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Thema: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

  1. #541
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    Die zweite Frau: Anne Boleyn

    In die Zeit von Henrys theologischen Ambitionen fiel nämlich auch seine Affäre mit Mary Boleyn, der Tochter eines Diplomaten. Von Henrys Affäre, die sehr diskret verlief, weiß man heute nur, weil er in heißer Liebe zu Marys Schwester, Anne Boleyn, entbrannte. Diese Frau wollte er haben, aber Anne Boleyn ging die Sache kalkuliert an. Als sie merkte, wie sehr der König sie haben wollte (das war nicht schwer, er schrieb ihr ständig Liebesbriefe), machte sie ihm klar, dass sie nicht einfach eine austauschbare Geliebte werden wollte. Gerne könne sie sich ihm hingeben, aber erst, wenn er sie geheiratet und sie zur Königin gemacht hat. Anne pokerte also sehr hoch, aber Henry war eben ganz vernarrt in sie. Anne Boleyn war wahrhaftig eine tolle Partie: Schön anzusehen, von erlesener Bildung und vollendet in ihren Umgangsformen.



    Jetzt entdeckte der König sein Gewissen, was die Ehe mit der gealterten Katharina anging. Wie war das noch verlaufen damals, als sie heiraten sollten? Zuvor war Katharina mit seinem älteren Bruder Arthur verheiratet gewesen, und spätestens wenn die beiden mal intim geworden sein sollten, sah das Kirchenrecht die verschwägerten Henry und Katharina als Geschwister an. Der Papst hatte sich seinerzeit mit dem Argument aus der Affäre gezogen, man könne ja nicht wissen, ob Katharina und Arthur während ihrer Ehe tatsächlich das Bett miteinander geteilt haben. Jetzt verlangte Henry VIII. von Wolsey, er solle dafür sorgen, dass seine Ehe mit Katharina wegen dieses kirchenrechtlich konstruierten Inzest annulliert wird. Eine Ehe für nichtig erklären, das konnte aber nur der Papst machen.

    Wolsey machte sich ans Werk und diskutierte mit dem König die Strategie. Natürlich musste gegenüber dem Heiligen Vater verschwiegen werden, dass es Henry VIII. darum ging, Anne Boleyn zu heiraten. Es musste grundsätzlicher argumentiert werden: Der König habe in der Bibel im Dritten Buch Mose gelesen, dass es eine schreckliche Sünde sei, wenn ein Mann die Frau seines verstorbenen Bruders heiratet. Dummerweise stand in der Bibel an einer anderen Stelle zugleich das Gegenteil: Ein Mann solle sich um die Frau seines Bruders kümmern, wenn dieser verstirbt, und sie zu seiner Frau nehmen. Natürlich entschied man sich für die erste Leseweise: Der König leide furchtbar darunter, dass er in Sünde lebe, weil er die Witwe seines Bruders geheiratet hatte. Und stand im Dritten Buch Mose nicht weiter: „Sie sollen ohne Kinder sein, denn er hat damit seinen Bruder geschändet“, was Wolsey großzügig mit „sie sollen ohne Söhne sein“ übersetzte. Das also war die Erklärung für das Fehlen eines männlichen Thronerben! Gott strafte Henry und Katharina für ihre Sünden, und das brachte die Thronfolge des ganzen englischen Königreichs in Gefahr. Also bitte schön, hier musste der Papst doch was unternehmen!

    Bei aller Berechnung kann man Henry VIII. wohl nicht absprechen, dass er wegen dieser Angelegenheit tatsächlich einige Sorge um sein Seelenheil hatte. Es war ihm ernst mit der Forderung, der Papst müsse seine Ehe mit Katharina annullieren. Nur spielte Katharina bei der Sache nicht mit, wie sich der König das wünschte. Bei einer offiziellen Anhörung – skandalös genug, dass sie ihr überhaupt zugemutet wurde - fiel sie flehend auf die Knie, sie sei dem König eine immer treue und liebende Ehefrau. Außerdem sei die mit Arthur geschlossene Ehe nie vollzogen worden, ihre Heirat mit dem König also ohne Sünde. Katharinas Antwort zu der beabsichtigten Scheidung war eindeutig: Nunca. Niemals. Die Szene war für Henry ziemlich unangenehm, immerhin war die Königin äußerst beliebt und hatte sich immer tadellos verhalten. Und was nicht vergessen werden durfte: Katharina war ja kein Niemand, sie war eine Angehörige des spanischen Königshauses. Und das wurde nach dem Tod von Ferdinand bzw. nach dem Tod Philipps des Schönen von Karl V. geführt – kein Geringerer als der spanische König und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches in einer Person. So jemandem schickte man nicht einfach eine Prinzessin wegen Nichtgefallen zurück!



    Beide Seiten, König Henry und Kaiser Karl, übten nun Druck auf Papst Clemens VII. aus, er solle sich in dieser Streitfrage ja gut überlegen, mit wem er sich womöglich anlegt, wenn er dazu Stellung bezieht. Kein Wunder, dass die theologische Debatte an Fahrt aufnahm: Die Stelle im Dritten Buch Mose beziehe sich nur auf Juden, sagten die einen. Falsch, entgegneten die anderen, auch im Neuen Testament stehe unter Markus 6.18: „Denn Johannes hatte zu Herodes gesagt: Es sei nicht recht, dass du deines Bruders Frau hast.“ Und überhaupt, argumentierte Wolsey spitz, der damalige Ehedispens des Papstes Julius mache doch nur Sinn, wenn er davon ausgegangen war, das Arthur und Katharina die Ehe vollzogen hatten. Das war ja eben nicht der Fall gewesen, denn Julius II. hatte formuliert, die Ehe sei „vielleicht“ vollzogen worden. Der Einlass von Wolsey war damit ein Zweifel an der Unfehlbarkeit des Heiligen Vaters – ein solcher Affront führte eigentlich geradlinig zu der Loslösung von Rom!

    Natürlich wurde irgendwann doch ruchbar, dass es Henry bei der Scheidungsangelegenheit im Grunde darum ging, seine geliebte Anne Boleyn heiraten zu können. Das machte den Skandal für Kaiser Karl V. noch unerträglicher. Er ließ den Papst wissen, dass es ernste Konsequenzen haben würde, wenn er die Scheidung erlauben würde. Für ihn, den Kaiser, sei es kein Problem, mit einem Heer nach Rom zu marschieren und ihn als Papst schlicht abzusetzen. Jedenfalls würde die spanische Krone es niemals akzeptieren, wenn eine Angehörige seiner Dynastie derart entehrt werden würde. Aber auch Henry VIII. legte bei Clemens VII. nach: Wenn der Papst seiner Scheidung nicht zustimmen würde, dann würde das für die katholische Kirche in England ernste Folgen haben. Die protestantische Lehre könne dann seine Aufmerksamkeit erlangen, er als König habe die Macht, eine eigene, anglikanische Kirche zu gründen – mit sich selber als ihr Oberhaupt. Dann bräuchte er den Papst in der Scheidungsangelegenheit oder irgendeiner anderen Sache niemals mehr um Erlaubnis fragen. Wer will es dem Papst verdenken, dass er unter diesen Umständen auf Zeit spielte? Irgendwann würde Henry VIII. seiner Geliebten überdrüssig werden, dann würde sich das Thema hoffentlich von selbst erledigen.

