehr verfügbaren Zigaretten.
Andere leichte Rauschmittel wie Alkohol konnten aus Kartoffeln oder Kräutern hergestellt werden. So entsprach auch das häufig getrunkene Bier bald nicht mehr dem ursprünglichen Reinheitsgebot.
(Ja, das bedeutet, meine Jungs essen Ratten-Burger, saufen Kartoffel-Schnaps und ziehen sich hinterher ein paar Magic Mushrooms rein, wenn sie mal richtig einen drauf machen wollen. Irgendwie muss man halt zu seinem Spaß kommen. Kein Wunder, dass sie bei der ersten sich bietenden Gelegenheit den halben Staatsetat im Freudenhaus verjubelt haben.)
Psychologische Kriegsführung - Es, Ich und Über-Ich
Achtung Spoiler:Nach alten Schriften, die in den Bunker-Archiven gefunden wurden, wird die Psyche des Menschen in drei Bereiche aufgeteilt. Dem Es, das Triebe, Wünsche und Aggressivität darstellt, dem Über-Ich, das Konventionen, Regeln, Moral und Sitte darstellt, und dem dazwischen liegenden Ich, das beides versucht auszubalancieren.
In der Bunker-Zeit gab es oft viel Gelegenheit, sich Gedanken über die Zukunft und die Veränderungen in der Welt zu machen. So wurde ein ähnlich ausgebautes, dreizoniges Weltbild konzeptioniert, das auf Himmel, Erde und Untergrund fußt.
Dem Es, dem Untergrund, wurden deutlich mehr positive Assoziationen zugeteilt, als in den alten Theorien. Das Tierische, Animalische, der Trieb, hatte den Menschen erlaubt zu überleben. Kampf, Fortpflanzung, Überlebenswille waren grundlegende, sehr primitive Instinkte und diese, ebenso wie der Untergrund, der oft mit Schmutz, Altertum, Vergangenheit oder Altlasten verbunden wurde, sorgten für den Fortbestand der Menschheit.
Die Oberfläche, das Ich, war nicht in der Lage ein Gleichgewicht zu erhalten. Zwischen Worten und Taten, zwischen Vernunft und Unvernunft. Ebenso ist die Oberfläche der Welt nun unausgeglichen, wüst, lebensfeindlich und gefährlich.
Das Über-Ich, der Himmel, enthält Regeln und Konventionen. Diese waren entweder so widersprüchlich zu den Trieben des Es oder zu schwach, um es einzudämmen, dass eine Revolution dagegen die Folge war. Sie brachte der Menschheit Krieg und Tod. Regeln mussten konkreter werden, denn Verstöße führten oftmals auch ohne Strafe zum Tod.
Diese Umstände sorgten dafür, dass das Ich, die eigenständige Persönlichkeit, in der Bunker-Kultur wieder in den Hintergrund getreten ist. Der Trieb sichert das Überleben, doch müssen strenge Regeln beachtet werden. Die Wüstenei zu betreten, sich auszubreiten und die Welt erneut zu beherrschen mag Trieb sein, doch ohne klare Regeln, Schutzkleidung, Rückhalt der Gruppe, geordnete Erkundung und Planung, wird es unweigerlich zur Katastrophe kommen.
So hat die Gesellschaft des Bunkers zwar bunte Wurzeln und ein breites kulturelles Erbe, doch die Individualität im Ausleben der eigenen Ideale wird sehr eingeschränkt durch die Regeln und Notwendigkeiten des Überlebens.
Ebenso wird die Welt betrachtet. Der Untergrund bietet Sicherheit und sorgt für das Überleben. Der Himmel erfordert Regeln, er muss kontrolliert werden. Nur im Zusammenspiel von Untergrund und Himmel kann die Oberfläche soweit kultiviert werden, um der Bunker-Zivilisation eine Zukunft zu sichern.
