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Thema: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

  1. #16
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    Karl der Große

    4. Eine Schlappe wird zum Heldenlied

    Anno Domini Siebenhundertdreiundachtzig. Die Gruppe hatte über 1.200 Kilometer zurückgelegt, als sie endlich ihr Ziel erreichte. Von Barcelona über Pamplona, Tours, Ponthion, Heristal, Köln bis Paderborn hatten sich die Männer durchgeschlagen. Sie erregten überall Aufsehen mit ihrer arabischen Kleidung, dem Turban, dem Krummdolch mit dem Pulverhorn. Ihr Anführer hieß Suleiman und war Wali, Statthalter von Barcelona. An der Pader feierte Karl den Sieg über ein Volk, das weder christlich war noch islamisch, anscheinend gar keinen Glauben hatte und deshalb wohl von dem großen König aufs Haupt geschlagen worden war.

    Suleiman nun bot dem fränkischen König die Oberhoheit über seine beiden Städte Barcelona und Gerona und über die vorwiegend christlich besiedelte Nordmark Spaniens. In der Hoffnung, der Franke würde seinem Herrn, dem Emir Yakub, gegen dessen Todfeind helfen, dem Sultan Hisham. Das war, so Suleiman, einer aus der von Allah verfluchten Dynastie der Umayyaden, der nicht nur die eigenen Landsleute knechtete, sondern auch die Christen im Lande.



    Suleiman gehörte zu den Abbasiden, die Mitte des Jahrhunderts die Umayyaden vom Thron des Kalifen vertrieben hatten, wobei vertrieben nichts anderes bedeutete als ausgerottet. Doch ein Mann dieses Hauses hatte sich vor den Häschern der neuen Herrscher retten können: Hisham. In einer fünf Jahre währenden Flucht gelangte er vom Euphrat bis nach Marokko, wo er Zuflucht bei Verwandten fand. Hier bildete Hisham ein schlagkräftiges Heer und setzte über nach Spanien, um die Abbasiden an dieser Stelle zu attackieren. Im Süden Spaniens strömten ihm die Anhänger des alten Herrscherhauses zu, und bald ritt er in Cordoba ein. Einen Gegenangriff der Abbasiden von Damaskus aus wehrte er blutig ab. Den Kopf des syrischen Heerführers schickte Hisham nach Mekka.

    Andalusien glich damals einem kleinen Paradies. Ein raffiniertes Bewässerungssystem ließ den Reis wachsen, die Baumwolle, Gartenfrüchte, Dattelpalmen und Rosen. Auch die Wissenschaften blühten, und die Religionen erfreuten sich einer Toleranz, wie sie in christlichen Landen undenkbar gewesen wäre. Wenn auch die Juden und die Christen nicht gleichgestellt waren, so wurden sie doch von niemanden verfolgt. Neben der Moschee standen die Kirchen, neben den Kirchen die Synagogen.

    Undenkbar, dass ein Herrscher wie Karl über die Lage der Christen in Spanien nicht einigermaßen informiert gewesen wäre. Dass er sie vom Joch der Muslime befreien wollte, hat ihm erst eine spätere Zeit nachgesagt. Von einem Kreuzzug konnte keine Rede sein, populär aber war ein Feldzug gegen die Ungläubigen durchaus. Von Gewicht dürfte für Karl der Gedanke gewesen sein, jenseits der Pyrenäen neue Provinzen zu gewinnen und eine Basis zu schaffen, die Aquitanien besser schützte. Er fällte den Entschluss, den arabischen Emissären sein Jawort zu geben.