    Diese Debatte zog sich inzwischen schon Jahre hin, und noch immer hatte Henry weder Katharina in die Wüste noch Anne in sein Bett locken können. Wütend ging er 1527 seinen Lordkanzler Wolsey an, er solle endlich etwas unternehmen. Der bat seinen König um Geduld, alles werde sich bald zum Guten fügen. Immerhin hatten Landsknechte des Kaisers kürzlich Rom grausam geplündert (Sacco di Roma) und Karl V. hatte gar den Papst verschleppt, doch der hatte sich aus der Gefangenschaft absetzen können. In einer derart bedrängten Lage, erklärte Wolsey dem König, sei Clemens VII. ein leicht zu gewinnender Partner für England. Aber der König hatte keine Geduld mehr, er wartete jetzt schon fünf Jahre, dass Wolsey seinen Job erfüllt. Dabei war inzwischen der gesamte europäische Adel gegen die Scheidung, England war außenpolitisch isoliert. Selbst das englische Volk, das Katharina verehrte, hatte kein Verständnis für diese Posse. Henry ging inzwischen auf die vierzig zu und hatte immer noch keinen Sohn, er wollte die Sache jetzt endlich durchziehen. Anne Boleyn bestärkte den König darin, dass Wolsey nun endlich liefern müsse.

    Am 31. Mai 1529 trat auf Druck des Königs hin ein Gericht unter Leitung Wolseys in London zusammen, um über die Annullierung der Ehe zu entscheiden. Natürlich erkannte Katharina das Gericht nicht an und unterstrich, dass nur der Papst in Rom darüber zu befinden habe. Damit hatte sie ja auch recht, der ganze Prozess drohte zu scheitern. Wolsey bekam es langsam mit der Angst zu tun, denn der König würde ihn persönlich dafür zur Rechenschaft ziehen, wenn er in der „großen Angelegenheit seines Königs“ versagt. Wolsey schrieb voller Angst sogar an den französischen König, dieser möge doch bitte die Scheidung unterstützen, ansonsten sei er, Wolsey, ruiniert und sei nie mehr in der Lage, dem französischen König einen Dienst zu erweisen. Das aber zog nicht, denn der Sturz des einst so mächtigen Kardinals zeichnete sich bereits ab. Henrys Meinung über Wolsey kippte jetzt um: So sehr, wie er ihm zuvor vertraut hatte, sah er Wolsey nun mit Argwohn. Handelte der Lordkanzler nicht häufig eigenmächtig und machtbesessen, untergrub Wolsey damit nicht die königliche Autorität? Ein Anlass, Wolsey anzuklagen, war schnell bei der Hand. Henry pickte die dubiose Wahl einer Äbtissin in einem Kloster in Wilton heraus, bei der Wolsey sich mit unlauteren Mitteln eingemischt hatte. Von der Sache wusste Henry schon länger, er hatte Wolsey zuvor bereits einen maßregelnden Brief geschrieben, bei dem er im Ton aber noch freundschaftlich geblieben war.

    Doch jetzt hatte Wolseys Stunde geschlagen: Clemens VII. hatte die Vollmacht für das englische Gericht, die Wolsey ihm zur Unterschrift gesandt hatte, verbrannt, und das Annulierungsverfahren Henrys nach Rom verwiesen. Dort eröffnete man im Juli 1529 die Verhandlung vor zahlreichen Beobachtern, die ein Urteil erwarteten. Doch das römische Gericht erklärte lediglich, die Verhandlung müsse aufgrund zahlreicher noch zu prüfender Dokumente bis Oktober vertagt werden. Großes Schweigen herrschte im Saal. Dann sprang der Herzog von Suffolk auf, Henrys Schwager und einst sein bester Freund, schlug mit der Faust auf den Tisch und rief: „In England ging es noch nie fröhlich zu, wenn Kardinäle unter uns waren!“ Das war der Auftakt. In ganz England machte die Nachricht die Runde, dass Kardinal Wolsey gestürzt sei.



    Am 9. Oktober 1529 wurde Wolsey aller seiner Ämter enthoben. Er habe, so lautete die Begründung, als päpstlicher Legat in England die königliche Autorität unterminiert. In den 44 Anklagepunkten fanden sich nicht nur politische Vergehen. Unter anderem beschuldigte man den Kardinal, den König absichtlich angehaucht zu haben, um ihn mit der Syphilis zu infizieren. Es gab genügend Leute, die Wolsey jetzt gerne vernichten wollten. Der König hielt sich damit noch zurück und versetzte Wolsey in seine Diözese York, die dieser noch nie besucht hatte, obwohl er seit 1514 Bischof von York war. Hier hätte Wolsey in Ruhe einen würdigen Abschluss finden können, aber er ging noch einmal aufs Ganze. Er verwendete seine Kontakte zu Vertretern des Kaisers und Frankreichs, um den König zu einer Politik zu bewegen, die Wolseys Rückkehr ins Machtzentrum möglich machen sollte und gleichzeitig Anne Boleyn und ihre Fraktion kaltgestellt hätte. Mit diesem Vorstoß verkalkulierte sich der alte Fuchs erheblich, das Verhalten war für Henry VIII. schlicht Hochverrat. Im November 1530 wurde Wolsey endgültig verhaftet und zu seiner Hinrichtung nach London transportiert. Lediglich der krankheitsbedingte, natürliche Tod am 29. November bewahrte Wolsey vor der sicheren Exekution.

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    Der zweite Berater: Thomas More

    Der Posten des Lordkanzler musste nun neu besetzt werden, und Henrys Wahl fiel auf den bisherigen Parlamentssprecher Thomas More. Seine Berufung in das Amt des Kanzlers hatte sicher auch damit zu tun, dass er kein Kleriker war, sondern ein Jurist. Der Gelehrte von europäischer Reputation galt als unbestechlich und war ein Denker der Staatskunst. Übrigens war Thomas More ein entschiedener Gegner von Martin Luther, somit ein überzeugter Katholik. Ebenso wie der Vorgänger Wolsey war More ein unermüdlicher Arbeiter, doch während der Kardinal ein sinnlich veranlagter Mann war, galt der Jurist als ernsthafte und nüchterne Person, die unter seiner Kleidung verborgen stets ein härenes Büßerhemd trug. Bis hierhin hatte More über die Jahre hinweg immer gut mit Wolsey zusammengearbeitet. Kaum war Wolsey entmachtet, trat More ihn aber mit Genuss rhetorisch in den Staub.



    Die erste Aufgabe, die More auszuführen hatte, war wohl ganz nach seinem Geschmack. Es ging darum, dass aus Deutschland Bibeln nach England einsickerten, die man in englischer Sprache gedruckt hatte. Anne Boleyn sympathisierte mit den protestantischen Ideen, die damit Verbreitung fanden, sie stand in dieser Frage also in Opposition zu Thomas More.