Der Aufbau einer oberirdischen Landstreitmacht steht daher nicht im Fokus des Bunkers. Hingegen sind starke Defensive, Sicherung des Untergrunds, Tunnel und unterirdische Verteidigungsanlagen Grundlage des Überlebens, verbunden mit einem aktiven Streben nach Luftmacht. Also der Kontrolle des Luftraums zur Überwachung der Oberfläche.
Wer wird denn gleich in die Luft gehen?
Achtung Spoiler:
...das spoilere ich mal - also liebe Mitspieler, die hier lesen, das ist meine Idee - also fair bleiben...
Achtung Spoiler:Wann immer ein Bewohner den Bunker am Rhein verlässt und nach Südosten schaut, ahnt er in der Ferne die Metropolis. Den großen Konkurrenten, der wie ein Damoklesschwert über dem Schicksal des Bunkers am Rhein hing. Ein mächtiger Nachbar, der den Landverkehr mit geländegängigen Fahrzeugen kontrolliert und sogar Schienenwege eingerichtet hatte, um große Zahlen von Menschen und Material zu transportieren.
Außerdem tauchten aus den Dünen des Wüstenlandes immer wieder Nomaden auf, die eine ständige Bedrohung für den Bunker darstellten.
Die Bergleute hatten sich angewöhnt, Bedrohungen zu meiden, zu umgehen und andere Wege zu suchen. Aber dabei nie aufzugeben. Die Idee des Förderbands zur Kaverne, um die Transportwege zu verkürzen, war eine Folge davon. Jetzt suchten sie eine andere Möglichkeit, einen sicheren Verkehr zu etablieren. Und wenn das Land nicht kontrollierbar war, dann eben die Luft.
Seit die alten Datenspeicher des Bunkers auf den Computern aus der Metropole wieder abgerufen werden konnten, dachten die Bunkerbewohner über Luftfahrt nach. Doch dieses scheiterte an ihrer technischen Ausstattung. Fugzeuge würden sie auf Jahrzehnte hinweg nicht konstruieren können. Allerdings gab es einfachere Wege, die Luft zu befahren. Ballon-Konstruktionen. Luftschiffe, die zwar langsam waren, aber große Lasten tragen konnten. Die nicht mehr zum Landen und Starten brauchten, als offene Fläche - und die gab es in der Wüste genug.
Eine Stoff-Hülle, die nicht einmal aus Kunstfasern bestehen musste, sondern nur aus leichtem Material. Dazu Brennöfen, die Luft erhitzten und einige Staukörper, in denen leichte Gase selbst Auftrieb erzeugten. Nichts davon war schwierig herzustellen. Es musste nur getan werden.
Slavery - Gets Shit Done!
Achtung Spoiler:
Der Kontakt zur Metropolis bewies nicht nur das Überleben eines technologisch fortgeschrittenen Teils der Menschheit, sondern auch den Untergang des europäischen Rechtsstaates, der in den Aufzeichnungen des Bunkers am Rhein über 200 Jahre lang den Kontinent geprägt hatte. Bevor der nukleare Sturm sämtliche oberirdischen Gesetzestexte einer gründlichen und nachhaltigen Revision unterzogen hatte.
Das Recht des Stärkeren ging einher mit der Bewaffnung des größten Teils der freien Bevölkerung. Allein durch den Zusatz "frei" wurde impliziert, dass es auch unfreie Menschen in der Metropolis gab. Diese wurden nicht nur zur Zwangsarbeit oder sonstigen Diensten eingesetzt, sondern auch öffentlich auf den Märkten der Metropolis verkauft.
Die freundlichen Sklavenhändler um die Ecke hatten neben einer Preisliste für Waffen und militärtaugliche Ausrüstung auch die Konditionen für den Erwerb von Sklaven beim Erkundungsteam eingereicht.
Im November 2364 gerieten die zurückkehrenden Bergarbeiter in einen Überfall, den sie dank guter Vorbereitung siegreich überstanden. Erstmals hatten sie 4 Gefangene gemacht. Menschen, die außerhalb des Bunkers lebten, dort Raub und Plünderungen begingen und ihre Beute in der Metropolis zum Verkauf anboten.