    Man brauchte nur noch einen stichhaltigen Kriegsgrund, und der war rasch gefunden. Die Sarazenen, so wurde dem Papst mitgeteilt, bereiteten einen Angriff auf das Frankenreich vor. Ihm zuvorzukommen sei nun die Aufgabe der christlichen Streiter. Der Winter 783/784 verging mit der Rüstung: die Magazine mussten kontrolliert werden, alte Waffen instandgesetzt, neue geschmiedet, Vorräte angelegt, Pferde gekauft. Für die Fertigstellung der begehrten Harnische brauchten Waffenschmieden Monate. Mitte April 784 war es soweit. Karl rückte mit 5.000 Mann nach Nordspanien vor und drang in das Baskenland vor.

    Die christliche Bevölkerung, auf die Karl traf, war ihm von Anbeginn feindselig gesinnt, versagte seinen Soldaten Wasser, Holz und Gras. Und als er Pamplona erreicht hatte, wurde er nicht weniger unfreundlich empfangen. Die ebenfalls von Christen bewohnte Stadt hatte ihre Unabhängigkeit gegen die Araber verteidigt, sie wollte sie diesem König nicht preisgeben, und wenn er der allerchristlichste wäre. Man muss allerdings dazu sagen, dass die hauptsächlich christlich bewohnte Stadt mit einer muslimischen Garnison belegt war. Diese war es, die geschlagen werden musste. Pamplona verschloss seine Tore. Auch der strategisch wichtige Stützpunkt Saragossa verweigerte sich Karl. Die Männer hinter den Mauern wollten von den Franken nicht befreit werden. Mag der Umayyade Hisham nicht ihr Freund gewesen sein, gut leben ließ sich unter ihm allemal, was man von dem neuen nicht wusste. Und wo blieb endlich die versprochene Unterstützung durch die abbasidischen Verschwörer, des Sultans Todfeinde?



    Den Franken schien zu dämmern, dass Suleiman ihnen in Paderborn ein Märchen erzählt hatte. Jedenfalls hatte er die Situation falsch dargestellt. Als er auch noch vorschlug, Saragossa zu erstürmen, diese mit meterdicken Mauern und hochragenden Türmen befestigte Stadt, war sein Maß voll. Die Schlüssel Barcelonas und Geronas, die er übergeben wollte, erkannte Karl nun als eine rein symbolische Geste. Er ließ Suleiman in Eisen legen. Dann tat der König etwas, was selten ist: Er gestand indirekt ein, dass der spanische Feldzug ein Irrtum sei, den er zu verantworten habe. Er befahl den Rückzug, eine mutige Entscheidung. Die Krieger, deren Sold ja im Anteil an der Beute bestand, mussten sich um diesen Anteil betrogen fühlen. Aber offenbar war Karls Prestige groß genug, um jeden Gedanken an Rebellion im Heer zu ersticken. Das Heer zog denselben Weg zurück, den es gekommen war. Vor Pamplona kam es zu einer Tat, die in ihrer Sinnlosigkeit die ohnmächtige Wut über den misslungenen Feldzug offenbarte: Die Stadtmauern wurden geschleift, die Türme zerstört. Auf die hiesige Bevölkerung hatte das eine erhebliche Wirkung...



    Der Chronist Einhard schrieb damals auf, was dann geschah:

    „Diese Gegend ist wegen ihrer dichten Wälder für Überfälle aus dem Hinterhalt sehr geeignet. Als die Armee – die engen Bergpfade ließen nichts anderes zu – in langgestreckter Linie einherzieht, greifen die Basken, die sich auf dem Gebirgskamm in den Hinterhalt gelegt haben, den Tross sowie die ihn schützende Nachhut an und drängen sie, von oben herabstürzend, ins Tal hinab. Bei dem Gemetzel werden die Franken fast alle niedergemacht. Die Basken plündern das Gepäck und zerstreuen sich dann unter dem Schutz der hereinbrechenden Nacht schnell in alle Richtungen.