    Gleichzeitig wurde voller Emotionen darüber debattiert, dass es eine Schande sei, dass Könige sich der Autorität der Kirche beugen sollten. Da ging es bereits nicht mehr um die Frage der Scheidung, es ging um die grundsätzliche Frage, ob der König oder der Papst die letzte Instanz sein solle. In EU4 entspricht das der Entscheidung „Aufhebung der Apellationsmöglichkeit“. Für die Argumente kramte man weit in der Vergangenheit, analysierte die mittelalterlichen Dispute der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und der französischen Könige mit den Päpsten. Man ging sogar zurück bis zu den antiken römischen Kaisern. Dabei war ein Bruch mit einer gültigen Rechtsauffassung zeitlich näherliegend: Ein König, der auch im Kirchenrecht oberster Richter war, widersprach der Magna Charta von 1215. Trotzdem: Innerhalb seines eigenen Reiches, das war die englische Antwort, war der König die letzte Instanz. Das begründete man sowohl rechtsgeschichtlich als auch theologisch. Henry VIII. war in seinem Denken kein Protestant, er hielt es für einen sicheren Weg zur Sünde, wenn für jeden gläubigen Christen das eigene Gewissen als Maßstab dienen sollte. Aber er war natürlich in der Lage, die Sache mit Rom bis zum Ende zu überlegen. Grob formuliert, Henry ein Reformkatholik ohne Rom.



    Anfang 1531 setzte er den englischen Klerus unter Druck und verhängte eine Reihe von Bußgeldern gegen die Geistlichen. Henry forderte gleichzeitig von der Bischofssynode, ihn als „Oberhaupt der Kirche von England“ anzuerkennen, mit dem vagen Beisatz, der einen gewissen Interpretationsspielraum ließ und eventuellen theologischen Unsicherheiten Tribut zollte: „soweit das Gesetz Christi dies erlaubt.“ Innerlich war Thomas More gegen diesen Schritt, er verteidigte ihn aber öffentlich, er sei wichtig, da der König damit (gemeint war letztlich die angestrebte Scheidung) nur seinem Gewissen folge und England einen Thronfolger benötige. Als es aber zum Schwur kam, da konnte More seine Haltung nicht weiter verbergen. Während sich der englische Klerus im Mai 1532 dem König unterwarf, legte Thomas Morus sein Amt als Lordkanzler nieder. Er sah sich außerstande, dem Papst als obersten Führer in religiösen Fragen abzuschwören und den entsprechenden Eid auf Henry VIII. zu leisten. Das war es dann mit Mores Karriere.

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    Die Dinge waren soweit fortgeschritten, dass Anne Boleyn es sich nun leisten konnte, ihren sexuellen Widerstand gegen den König aufzugeben. Das hatte System, denn sie legte es jetzt wohl auf eine Schwangerschaft an. Das ultimative Argument, um den König zum Bruch mit Rom zu leiten. Und tatsächlich realisierte Anne Ende 1532, dass sie ein Baby bekam. Heimlich heirateten sie und Henry im Januar 1533, endlich war Anne Boleyn am Ziel ihres langen Weges, sie war Königin von England. Die Scheidung des Königs von Katharina war unter den gegeben Umständen natürlich nur noch Formsache, die Angelegenheit wurde jetzt daheim entschieden, nicht in Rom. Ihre Ehe wurde im Mai 1533 für nichtig erklärt, die Hochzeit mit Anne konnte offiziell gemacht, Anne zur Königin gekrönt werden.



    Stolz trug sie in ihrem Festgewand den Babybauch, Englands ungeborenen Thronfolger. Das Kind kam am 7. September 1533 zur Welt – und war ein Mädchen. Der König war so tief darüber enttäuscht, dass es wieder kein Junge war, dass er sogar der Taufe der kleinen Elisabeth fernblieb. Wenn er gewusst hätte, was für eine resolute und fähige Herrscherin Elisabeth I. später einmal abgeben würde, es hätte ihm und seiner Umgebung wohl viel Leid erspart.

    Jetzt erst wurde Henry VIII. bewusst, wie sehr er sein Land international isoliert hatte. Die anderen Königreiche (natürlich jetzt auch der Papst) erkannten die Scheidung des Königs von Katharina nicht an, dementsprechend wurde die neugeborene Elisabeth von ihnen als Bastard betrachtet. Für Henry gab es in der Frage der neuen „Anglikanischen Kirche“, der Loslösung von Rom, jetzt kein Zurück mehr. Nur, eine Reformation durchzuführen mit einem reformunwilligen König, war mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden. Henry entschied sich für die brachiale Methode: Er stellte nicht nur die laufenden Zahlungen nach Rom ein, er ließ die katholischen Klöster und andere kirchliche Güter für die Krone beschlagnahmen. Dieser Schritt führte zu hässlichen Szenen im Königreich, denn er lief natürlich nicht ohne Anwendung von Gewalt ab. Finanziell war das für das Königreich enorm gewinnbringend, die Schulden war Henry VIII. auf einen Schlag los. Aber es war eine einmalige Einnahme, die Folgen der Enteignung dagegen sollten noch lange negativ zu spüren sein. Wer sich in England gegen die Enteignungen stellte, dem drohte die Verurteilung gemäß der drastisch verschärften Hochverratsgesetzen: Als Hochverrat galt es fortan, den königlichen Supremat und die neue Sukzessionsakte nicht anzuerkennen und sich in irgendeiner Weise dagegen zu äußern. Es reichte sogar schon, etwas zu formulieren, das der Würde des Königtums irgendwie abträglich sei. Ein Gummi-Paragraph, der bei Bedarf gegen jeden angewendet werden konnte.



    Der neue Papst Paul III. versuchte noch, dagegen ein Zeichen zu setzen, und verlieh dem inhaftierten Bischof John Fisher von Rochester die Kardinalswürde, um diesen zu stärken. Henry VIII. nahm das als Provokation auf, er tobte, der Papst müsse den Kardinalshut nicht nach England schicken, lieber würde er dem Papst den Kopf des Bischofs zum Hut schicken. Dass es Henry damit Ernst war, zeigte der Brief, den er tatsächlich nach Rom schickte: Der Bischof werde den Kardinalshut wohl leider auf den Schultern tragen müssen. Dann wurde John Fisher am 22. Juni 1534 enthauptet. Man hatte den über 70jährigen, gezeichnet durch die monatelange Towerhaft, in einem Rollstuhl zum Schafott fahren müssen. Andere Priester, die weniger bedeutend waren, traf es in großer Zahl, sie wurden als Hochverräter grausam hingerichtet, denn auf diese Verurteilung stand in England seit jeher die Exekution durch Entweiden, Kastration, Strangulation und Vierteilung. Es traf nicht nur die Katholiken, nahezu zeitgleich wurden in England weiter die protestantischen Ketzer verbrannt.



    Auch der inhaftierte Thomas More entging nicht der Hinrichtung. Mehrfach wurde er aufgefordert, dem Papst abzuschwören und den Suprematseid auf den König zu leisten. Doch dazu war More nicht bereit. Am 6. Juli 1535 wurde er schließlich auf dem Tower Hill enthauptet und sein Kopf auf der London Bridge aufgespießt. Er ersetzte dort den des Bischofs Fisher.