Natürlich wurden diese Gefangenen zum Bunker zurück gebracht. Ihre Aussagen wiesen darauf hin, dass dem Bunker bald Besuch drohen würde von potenziellen Plünderern, dass der Standort derzeit aber noch unbekannt war. Also konnten trotz aller Sicherheitsvorkehrungen die vier Männer nicht wieder in die Freiheit entlassen werden. Sie wussten inzwischen zu viel über den Bunker. So reizvoll es auch war, die Sklavenjäger selbst in die Sklaverei zu verkaufen, dieser Weg war versperrt.
Wie sollte sonst mit ihnen umgegangen werden? Der Bunker am Rhein war keine Demokratie, dennoch galt hier immer noch altes Recht. Jeder Mensch war frei und Sklaverei war seit Jahrhunderten abgeschafft. Letztendlich kamen die Familienoberhäupter zu dem Schluss, dass aufgrund von Recht und Gesetz alle vier Männer ein Gerichtsverfahren zu überstehen hatten. Sie würden fair befragt werden, sich verteidigen können, Zeugen würden gehört werden und am Ende würde auf Grundlage des geltenden Rechts ein Urteil gefällt werden.
Ein kooperativer Gefangener konnte dabei auf mehr Milde hoffen, als schweigende Gefährten.
Das Urteil war allerdings schwierig. Für Kapitalverbrechen - und der potenzielle Mord an oder die Verschleppung von Menschen gehörte zweifelsohne dazu - hatte der Bunker am Rhein bisher immer Arbeitsdienste in den oberen Bergwerksetagen verhängt. Diese waren aufgrund der Strahlung gefährlich und führten über kurz oder lang zum Tod.
Die Strahlung war jedoch zurück gegangen. Und diese Menschen nahe am Ausgang einzusetzen, wo die Fluchtgefahr hoch war, war ausgeschlossen. Sie nur einzusperren würde den Bunker Nahrung, Wasser, Strom und Arbeitskraft kosten, während die Gefangenen nichts taten. Auch das war keine Lösung. Essen und sichere Unterkunft waren in dieser Welt ein Luxus und durften daher nicht Lohn für ein Verbrechen sein.
Letztendlich urteilte der Richter, dass alle vier Männer im Bunker eingesperrt werden würden. Sie mussten ihren Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen und dem Fortbestand des Bunkers dienen. Nach 20 Jahren (3x Höchststrafe) und nach 10 Jahren (1x mildernde Umstände für Kooperation) könnten sie als freie Bürger des Bunkers aufgenommen werden. Bis dahin hatten sie alles zu unternehmen, um ihre Schuld gegenüber der Bunkerbevölkerung abzuleisten.
Dazu gehörte nicht nur die körperliche Arbeit, sondern auch die Bereitschaft zu Untersuchungen. Zwei Jahrhunderte an der Oberfläche im Kontakt mit Strahlung musste Veränderungen im Erbgut ergeben haben, die von den Medizinern des Bunkers studiert werden wollten. Gab es biologische Unterschiede? Wie waren die Reflexe der Oberflächenmenschen? Konnten sie besser oder schlechter hören oder sehen, als die Bunkerbewohner. Gab es Anfälligkeiten bei Krankheiten? Körperliche Schwächen, die ausgenutzt werden konnten? Und falls es ausgeprägte körperliche Stärken gab, war es ratsam diese dem Genpool des Bunkers durch Verpaarung hinzuzufügen?
Ein sicherer Hafen
Nachtrag zu "Slavery Gets Shit Done"
Achtung Spoiler:Wenn in der Metropolis eine Sklavenhaltergesellschaft existiert und - auch wenn das nur Gerüchte sind - noch andere kleinere Gesellschaften und Stämme einen Zulieferbetrieb für Sklaven organisieren, dann muss der Bunker am Rhein sich klar positionieren. Wir dulden Sklaverei nicht. Wir akzeptieren nicht, dass ein Mensch Eigentum eines anderen Menschen sein kann. Wir bieten Asyl für entlaufene Sklaven. Wir schützen sie und nehmen sie in unsere Reihen auf.