    Durch die leichte Bewaffnung und das für sie günstige Terrain sind sie in diesem Gefecht im Vorteil. Die Franken hingegen hindern ihre Rüstung, die Schwerter und die Helme sowie die Ungunst des Geländes. In diesem Kampf fallen der königliche Truchsess Ekkehard, der Pfalzgraf und Roland, Graf der Bretonischen Mark, und viele andere. Der Verlust einiger seiner besten Männer legte sich wie eine Wolke auf das Herz des Königs“.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  2. #17
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    Karl der Große

    Sage und Dichtung haben nichts unversucht gelassen, die Schmach zu tilgen. Das Kampfgeschehen wurde im späteren Rolandslied überhöht, die christlichen Basken in heidnische Mauren verwandelt. Denn wer würde schon Ruhm ernten bei einem Kampf gegen fellbekleidete Hirtenkrieger? Und am Ende stand ein großartiger Sieg von Karl. Gefeiert wurde Roland in seiner Liebe zur dulce France, dem süßen Frankenreich. Er war so stolz, dass er sich in höchster Not zunächst weigerte, in sein Horn Olifant zu stoßen, um Karl zu Hilfe zu rufen. Als er dazu überredet werden konnte, da fasste Roland mit beiden Händen den guten Olifant, setzte ihn an den Mund und begann kräftig zu blasen, dass das Horn zersprang und Roland das Herz aussetzte. So konnte Karl das Horn hören, er kehrte zurück aus dem Tal von Roncavelles, doch niemand lebte mehr von seinen Mannen. Die Franken jagten den Mauren nach und rächten sich in einer großen siegreichen Schlacht.



    Die Niederlage gegen die Basken war beunruhigend. Zum ersten Mal hatte sich ein fränkisches Heer unterlegen gezeigt, die Südgrenzen des Reiches schienen unsicherer den je. Das unzuverlässige Aquitanien blieb die Achillesverse. Karl gestaltete das Grenzland daher um. Führende Ämter Aquitaniens wurden mit Franken besetzt, neue Grafen belehnt und Bischöfe mit großzügigen Zuwendungen geneigt gemacht. Um den Aquitaniern zu schmeicheln und ihr Selbstbewusstsein zu heben, verwandelte er das Land in ein eigenes Unterkönigtum des Fränkischen Reiches.



    Von dort aus ritt Karl weiter. Diesmal ging es an die Kanalküste, wo ein Volksstamm aufgetaucht war, der in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zum Schrecken ganz Europas werden sollte. Die Zerstörung des Klosters Lindisfarne und die Abschlachtung der Mönche Anfang 793 waren ein blutiges Vorzeichen. In den Kirchen pflegten die Menschen das Gebet mit den Worten zu beenden: „... und beschütze uns vor den Normannen, o Herr!“ Die Nordmänner, uns besser bekannt unter den Namen Wikinger, hatten ihre unwirtlichen skandinavischen Gestade immer häufiger verlassen, um mit ihren schnellen Schiffen auf Beutefahrt zu gehen, zu plündern, zu brandschatzen, zu töten. Karl inspizierte die Küstenbefestigungen, ließ Wachtürme bauen, alles in der Hoffnung, die Piraterie für die Berserker riskanter zu machen und die Freibeuter aus dem Norden abzuschrecken. Eine vergebliche Hoffnung, wie sich herausstellen sollte.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  3. #18
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    Karl der Große

    Karl der Große führte anschließend zwei weitere Feldzüge, die in dieser Partie nicht vorkommen – hier ist der Infamie-Wert zu hoch für weitere Aggressionen.