    Im Sommer 1534 hatte Königin Anne aller Wahrscheinlichkeit nach eine Fehlgeburt. Der König, von Anne wegen seiner Affären zur Rede gestellt, antwortete ihr, sie tue gut daran, zu bedenken, woher sie gekommen sei und was er für sie getan habe. Heute würde er das, vor die Wahl gestellt, nicht mehr tun. Da hatte sich bei dem zuvor schwer verliebten König offenbar schwer was verändert. Der Nachfolger von Thomas More im Amt des Lordkanzlers, er hieß Thomas Cromwell, erkannte sehr wohl, dass es vor allem ein Hindernis für England aus dem Weg der politischen Isolation gab: Es war Anne Boleyn.
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    Der dritte Berater: Thomas Cromwell

    Cromwell war um 1485 in einem Londoner Vorort geboren worden und stammte aus schwierigen Verhältnissen, als Junge machte er frühe Erfahrungen mit Gewalt. Der Vater war Schmied und Bierbrauer, ein streitsüchtiger und zulangender Zeitgenosse. Thomas Cromwell kam also aus noch niedrigerem Status nach oben. So früh wie möglich entfloh der junge Cromwell dem despotischen Vater und heuerte zur See an. Bereits mit 18 Jahren machte er Bekanntschaft mit dem Krieg, er überlebte 1503 eine schreckliche Schlacht in Süditalien. Er glorifizierte das Militärische nicht nur, er kannte es aus eigener Erfahrung und wusste, unter welchen Bedingungen ein Heer im Feindesland unterwegs war. Den sozialen Aufstieg schaffte Cromwell dann als Angestellter eines italienischen Bankhauses, wurde Protestant aus Pragmatismus – er folgte schlicht dem „wind of change“. Zwar hatte er nie eine Rechtsschule besucht, dafür besaß Cromwell ein großes Geschick für Netzwerke und eine bestechend scharfe Beobachtungsgabe. Die Rechtslehre wurde sein Ding, als er mit Ende zwanzig wieder nach England zurückkehrte. Darauf baute er später seine persönliche englische Reformation auf. Im Dunstkreis des damaligen Lordkanzlers Wolsey und als Profiteur der Hinrichtung des illoyalen Buckingham stieg er in der Gesellschaft weiter auf. Den Sturz von Wolsey überstand Cromwell ohne persönliche Nachteile, offenbar hatte er sich rechtzeitig von ihm abgesetzt.



    Im Umgang mit dem König wusste Cromwell einerseits sehr gut, was der König hören wollte, andererseits sagte er ihm auch unbequeme Wahrheiten ins Gesicht. Das war gefährlich, doch er bediente damit geschickt das Bedürfnis des Königs, auch mal Gegenwind aushalten zu können. Seine Standpunkte machte er Henry gegenüber durchaus klar: Dass die teuren Kriege nicht genug einbringen. Dass die Klöster unrentabel sind und der Klerus korrupt. Dass der Papst kein Hoheitsrecht über die englische Rechtsprechung hat. Dass das Staatswesen effizient sein muss. Cromwell wusste dabei ebenso, wie weit er den König mit dem Protestantismus kommen konnte, ohne ihn mit allzu ketzerischen Ideen zu nerven. Den Papst setzte Cromwell in seinen Denkschriften auf den Status eines Bischofs von Rom zurück, während er den König als Herrscher über das englische Empire bezeichnete. Das gefiel Henry natürlich. Genüsslich nahm er den Klerus in England auseinander, deckte immer wieder neue Skandale von Korruption und delikaten Sünden auf.



    Selbst dem 360 Jahre zuvor ermordeten Thomas Becket, damals Erzbischof von Canterbury, machte er nachträglich den Prozess wegen Hochverrat gegen den König. Da der Angeklagte aus verständlichen Gründen nicht zur Verhandlung erschien, wurde Becket schuldig gesprochen und das Vermögen des Erzbistums eingezogen.



    Offenbar empfahl sich Cromwell mit solchen Schritten beim König für eine besondere Rechtsangelegenheit. Henry VIII. war desillusioniert, was seine Ehe mit Anne Boleyn anging. Aber es durfte nicht sein, dass sich ein König jahrelang derart in eine Liebesgeschichte einfach verrannt hatte. Ein anderer Schuldiger musste die Verantwortung dafür übernehmen. Cromwell hatte ihn bei der Hand: Anne Boleyn selbst – sie muss den König seinerzeit mit einem Liebeszauber verhext haben, Henry war demnach schlicht ein Opfer finsterer Hexerei geworden. Ironischerweise fielen diese finsteren Gedankengänge genau in die Zeit, in der Anne Boleyn und Henry VIII. eigentlich Anlass zum Aufatmen gehabt hätten. Nein, sie bekam keinen Sohn. Es ging um Katharina, ihr Leben neigte sich im Dezember 1535 dem Ende zu. Mit ihrem Tod einige Wochen später war die Invasionsgefahr durch den Kaiser endlich vom Tisch, der Kristallisationspunkt potentieller Komplotte nicht mehr existent. Thomas Cromwell ehrte die verstorbene Königin kurz vor seinem eigenen Tod mit der Feststellung, die Natur habe Katharina mit ihrem weiblichen Geschlecht ein Ungunst erwiesen: „Mit ihrer Tapferkeit hätte sie sämtliche Helden der Geschichte übertroffen.“

    Am 24. Januar 1536 stürzte der König während eines Turniers vom Pferd, worauf er zwei Stunden lang bewusstlos war. Königin Anne, die erneut schwanger war, befand sich zu dieser Zeit in ihren Räumen, und da man um das Leben des Königs fürchtete, schickte man ihr Kunde von dem schweren Unfall. Der Schock über diese Nachricht verstörte Anne so sehr, dass sie am 27. Januar – dem Tag des Begräbnisses von Katharina - eine Fehlgeburt erlitt. Der Fötus wäre ein Junge geworden. Nun sehe er klar und deutlich, soll Henry gesagt haben, dass Gott ihm keine männlichen Erben gewähre. Jedenfalls nicht von dieser Frau.
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    Die dritte Frau: Jane Seymour

    Henrys Auge war zu dieser Zeit bereits auf die nächste Kandidatin gerichtet, die den Gegentyp zu Anne Boleyn verkörperte: Jane Seymour, eine zurückhaltende und bescheiden auftretende Hofdame. Nach der selbstbewussten Anne war dem König der Geschmack offenbar nach einer pflegeleichten Dame. Jedenfalls sollte es wegen einer Königin nicht wieder außenpolitische Probleme geben. Es ging das bereits bekannte Spiel los, Henry ließ ihr Geschenke und allerlei Aufmerksamkeiten zukommen. Der König gab sich keine Mühe, sein Werben diskret zu halten, es kam also rasch auch Anne zu Ohren. Was ganz entscheidend zu ihrem Sturz beitrug, war sicher die Tatsache, dass sich Anne in Gegenwart anderer über den König lustig machte: Seine übertriebene Kleidung, sein Auftreten, seine Verse – und seine erotische Kompetenz: Er besitze als Liebhaber weder Geschick noch hinreichend Manneskraft. Das war endgültig der Punkt, an dem Henry buchstäblich die Schlinge um Annes Hals zuzog. Er ließ einen ihrer Musiker verhaften und foltern, bis die Anklage stand. Die Königin hatte mit diesem Mann Ehebruch gegen den König begangen. Das war zwar unwahrscheinlich, aber es war das Mittel zum Zweck. Anne Boleyn wurde nun auch in den Tower gebracht, wobei sie hysterisch gelacht haben soll. Der Prozess war abgekartet und sein Urteil vorhersehbar, natürlich schuldig. Rechtlich paradox an dem Urteil war, dass ihre Ehe mit dem König zunächst wegen ihrer angeblichen Hexerei annulliert wurde, sie war nichtig, hatte also nie bestanden. Und zugleich wurde sie des Ehebruchs verurteilt.