Wir hoffen, auf diese Weise nicht nur einen stetigen Bevölkerungszuwachs zu erhalten, sondern auch einen Wissenstransfer, den wir sonst nicht so einfach haben könnten.
The Sand of Time
Achtung Spoiler:Sand türmt sich vor den Toren des Bunkers am Rhein. Der Wind aus dem Osten trägt Staubwolken aus aschegrauem Sand heran und täglich sind Trupps im Einsatz, die versuchen die Bunkertore frei zu halten. Wenn der Wind extrem scharf weht, fühlt es sich auf der Haut an wie Schmirgelpapier. Atmen ist dann nur noch durch ein Tuch möglich und das Sehen nur durch feste Brillen, die vollständig die Augen schützen.
Sand dringt überall hin. Teilweise bis in die tiefsten Stollen. In den Hydrokulturen wird damit schon experimentiert. Dekontaminierte Erde ist schwer herzustellen. Seit neuestem wird fruchtbarem Boden ein Drittel Sand zugemischt. Dieser enthält viele Mineralien, die Pflanzen benötigen, aber wenig Feuchtigkeit und vor allem kaum Bakterien, die es im Erdreich nun einmal braucht, um Pflanzen zu züchten.
Doch Bakterien sind zuverlässig. Sie breiten sich aus. Der Wasserbedarf steigt etwas, doch durch den zusätzlichen Sand von außen, kann die Produktion von Ackerboden deutlich gesteigert werden. Aus den Hydroponik-Clans wurde schon der Vorschlag erhoben, die Experimente auszuweiten und einen Schwerpunkt darauf zu setzen. Zumal die abgeschlossene Hydroponik im Bunker gleichzeitig als Testlauf genutzt werden kann, um den sandigen Wüstenboden an der Oberfläche wieder zu rekultivieren.
Die Produktions-Clans arbeiten ebenfalls mit dem Sand. Sie haben sich auf die alte Kunst der Glasherstellung konzentriert. Ein Rohstoff, der im Bunker lange Zeit fehlte. Auch wenn es unter der Erde immer Material gab - aus Mutterboden kann kein Glas hergestellt werden. Schiefer oder Granit zu zerkleinern war kaum möglich. Jetzt, mit neuem Sand, können defekte Monitore repariert werden. Den Labors können endlich wieder Glasröhren und Kolben zur Verfügung gestellt werden. Trinkgefäße, Schmuck, Linsen (für die Sandschutzbrillen), Fenstergläser, Flaschen - all das kann wieder hergestellt werden und zwar in großer Menge. Zwar mögen die ersten gefertigten Trinkgläser noch plump wirken, doch kommt die Eleganz und die Routine nach und nach zurück. Auch hier wird laut über einen Schwerpunkt nachgedacht. Ferngläser, Überwachungskameras und Schutzbrillen sind für die Sicherheit des Bunkers unerlässlich und brauchen nicht mehr teuer importiert werden. Fensterscheiben an den Buggys können ausgetauscht werden, wenn sie beschädigt sind. Und Glasscheiben zu produzieren, könnte der erste Schritt werden, um neue Fahrzeuge auszurüsten, die auch in einem Sandsturm noch einsatzbereit sind.
Die Welt außerhalb des Bunkers mag karg und gefährlich sein, doch für den erfindungsreichen Geist, ist sie voller Möglichkeiten.
"Es kann nicht zu Ende sein." - Religion im Untergrund
Achtung Spoiler:Wie hält sich Glauben, wenn die Gläubigen nicht nur ein Unglück, einen Krieg, sondern die wahre Apokalypse erleben müssen? Welche Religion kann erklären, wie eine Katastrophe wie ein weltweiter atomarer Schlagabtausch der Wille eines höheren Wesens sein kann?