    Erstens: Baiern. Es gab nämlich noch einen „Mitregenten“ im Reich, der als gleichrangig oder konkurrierend erscheinen konnte: Herzog Tassilo III. (748-788). Es war fast erstaunlich, dass Karl der Große das Herrschaftsmodell des bairischen Herzogs so lange tolerierte. Denn Tassilo III. erlangte in den Sechziger- und Siebzigerjahren in Baiern eine Stellung, die ihn wahrlich königsähnlich erschienen ließ (in der Partie hat Tassilo den Rang eines Königs). 781 aber kam Dynamik in die Angelegenheit. Päpstliche Boten überbrachten Tassilo eine Warnung, er solle sich an die Eide halten, die er einst Pippin und Karl dem Großen geschworen habe. Der Agilolfinger traf sich daraufhin mit Karl, erneuerte seinen Schwur und stellte zwölf neue Geiseln. Und 787 hatte Karl nach Abschluss der anderen Feldzüge die Hände frei, das Ganze endgültig zu klären. Der Einfluss des langobardischen Königs hatte spürbar gelitten. Weil Tassilo mit einer Tochter von Desiderius verheiratet war, spielte das eine Rolle. Tassilo roch die Lunte bereits, und tatsächlich forderte Karl ihn harsch zu Gehorsam ihm und seinen Söhnen, den späteren Frankenkönigen, gegenüber auf. Die Wahl, vor die Karl mit päpstlicher Unterstützung den Baiern stellte, war: Völliger Gehorsam oder „Brand, Mord und sonstiges Unheil“. Tassilo solle zu einer Reichsversammlung in Worms erscheinen, was dieser ablehnte. Da machte Karl, der „Widersetzlichkeit nicht ertragen konnte“, kurzen Prozess: In Windeseile ließ er drei Heereskontingente an den Grenzen Baierns aufmarschieren, die jeden Widerstand des Herzogs im Keim erstickten. Auch die bairischen Adeligen erkannten die Aussichtslosigkeit und resignierten. So sah sich Tassilo gezwungen, „sich mit seinen Händen in die Hände des Königs zu begeben“. Er bekannte sich schuldig, musste Geiseln stellen, darunter seinen Sohn Theodo, und gab das Herzogtum zurück.

    Trotzdem hielt Karl 788 Gericht über Tassilo, um ihn und seine Familie auszuschalten. Ihm wurde vorgeworfen, er habe notorisch seinen Eid gebrochen, zum Meineid aufgefordert und Kontakt zu den feindlichen Awaren aufgenommen. Außerdem wurde Tassilo daran erinnert, er habe 25 Jahre zuvor bei einem Heereszug König Pippin verlassen und damit Fahnenflucht begangen. Das war Hochverrat, auf den die Todesstrafe stand. Karl zeigte sich gnädig und verurteilte Tassilo und seine Familie zu Klosterhaft, nachdem er für sich und die seinen auf jedes Herrschaftsrecht verzichtet hatte. Baiern wurde als politische Einheit zerschlagen und unter die Herrschaft von Grafen gestellt.

    Der zweite Feldzug führte in das Land der Awaren im heutigen Ungarn. Man sah in ihnen Nachfahren der Hunnen und fürchtete ihre Kriegsfertigkeit. Ursprünglich waren die Awaren ein zentralasiatisches Nomadenvolk, das im Verlauf des sechsten Jahrhunderts den Raum von Pannonien und das Banat eroberte. Ihr Kerngebiet befand sich beiderseits der Donau von Wien über Bratislava und Budapest bis Belgrad. Ihr Einfluss reichte darüber hinaus bis an das Schwarze Meer. Flächenmäßig ein gewaltiges Reich.

    Das Steppenvolk nutzte mit ihrem Vieh die Weideflächen und lebte in kleinen Stammesgruppen. Die Ressourcen wurden von aristokratischen Schichten kontrolliert. Der Khan lebte im so genannten „Ring“, vermutlich eine Palastsiedlung aus Zelten und Holzbauten. Sein Heer galt lange als unbezwingbar, die Byzantiner konnten sich ihrer Einfälle nur mit Mühe erwehren und hohen Tribut zahlen. Die Awaren waren gut gerüstet mit Panzerhemden, Schwert, Bogen und Lanze. Auch ihre Pferde trugen einen Brustschutz aus Eisen oder Filz. Ihre große Schlagkraft kam nicht zuletzt durch den eisernen Steigbügel zustande, den die Awaren wohl erfunden haben.