    Am 19. Mai 1536 wurde Königin Anne auf dem Gelände des Tower exekutiert. Der König hatte ihr einen letzten Liebesdienst erwiesen, als er aus Calais einen berühmten Henker anreisen ließ, der ihr mit einem Schwert kunstvoll den Kopf abschlug und nicht mit der sonst üblichen Axt (mit der es manchmal nicht beim ersten Hieb klappte). Während die Exekution im Gange war, soll Henry VIII. eine Partie Tennis gespielt haben.



    Einen Tag später verlobte sich der König mit Jane Seymour, die er zehn Tage darauf offiziell heiratete. Cranmer, der Erzbischof von Canterbury, hatte für diese neue Eheschließung einen Dispens erteilt, da Henry und Jane über Edward III. weitläufig verwandt waren. In der neuen anglikanischen Kirche war das für den König mit einem Dispens nicht mehr schwierig, der Papst musste ja nicht mehr gefragt werden.



    Neue Frau, neues Glück. Am 12. Oktober 1537 erfüllte sich Henrys Traum. In einer außerordentlich schweren Geburt, einem Martyrium, das zwei Tage und drei Nächte dauerte, brachte Jane per Kaiserschnitt einen Jungen zur Welt. Henry VIII. hatte den ersehnten Sohn. Der Kleine wurde auf den Namen Edward getauft. Prinzessin Mary (aus erster Ehe) und Prinzessin Elisabeth (aus zweiter Ehe) waren bei der Taufe zugegen.



    Aber das vollkommene Glück hielt nicht lang, denn Königin Jane starb am 24. Oktober im Kindbett. Henry war tief betrübt und in wirklicher Trauer. Da Jane ihm den ersehnten Erben geschenkt hatte, ohne äußeres Ungemach, ohne Gewissenskonflikte oder politische Kalamitäten und ohne Renitenzen einer Frau, sollte sie fortan immer seine Lieblingsfrau, ja sogar seine einzig wahre Ehefrau vor Gott, bleiben. Was ihn jetzt tröstete, war sein kleiner Prinz Edward. Er war von zarter Gesundheit und, wie sich zeigte, mit ebenso hervorragenden Intelligenz ausgestattet wie seine beiden Halbschwestern. Vom ersten Lebensjahr an wurde er auf die Thronfolge vorbereitet, eine große Last für das zarte Kind. Edward wurde ein ernster, frühreifer und überforderter Junge, den ein trauriges Schicksal erwarten sollte. Mit neun Jahren bestieg er nach dem Tod seines Vaters den englischen Thron, wurde zerrieben vom Machtkampf der Protektoren, die für den minderjährigen König das Reich lenkten, und starb vor Vollendung seines 16. Lebensjahres. Edward erhielt eine lupenreine protestantische Erziehung, wie auch immer man das am König vorbeimanövrierte. Hätte er länger gelebt, hätte die Anglikanische Kirche wohl eindeutiger protestantisches, vielleicht sogar puritanisches Antlitz bekommen.
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    Die vierte Frau: Anna von Kleve

    Binnen weniger Tage nach dem Tod seiner Gemahlin drängten die Staatsräte ihren König, wieder auf Brautschau zu gehen. Das kostete ihn Überwindung, doch es war seine dynastische Pflicht. Ein einziges Söhnchen von delikater Gesundheit war zu wenig für eine sichere Zukunft Englands. Die neue Ehe sollte wieder über politische Ziele definiert werden, England brauchte unbedingt eine ordentliche Allianz. Vorrangig gingen die Verhandlungen in Richtung des französischen Königs und des Kaisers, die auch bereits ihre Angebote zur Hand hatten. Selbst eine Ehe mit Schottlands Maria Stuart wurde erwogen, aber verworfen. Das französische Brautangebot empfand Henry VIII. als zweitklassig, empört wischte er eine Ehe mit Frankreich ganz vom Tisch. Oder doch, man könne ihm ja die beiden anderen Kandidatinnen zukommen lassen, er würde sich dann nach Augenschein eventuell eine aussuchen. Der französische Botschafter war so keck, den König zu fragen, ob er die Damen vorher gerne auch ausprobieren möchte, worauf Henry errötete. Das alles war wiederum eine Beleidigung für Francois I., der verlautbaren ließ, die Damen des französischen Hochadels seien keine Pferde, die man zu Markte trage.

    Blieb also eine Braut aus dem Kaiserreich, und zwar aus dem alarmierenden Anlass heraus, dass Francois I. und Karl V. zu dieser Zeit einen permanenten Waffenstillstand beschlossen. England durfte nicht in die Isolation geraten, es musste eine Verbindung zu Karl geschaffen werden, bevor dieser den Forderungen des Papstes, es müsse eine Invasion gegen das abtrünnige England stattfinden, ernsthaft Gehör schenken würde. Ein Krieg drohte, den eine Eheschließung zu verhindern hatte. Das war der Auftrag, den Henry nun Thomas Cromwell erteilte: Sieh zu, dass du die passende Braut vom Festland mitbringst. Eine verlockende Partie namens Christina, Nichte Karls V. und Witwe des Herzogs von Mailand, lehnte angesichts der Reputation des Königs, der bereits drei Ehefrauen verschlissen hatte, dankend ab. Wenn sie zwei Köpfe hätte, bemerkte sie, würde sie vielleicht einen Versuch wagen. Nun schaute sich Cromwell im Lande von Karls Rivalen um.



    Nach einigen Beratungen im Reich gab es da nur eine Kandidatin, die es allen Parteien politisch recht machen konnte, Anna von Kleve. Sie war 1515 in Düsseldorf zur Welt gekommen, Tochter des protestantischen Herzogs Johann III. und Schwägerin des sächsischen Kurfürsten, einem der protestantischen Führer der Schmalkaldischen Liga. Anna selbst war übrigens katholisch. England schickte nicht nur Gesandte nach Kleve, um den Heiratsbund zu verhandeln, sondern auch Henrys deutschen Hofmaler, der bereits von mehreren potentiellen Kandidatinnen Porträts angefertigt hatte. Das Gemälde von Anna von Kleve ist erhalten geblieben, sie sieht darauf ganz annehmbar aus, Henry bekam es gezeigt und freute sich darauf, seine Braut kennenzulernen. Als sie in England ankam, war das Zusammentreffen mit ihr jedoch nicht so, wie der romantische Henry sich das vorstellte. Er hatte wieder eine seiner spontanen Ideen und trat in unauffälliger Kleidung inkognito vor sie. Henrys Vorstellung war, dass seine künftige Gemahlin ihn sicher trotzdem voller Freude als ihren Erwählten erkennen würde. Das Gegenteil war der Fall, sie schaute sich von ihrem Fenster aus gerade einen Schaukampf an, bei dem Hunde einen Bären in Stücke rissen. Henry betrachtete sie nur kurz und uninteressiert, registrierte ihn gar nicht weiter. Fluchtartig verließ der König den Raum und fällte sein Urteil schnell: „Ich sehe nichts von dem an dieser Frau, was man von ihr berichtet habt. Ich mag sie nicht.“ Und dabei blieb es. Gelegentlich sprach er von der „flandrischen Mähre“, die man ihm angedreht habe. Das Dumme war nämlich, dass die Ehe vorab in Abwesenheit der Eheleute vertraglich und rechtlich bindend abgeschlossen worden war. Dem Hofmaler gab Henry wohl keine Schuld an dem Desaster, jedenfalls fiel er nicht in Ungnade.