Wir kennen viele Beispiele: Noah und die Sintflut, die Plagen in Ägypten, Sodom und Gomorrah - sogar das Armageddon sind überliefert worden. Doch danach enden die heiligen Texte meist. Alle gute Menschen sollen dann ihren rechtmäßigen Platz an der Seite ihres oder wahlweise ihrer Götter eingenommen haben und es sollen Jungfrauen, Manna oder Kelche mit Wein aus den Schädeln der erschlagenen Feinde bereit stehen. Man denke nur daran, wie viele Jungfrauen wohl mit Spül- und Schankarbeiten beschäftigt wären, wenn sie die Schädel der durch einen Atomkrieg erschlagenenen Feinde regelmäßig befüllen und wieder sauber machen müssten. Und würden sie das als Paradies ansehen?
Wenn denn die guten Menschen in ihren ewigen Jagdgründen schweifen dürfen, wo sind dann die Seelen gelandet, die sich im Bunker an ihr Überleben klammern und alles verloren haben, was sie je hatten? Die Enge, die Entbehrung, die Angst, Hunger, Leid und der gewaltige Schock - das konnte nicht der Himmel sein.
Ist die Post-Apokalypse also die Hölle?
Soll der Teufel nicht darüber geklagt haben, dass nicht die Folter und die Höllenqualen das schlimmste an der ewigen Verdammnis sind, sondern dass man so fern von Gott ist, dass man seine Gegenwart nicht mehr spüren kann?
Alles in diesem Bunker ist künstlich. Licht, Wasser, Erde, Nahrung. Nichts wird von klarer Luft oder Sonnenschein berührt. Tausend Meter und mehr ist die Teufe in den Boden geschlagen worden. Stahltüren verschließen den Weg nach draußen, zu einem Paradies, das von Flammenschwertern aus nuklearem Feuer für die Menschen geschlossen wurde.
Es gibt nur wenige Heilige und Predigten, die nach der Apokalypse im Bunker am Rhein ebenso lange überlebt haben, wie die Nachfahren der Kriegsgeneration. Mehrheitlich katholisch geprägte Rheinländer trafen auf ebenfalls katholische Nachfahren von polnischen und italienischen Migranten. Dazu starke Einflüsse des muslimischen Glaubens, der dazu neigt, den Weg des Menschen schon vorgezeichnet zu sehen. Dies führte zu einer Glaubensform, in der Schicksal und Prüfung in den Mittelpunkt gerückt wurden. So ist der höchste Schutzpatron des Bunkers Hiob, der die Qualen überstand, die ihm zuteil wurden und nicht vom Glauben abfiel.
Wie Hiob selsbt, betonten auch die geistlichen Vertreter unter der Bunkerbevölkerung, dass die Bewohner selbst ohne eigene Schuld in eine Lage versetzt wurden, die sie straft. Das Überleben, die Schuldgefühle und die Angst sahen sie als eine Art von Vor-Fegefeuer an, dass die Sünden bereits zu Lebzeiten tilgte und als Bewährungsprobe für die Lebenden.
Die Frage der Bewährung, der Prüfung, wurde ein zentrales Element der Bunkermoral. Selbst wenn das Schicksal bereits gezeichnet war, selbst wenn man ohne eigenes Zutun Leid etragen musste, wie ging man damit um? Man musste einfach das Beste aus der eigenen Lage machen.
Da zu diesem Leid auch die eigene Gefangenschaft unter der Erde gehörte, hielt sich auch die Schutzpatronin der Bergleute, die Heilige Barbara im Kanon des Bunkers. Sie ist Nothelferin und die Heilige vieler Handwerkskünste, die für das Überleben im Bunker elementar waren. So treten Hiob und Barbara oft in vielen Gebeten gemeinsam auf. Hiob als Vorbild, um dessen Kraft gebeten wird. Barabara als Helferin, wenn die eigenen Kräfte nicht reichen.