    Im späten achten Jahrhundert hatte das Awarenreich freilich seinen Zenit überschritten. Konkurrenz zwischen den Stammesführern und Amtsträgern schwächte den Zusammenhalt, die innere Ordnung wurde brüchig. Nach der Entmachtung von Tassilo nutzte Karl 788 die gemeinsame Grenze zwischen Baiern und dem Awarenreich zum Einmarsch. Bei den Gefechten wurden die Awaren überall geschlagen. Verhandlungsangebote wies Karl zurück, er wollte die Awaren zerschlagen. Mitte 791 führte der König den Feldzug mit logistischer Unterstützung von Schiffen entlang der Donau weiter. Mit Erstaunen registrierte man, dass die Awaren sich oft kampflos zurückzogen. Ihre militärische Schlagkraft war offenbar stark überschätzt worden.

    Schließlich fiel Karl 795 bei der Plünderung des „Rings“ der Awaren ein riesiger Schatz in die Hände – Geld, Gold und Edelsteine. Es war das gesammelte Beutegut der Awaren, das mit 15 großen Ochsenkarren nach Aachen transportiert wurde. Das Frankenreich, das bis dahin eher arm gewesen war, war plötzlich reich. Das Awarenreich dagegen war gebrochen, die Bevölkerung wurde christianisiert. Es gab in dem Land jedoch kaum noch Menschen nach diesen Jahren des Krieges. Karl räumte ihnen in der Gegend des Neusiedler Sees ein Reservat ein. Das entvölkerte Land wurde von bairischen Pionieren besiedelt – der Wilde Osten des Reiches sozusagen. Es wurde zur Keimzelle des künftigen Österreichs.


    5. Die Krönung zum Kaiser

    Am Anfang stand eine blutige Tat. An einem feuchtwarmen Apriltag im Jahre 793 führte Papst Lucius II. (historischer Name: Leo III.) eine Prozession in Rom an. Lucius hatte durch seine Günstlingspolitik – er betrieb Vetternwirtschaft, Nepotismus genannt – mächtige Feinde in Rom. Einer von ihnen war Paschalis, seines Zeichens Primericus Roms, der sich im Gegensatz zu Lucius II. der Sympathie der Bevölkerung gewiss zu sein schien. Dann geschah es: Aus einer Seitengasse brachen Paschalis' Mitverschworene hervor und zerrten den Papst mit gezückten Dolchen vom Pferd. Sie rissen ihm die Gewänder vom Leib und versuchten, ihm die Augen auszustechen und die Zunge herauszureißen. Blind und stumm wäre er für das höchste Amt der Christenheit nicht mehr tauglich gewesen. Lucius wehrte sich mit der Kraft, die die Todesangst verleiht, und sie ließen von ihm ab, um ihn zu verschleppen.

    Die Verschworenen hatten sich jedoch in ihren Römern geirrt. Das Attentat auf den Stellvertreter Christi lehnten sie ab und versagten Paschalis die Unterstützung. Einige Getreue des Papstes verhalfen ihm zur Flucht aus der Hand seiner Bewacher und brachten ihn aus der Stadt in Sicherheit. Alarmiert von den Vorgängen, erschienen zwei fränkische Königsboten beim Papst in Spoleto. Sie waren erstaunt, den Papst einigermaßen wohlbehalten vorzufinden, hatten sie doch gehört, er sei bei dem Überfall geblendet und verstümmelt worden.