    Dass Anna von Kleve dem König äußerlich zu unvorteilhaft erschien, hatte eine gewisse Ironie. Denn Henry VIII. - in jungen Jahren ein athletischer, gutaussehender Mann - war im Laufe der Zeit ein alter, fettleibiger, kahlköpfiger Mann geworden. Auch dass er an Anna bemängelte, sie würde schlecht riechen, war ein zweischneidiges Urteil. Okay, Henry war einerseits ein für seine Zeit außergewöhnlich reinlicher Mensch, leider hatte er eine eiternde Wunde am Bein, die nicht heilen wollte, und die roch auch nicht eben angenehm.

    Unangenehm war die Sache vor allem für Thomas Cromwell, der die Ehe diplomatisch eingefädelt hatte. Der König reagierte nicht mit einem Wutausbruch, er ließ Cromwell nüchtern wissen, er solle sich eine Lösung für die Angelegenheit überlegen. Aber Cromwell hatte keine Lösung zur Hand. Man konnte doch nicht die Heirat stornieren und so den Herzog von Kleve und den Schmalkaldischen Bund brüskieren. Das beste, was man daraus machen konnte, war die Hochzeitsnacht ohne näheren körperlichen Kontakt hinter sich zu bringen und Anna anschließend standesgemäß irgendwo zu parken, bis hoffentlich Gras über die Sache gewachsen war. Da die Hochzeitsnacht eine Staatsangelegenheit war, wurde jeder Schritt und jede Unterlassung genau aufgezeichnet. Da wird sich der Romantiker Henry bestimmt wohlgefühlt haben.

    Danach war der König dann doch sauer auf Thomas Cromwell, den er dafür verantwortlich machte. Henry VIII. schimpfte, er könne diese Frau einfach nicht anfassen, selbst ihre Brüste seien ekelig fest. An seiner Manneskraft könne es nicht liegen, meinte der König. Er habe regelmäßig „pollutiones nocturnas in somno“.

    Die Ehe als solche dauerte nur noch einige Monate an. Henry behandelte Anna von Kleve durchaus höflich und standesgemäß, die Scheidung war für ihn aber beschlossene Sache. Man durfte nur die Bündnispartner in Deutschland allzu sehr verärgern. Er konnte Anna selbst in dieser Sache auf seine Seite ziehen, eine stattliche Abfindung öffnete ihre Ohren (und ihre Geldbörse). Richtig, jetzt erinnerte sie sich daran, dass sie früher bereits mit dem Herzog Franz von Lothringen verlobt gewesen war. Na ja, und Gott sei dank hatten Henry und sie die Ehe nicht vollzogen, das wäre unter diesen Umständen ja Sünde gewesen. Anna selbst schrieb einen Brief nach Hause, in der sie ihren Vater um die Erlaubnis zu der Scheidung bat. Das genügte, um die halbwegs die Form zu wahren, und Kleve einen Gesichtsverlust zu ersparen. Anna von Kleve erhielt für ihre Kooperationsbereitschaft, neben der Abfindung, ein nettes Anwesen in England und eine regelmäßige Rente zugesprochen. Die junge Frau hatte für ihr Leben ausgesorgt. Und man höre und staune: Henry und Anna sollten freundschaftlich einander verbunden bleiben.
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  7. #547
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    Derselbe Herr, die nächste Dame



    Die fünfte Frau: Catherine Howard

    Als nächste Frau wurde dem alternden König die 18jährige Catherine Howard zugeführt, eine Vollwaise und Cousine der hingerichteten Anne Boleyn. Die Auswahl war kühl berrechnend vorgenommen worden, Catherine war die Nichte von Thomas Howard, dem Fürsten von Norfolk, einem Erzfeind von Thomas Cromwell.



    Das Mädchen war ein süßer Männertraum, man kannte ja die Schwäche des Königs. Allerdings war sie auch ein kokettes Früchtchen mit Vorleben. Henry nannte sie seine „Rose ohne Dornen“, was nur zeigte, wie sehr ihm mittlerweile jeder gesunde Instinkt abhandengekommen war. In Wirklichkeit war sie ein törichtes, verwöhntes Mädchen. Verständlicherweise zögerte Cromwell, die vom König gewünschte Ehe in die Wege zu leiten, immerhin würde sie den Aufstieg von Thomas Howard bedeuten. Henry VIII. war über Cromwells Zögern gar nicht erfreut.



    Als Thomas Cromwell am 10. Juni 1540 im Westminster Palace mit den Mitgliedern des Kronrats zum Mittagessen zusammentraf, spürte er alarmiert, dass man ihn schnitt. Als er anschließend seinen Platz am Ratstisch einnehmen wollte, sprang Thomas von Norfolk auf und rief: „Hier ist kein Platz für Euch! Verräter sitzen nicht neben Gentlemen!“ Direkt darauf wurde Cromwell verhaftet, der verbittert schrie, ob dies die Belohnung für seine Dienste sei. Ohne einen Prozess landete Cromwell im Kerker des Tower. Die Ironie an Cromwells Untergang war, dass er aufgrund der Gesetzeslage, die er selbst geschaffen hatte, mit der Anklage des Hochverrats ohne ordentliche Gerichtsverhandlung verurteilt und gerichtet werden konnte. Was Hochverrat war, bestimmte der König. Der Vorwurf der Ketzerei wurde gleich nachgeschoben, Cromwell habe mit den Protestanten im Reich konspiriert, um in England die Häresie zu etablieren.



    Entsetzt schickte er Hilferufe an den König: „Allergnädigster Fürst. Ich schreie um Gnade, Gnade, Gnade.“ Der hörte nur noch zerstreut auf die Gesuche seines einst mächtigen Dieners. Schließlich ließ Henry VIII. tatsächlich Milde walten: Er begnadigte Cromwell zur einfachen Enthauptung. Mit der Hochzeit wartete der König nicht lange. Die Ehe mit Catherine Howard wurde an jenem Tag geschlossen, an dem Thomas Cromwell seinen Kopf verlor. Der kluge Kopf Cromwells fiel am 28. Juli 1540 durch das Beil eines nicht sonderlich fähigen Henkers, der musste wiederholt zuschlagen. Ein Zeuge überlieferte gar, das Gehacke habe fast eine halbe Stunde gedauert, was die Zuschauer einigermaßen entsetzt haben dürfte. Wie bei Verrätern üblich, wurde der abgeschlagene Kopf anschließend auf der London Bridge aufgespießt.

    Tragisch, dass Cromwell unter anderem ausgerechnet für den Vorwurf der Ketzerei hingerichtet wurde, denn der kühl analysierende Machtmensch war lediglich aus politischen Gründen ein Protestant gewesen. Zynisch formuliert, herrschte bei Henry VIII. in Sachen Hinrichtungen übrigens Religionsfreiheit: Er ließ sowohl Katholiken als auch Protestanten verbrennen. Das zeigte sich zwei Tage nach Cromwells Exekution, als nämlich drei protestantische Prediger zusammen mit drei katholischen Papstanhängern, die den Suprematseid auf den König verweigert hatten, in einer gemeinsamen Zeremonie auf jeweils spezifische Art hingerichtet wurden. Die Ketzer wurden verbrannt, die Papisten gehenkt, worauf man ihnen die Eingeweide herausriss. Ein besonderes Vorspiel wurde den Schaulustigen zusätzlich dadurch geboten, dass man die Verurteilten paarweise zur Hinrichtung führte – jeweils ein Ketzer und ein Papist angebunden an einem Gitter, das durch die Straßen geschleift wurde, an der gaffenden Menge vorbei. Angeblich haben die Vertreter der verschiedenen Lager auf dem Weg zu ihrem sicheren Ende, angebunden auf ihren Gittern, noch theologische Debatten geführt und erbittert darüber gestritten, wer von ihnen für sich beanspruchen dürfe, als Märtyrer des Glaubens zu sterben. Eine Szene wie von Monty Python.

    Aber zurück zu der jungen Frau, die Henry VIII. - zumindest anfangs - so entzückte. Mit Catherine Howard wiederholte sich mehr oder weniger das Drama wie bei Anne Boleyn. Während der König sich wegen Migräne und wegen seines Beingeschwürs oft zurückzog, tanzte Catherine auf Bällen. Im Frühjahr 1541 begann sie eine Affäre mit ihrem Verehrer Thomas Culpeper. Feinde der Howards bei Hofe hatten diese Verliebtheit bemerkt und inszenierten eine Intrige. Als Henry VIII. mit Catherine auf einer Rundreise war, durchsuchte man aufgrund einer Denunziation das Vorleben Catherines. Der Musiklehrer Henry Manox und der Sekretär Francis Dereham wurden befragt und gestanden ihre Affären mit Catherine, Manox erzwungene Aussagen waren eindeutig: Er würde „ihre Möse“ unter Hunderten wiedererkennen. Diese Abenteuer fanden jedoch alle vor der Hochzeit mit dem König statt. Catherine wurde am 12. November 1541 verhaftet . Man hoffte, die Ungültigkeit der königlichen Ehe beweisen zu können. Dereham gab bei den Verhören zwar einen intimen Umgang mit der jungen Catherine zu, bestritt aber ein Eheversprechen. Culpeper gestand seine Zuneigung zu Catherine, bestritt aber ein vollständiges „fleischliches Erkennen“ standhaft. Trotzdem, Dereham wurde zum Tod durch Hängen und Vierteilen verurteilt und hingerichtet, Culpeper erhielt auf Grund seiner ehemals guten Beziehung zum König eine Umwandlung seiner Strafe in Enthauptung.

    Am 10. Februar 1542 wurde auch Catherine in den Tower von London gebracht und ihre Hinrichtung auf den 13. Februar festgesetzt. Auf eine Verteidigung oder Rechtfertigung verzichtete sie. In der Nacht vor ihrer Hinrichtung wurde der Richtblock auf ihren Wunsch in ihre Zelle gebracht. Sie übte ihre Hinrichtung, indem sie ihren Kopf immer wieder auf den Block legte. Am Morgen des folgenden Tages wurde sie im Tower enthauptet.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  8. #548
    Sie/Er/Whatever Avatar von Fimi
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    Das ist ja noch viel bescheuerter als das, was ich bisher über Henry VIII. wusste
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    Zitat Zitat von Fonte Randa Beitrag anzeigen
    Manchmal kann ich Fimi verstehen...
    Zitat Zitat von Kaiserin Uschi Beitrag anzeigen
    Ja, aber das ist nur ein Grundgesetzbruch, aber kein Verfassungsbrauch. Bring das mal vors Bundesgrundgericht ;)

  9. #549
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
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  10. #550
    Ewig unbezähmbar! Avatar von LegatBashir
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    Die Verfilmung "Die Tudors" ist da doch sehr an der Historie dran. Kann man echt empfehlen. Wobei man beachten muss, dass Jonathan Rhys Meyers insbesondere für die mittleren und späten Jahre Henrys zu gut aussieht. D hätte man in der Maske viel mehr arbeiten müssen.
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  11. #551
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    Zitat Zitat von LegatBashir Beitrag anzeigen
    Die Verfilmung "Die Tudors" ist da doch sehr an der Historie dran. Kann man echt empfehlen. Wobei man beachten muss, dass Jonathan Rhys Meyers insbesondere für die mittleren und späten Jahre Henrys zu gut aussieht. D hätte man in der Maske viel mehr arbeiten müssen.
    Meinst du die Serie von vor ein paar Jahren oder gibt es eine aktuelle Verfilmung?

    Bei der Serie taucht ja meiner Erinnerung nach Cromwell überhaupt nicht auf, da fokussiert man sich komplett auf die Frauen. (Was natürlich aus dramaturgischer Sicht völlig legitim ist, man kann halt in einer Verfilmung nie sämtliche Facetten eines Lebens beleuchten).

  12. #552
    Ewig unbezähmbar! Avatar von LegatBashir
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    Also ich meine diese Serie hier:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Tudors

    Und da tauchen alle Charaktere auf, die Mark bisher beleuchtet hat. Auch die Hinrichtung von Cromwell wird sehr anschaulich "dargestellt". Man sieht zwar nicht das Gehacke und das Blut, aber man bekommt mit, dass seine Gegenspieler den Henker am Vorabend und die Nacht durch abgefüllt haben und der muss dem dann eben den Kopf abschlagen. Mir wurde bei dieser indirekten Darstellung wirklich anders, wenn man dur die Geräusche hört und Cromwells anfängliches Geröchel. Ich hatte da absolutes Mitleid, auch wenn er ein Oportunist und Machtmensch war und genauso rücksichtlos war. Aber sowas hat echt keiner verdient
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  13. #553
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    Die sechste Frau: Catherine Parr

    Der König hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, seine Ehe mit Catherine Howard annullieren zu lassen, bevor er 1543 ein letztes Mal heiratete: Catherine Parr, eine knapp über 30 Jahre alte Witwe, hochgebildet und eine entschiedene Anhängerin der neuen Lehre. Auch bei Henrys Ehefrauen war sozusagen eine gewisse Bandbreite der konfessionellen Positionen vertreten. In familiären Angelegenheiten war sie klug genug, sich zurückzuhalten, und beschränkte sich darauf, die Beziehungen untereinander zu stabilisieren – sie kümmerte sich gut um ihre drei Stiefkinder Mary, Elisabeth und Edward, die der König aus seinen früheren Ehen mitbrachte.



    Die drei Kinder lebten auf verschiedenen Anwesen. Edward, der Thronfolger, wurde besonders geschützt und umsorgt, weil der König immer Angst um sein körperliches Wohlbefinden hatte. Mary, die älteste der Geschwister, identifizierte sich stark mit ihrer verstorbenen Mutter, sie trug das Kreuz der katholischen Katharina von Aragon immer bei sich. Die Unterwerfung Marys unter ihren Vater geschah nicht aus Liebe oder Überzeugung, sie war nur eine formale Demonstration. Das war anders bei Elisabeth, der Tochter von Anne Boleyn. Sie verherrlichte den meist abwesenden Vater idealistisch, und im Gegensatz zu Mary hielt es Elisabeth mit den Protestanten. Als Elisabeth heranwuchs, wurde sie dem König wohl regelrecht unheimlich, denn sie erinnerte ihn an Anne, die große Schattenfigur und Passion in seinem Leben. Eines hatten alle drei Kinder aber gemeinsam, sie waren intelligent und strebsam.

    Es ging gut mit Catherine Parr, warum auch immer. Der König war wohl müde geworden. Inzwischen wollte er keine weiteren Kinder mehr, dafür vergoss er noch reichlich Blut im eigenen Land.