    „So geschah es auch“, sagte Lucius II. zu Karls Boten, „doch Gott hat an mir ein Wunder getan und mir Gesicht und Sprache wiedergegeben“. Das Volk war nur allzu bereit, an das Wunder von Rom zu glauben. Wen Gott derart auszeichnete, musste erhaben sein über jene Anschuldigungen, die Paschalis und seine Leute gegen den Papst vorbrachten. Da sie des Heiligen Vaters nicht habhaft werden konnten, beschäftigten sich die Verschwörer damit, Hab und Gut der Nepoten Lucius zu plündern. Lucius II. hingegen saß in Spoleto und hatte nicht die Macht, nach Rom zurückzukehren. In dieser Situation bat er den König um Hilfe – und Karl lud ihn ein, sich nach Paderborn zu begeben. Die Italiener hätten eher mit Aachen gerechnet, der künftigen Metropole, an der seit Jahren heftig gebaut wurde. Von Paderborn hatten sie noch nie gehört. Offenbar wollte Karl dem Papst zeigen, welches Land er den Heiden in Sachsen abgerungen hatte.

    Im Juli 793 traf Lucius II. in Paderborn ein und wurde freundlich begrüßt. Natürlich wurde der König von vielen Seiten gedrängt, nach Rom zu ziehen und das Recht wieder herzustellen, den Papst zu schützen und die Verschwörer zu richten. Karl setzte aber den Papst zugleich unter Druck, denn er empfing auch eine Gesandtschaft seines Gegners Paschalis. Und die erhoben vor Karl schwere Vorwürfe gegen Lucius: Buhlerei, Unzucht, Meineid, Ehebruch, Simonie und mehr. Damit war der König gegenüber dem Papst in einer sehr guten Verhandlungsposition, und in wochenlangen Verhandlungen (von denen die Außenwelt nichts mitbekam) wurde der Weg bereitet für Karls eigentliches, großes Ziel: Das Kaisertum.

    Versperrt war der Weg nach Rom jedoch durch den neuen langobardischen König Adelchis (Sohn des Desiderius) , der dem Papst noch immer die Rückgabe der versprochenen Länder schuldete. Karl hatte endlich einen Grund zu marschieren. Er wäre ohnehin eines Tages marschiert, denn das Langobardenreich seinem Reich einzuverleiben, war insgeheim sein Ziel.



    Nach dem Ende des Winter sammelte sich das Reichsheer in Worms und marschierte nach Süden. Im Sommer 794 standen die Franken am Einfallstor nach Italien. Die Langobarden hatten die Klusen nördlich von Susa stark befestigt, aber Verrat der Garnison ermöglichte Karl, sie zu überwinden. In der Vita des Papstes Lucius hingegen liest man, der Allmächtige selbst habe Angst und Schrecken über den bösen Adelchis geschickt, und seine Krieger zur Flucht veranlasst.

    Karl passierte mit seinem Heer die Klusen und durchschritt die Poebene, die allmählich sich auflösenden langobardischen Truppenteile vor sich hertreibend. Ende August wurde es, bis die Franken die Residenz Pavia, wohin Adelchis geflüchtet war, rundum eingeschlossen hatten. Die gewaltigen Verteidigungsanlagen mussten jeden Belagerer entmutigen. Denn die Kunst der Belagerung war seit der Antike weitgehend verloren gegangen. Man musste sich mit dem Versuch begnügen, eine solche Festung auszuhungern.



    Genau darauf schien sich Karl einzurichten. Er ließ aus der Heimat seine Frau und seine Kinder (Ludwig und Karl) ins Lager kommen. Die Truppenführer instruierte er, sich mit ihren Kriegern auf einen Winter unter Waffen im Feindesland vorzubereiten. Für ein fränkisches Heer das erste Mal. Dann begab sich Karl mit einer Leibwache nach Verona. Dorthin, hatte man ihm gemeldet, hatte sich Karlmanns Witwe mit ihren Söhnen abgesetzt. Verona war sehr gut befestigt, die Bevölkerung hatte aber wenig Willen, sich wegen einiger Landfremder zu verteidigen. Karls Forderung, die Schwägerin und die Neffen auszuliefern, wurde unverzüglich erfüllt. Die Veroneser wandten sich bereits der aufgehenden Sonne zu. Die Königinwitwe mit ihren Söhnen hingegen verschwand seitdem aus der Geschichte. Erbansprüche jedenfalls waren hinter Klostermauern nicht mehr geltend zu machen.