    Was war bloß aus diesem Sonnenkönig geworden, aus dem Hoffnungsträger des Volkes und der gelehrten Welt? An mangelnder Frömmigkeit lag es nicht. Kern des Problems war wohl, dass er eine Reformation machen wollte, ohne dafür Protestant werden zu wollen. Seine Reformation glich nicht der eines Luther oder eines Calvin oder Zwingli. Henry VIII. sah sie eher als einen Staatsakt an, ein politisches Manöver zu dynastischen Zwecken. Die Lossagung von Rom sollte dem Fortbestand der Tudor-Dynastie dienen.

    Dazu kam sein auffälliger gesundheitlicher Verfall des einstigen Athleten und Vierschrot. Lange Jahre wollte sich Henry das nicht eingestehen, ließ sich von mehreren Männern aufs Pferd hieven, um weiterhin seinen geliebten Jagdausflügen zu frönen. Irgendwann ging auch das nicht mehr. Henry musste von mehreren kräftigen Männern in einer Sänfte von Zimmer zu Zimmer getragen werden, ins Bett gelangte er nur mit Hilfe eines Flaschenzugs. Das war dann tatsächlich die Endphase.

    Da Henry ja eine solche Freude hatte an theologischen Debatten und durch seine körperlichen Einschränkungen von seiner früheren sportlichen Freizeitgestaltung abgehalten war, nutzte Catherine das aus, las mit ihm und stieß diverse Debatten an. Das waren subtile Unterweisungen, unter der Vorgabe, in den Gesprächen von Henrys großartigen theologischen Kenntnissen profitieren zu wollen. Bei seiner Eitelkeit war der König doch immer wieder zu packen. Dabei wusste Henry ohne Zweifel, welche radikalen protestantische Gedanken in den Räumen seiner Frau diskutiert wurden. Besonders eifrig ging Henry noch immer gegen die „Sakramentierer“ zu Werke, also jene, die nicht an die Realpräsenz Christi in der Eucharistie glaubten. Eine Fundus dieser häretischen Lehren war die Verbreitung von Bibelkreisen, Lese- und Diskussionszirkeln in England, die nur entstehen konnten, weil man eine englische Bibel herausgebracht hatte.



    Die Bibel selbst lesen hieß, selbst zu denken und Dinge in Frage zu stellen. Davon hielten der König und seine konservativen Berater gar nichts, das Wort Gottes war für sie nichts, was man „in jeder Taverne, in jeder Bierkneipe“ auspoltern dürfe. Das „Gesetz zur Förderung der Wahren Religion“ von 1543 machte die Volksgabe der Bibel im Grunde hinfällig, den die Lektüre der Bibel sollte sich auf die obersten fünf Prozent der Gesellschaft beschränken: Aristokraten, Gentlemen, Kaufleute und Gelehrte durften sie im Stillen studieren, aber nicht öffentlich, nicht in Gemeinschaft. Frauen und Lehrlingen, der gesamten arbeitenden Bevölkerung, sofern sie alphabetisiert war, wurde die Bibellektüre verboten. Der König fürchtete nicht die Überzeugungen seiner Untertanen, sondern die Unruhe, die diese verbreiteten.



    Gleichzeitig zeigte Henry VIII. eine derartige Willkür und Unberechenbarkeit in seinen Verfügungen, dass sie geradezu System hatte. Damit terrorisierte er regelmäßig seine Umgebung am Hof, wo niemand sicher sein konnte, ob er nicht gleich eine jener spöttischen Kommentare des Königs an den Kopf geworfen bekam, die oftmals die Verhaftung und dann die Exekution zur Folge haben konnten. Am beliebtesten war der Vorwurf des Hochverrats und der Ketzerei, denn als König und Führer der Anglikanischen Kirche konnte Henry VIII. alleinig darüber entscheiden, wer deswegen anzuklagen war. Gnade gewährte er jenen, die aus ihren Kerkern inständig darum bettelten, gewöhnlich nicht. Kein Wunder, dass Henry sich auf dem Kontinent den Beinamen des „englischen Nero“ erwarb.



    Die Furcht vor plötzlichem Gunstverlust hatte jede Ecke des Palastes erfasst, eine allgegenwärtige und unsichtbare Lähmung der Höflinge. In einem Moment konnte man sich noch in hoher königlicher Gunst sonnen, im nächsten wurde man, des Hochverrats oder der Ketzerei angeklagt, vom Wachhauptmann abgeführt. Leben oder Tod, Armut oder Reichtum hingen nur an der jähzornigen Laune eines Königs, der von Schmerzen geplagt war sowie frustriert von den Einschränkungen seines Alters.

    Tückisch war, dass Henry manchmal auch jemandem Freundlichkeit vorspielte, um ihn kurz darauf zu vernichten. Sein Misstrauen wuchs ins Grenzenlose und mündete in zahllose Hinrichtungen, die in ihrer Zahl für diese Epoche ohne Vergleich waren. Selbst Bagatellverbrechen wie Diebstahl wurden mit dem Tode bestraft. Während seiner Regierungszeit dürften in England etwa 70.000 Exekutionen zusammengekommen sein.
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  14. #554
    Sie/Er/Whatever Avatar von Fimi
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    Zitat Zitat von Mark Beitrag anzeigen
    Die Bibel selbst lesen hieß, selbst zu denken und Dinge in Frage zu stellen. Davon hielten der König und seine konservativen Berater gar nichts, das Wort Gottes war für sie nichts, was man „in jeder Taverne, in jeder Bierkneipe“ auspoltern dürfe. Das „Gesetz zur Förderung der Wahren Religion“ von 1543 machte die Volksgabe der Bibel im Grunde hinfällig, den die Lektüre der Bibel sollte sich auf die obersten fünf Prozent der Gesellschaft beschränken: Aristokraten, Gentlemen, Kaufleute und Gelehrte durften sie im Stillen studieren, aber nicht öffentlich, nicht in Gemeinschaft. Frauen und Lehrlingen, der gesamten arbeitenden Bevölkerung, sofern sie alphabetisiert war, wurde die Bibellektüre verboten. Der König fürchtete nicht die Überzeugungen seiner Untertanen, sondern die Unruhe, die diese verbreiteten.
    Krass, dass die Bibel den Herrschenden mal als gefährliche Lektüre für die Unterschicht galt
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    Zitat Zitat von Fonte Randa Beitrag anzeigen
    Manchmal kann ich Fimi verstehen...
    Zitat Zitat von Kaiserin Uschi Beitrag anzeigen
    Ja, aber das ist nur ein Grundgesetzbruch, aber kein Verfassungsbrauch. Bring das mal vors Bundesgrundgericht ;)

  15. #555
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    Genau diese eigenständige Lektüre halte ich für das damals Revolutionäre an Luthers Protestantismus. Für mich als nichtreligiösen Laien klingt es so:

    • die katholische Kirche besteht darauf, dass der Mensch die Vermittlung und Dienste/Sakramente eines Priesters (z.B. die Absolution in der Beichte) benötigt, um in den Himmel zu gelangen. Die förmlichen Regeln müssen eingehalten werden.
    • die Protestanten sagen, es sind das Studieren der Schrift und der persönliche Glauben, die über Wohl oder Wehe der eigenen Seele entscheiden. Dem Priester kommt da nur die unterstützende Funktion eines Lehrers zu.


    Für die katholische Kirche eine Herausforderung, weil es ihre exklusiven Dienstleistungen überflüssig macht. Für den Adel eine Herausforderung, weil es die Untertanen zu eigenverantwortlichem Denken auffordert.
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