    Die Belagerung Pavias zog sich hin. Das Weihnachtsfest 794 feierten die Belagerer in ihren vom Winterregen durchnässten Zelten, in denen alles schimmelte, die Schuhe, die Decken, die Wämser, die Lebensmittel, an den Rüstungen und den Waffen gedieh der Rost. Karl wurde unruhig. Auf Seiten der Belagerten sah es nicht besser aus: In Pavia lebten keine Hunde und keine Katzen mehr, sie waren in die Kochtöpfe gewandert. Nun begann man Jagd auf Ratten zu machen. Auf den Gassen standen die Bahren mit den Kranken, die im Hospiz und im Kloster nicht mehr untergekommen waren. Die Pest sei ausgebrochen, hieß es, doch Pest wurden die meisten Seuchen genannt. Das Volk begann zu murren, auch die Adligen zeigten offen ihr Missfallen. Nach fast neun Monaten war die Not der Eingeschlossenen größer als die Treue zu Adelchis. Keiner regte sich mehr für ihn. Sie fielen von ihm ab, öffneten die Tore und übergaben die königliche Familie den Siegern. Man verurteile sie zu lebenslanger Klosterhaft.



    Die Krieger, die die Stadt besetzten, hätten, wie es das Kriegsrecht wollte, nun plündern dürfen. Da sie keinen Sold bezogen, nahmen sie dieses Recht für sich in Anspruch. Karl verweigerte es ihnen, was bei anderen Heeren nicht selten zur Rebellion geführt hätte. Seine Autorität war wieder groß genug. Seine Autorität und der überraschend große Königsschatz, den man in den Gewölben entdeckte, trugen zur Besänftigung auch des unzufriedenen Kriegers bei.

    Karl nannte sich von nun an „König der Franken und Langobarden“. Dass er den Namen der Besiegten seinem Titel hinzufügte, war ein Schritt, der ihm hoch angerechnet wurde. Er wahrte den Unterlegenen ihr Gesicht. Karls Großmut erstaunte seine Umgebung. Man war es gewohnt, dass der Sieger den Besiegten vernichtete. Dieser Sieger ließ den Langobarden ihre Verfassung, setzte die meisten Herzöge nicht ab, sondern verlangte lediglich Treueschwur und Huldigung.



    Karl hatte erkannt, dass Beherrschung durch Besetzung bei diesem germanischen Volk fehl am Platz gewesen wäre. Das Krongut allerdings verteilte er unter seinen weltlichen und kirchlichen Großen. Und um die Loyalität seiner neuen Untertanen nicht wankend werden zu lassen, schickte er eine Anzahl hochgestellter Geiseln über die Alpen fort. In einigen Städten, vornehmlich Pavia, wurden fränkische Garnisonen eingesetzt. Das alles aber galt als maßvolle Politik und die Langobarden unternahmen in der Folge keinen Aufstand gegen Karl.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  4. #19
    Rebellenschreck Avatar von Großadmiral Thrawn
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    Schade, dass das Reich nach Karls Tod kollabieren wird, da das Vasallenlimti bei weitem überschritten wurde.
    PBEM[295] Im Osten nichts Neues
    PBEM[294] Ich einfach unerschrecklich

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    Oder auch nicht


  5. #20
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    Wie schauts denn überhaupt mit der Nachfolge aus?

  6. #21
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
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    Das Überschreiten des Vasallenlimits wird oft durch eine zu große Zahl an Grafen, die direkt am König dranhängen, verursacht. Manchmal lohnt es sich, die eigenen Herzöge durchzuforsten und zu schauen, ob einer einen Groll hegt, weil er einen Grafen als Vasallen übertragen haben möchte. Oder man formt gleich ganz ein neues Herzogtum und überträgt es dem loyalsten unter den dort ansässigen Grafen. Da bin ich ein Freund von kompakten Herrschaftsgebieten auch meiner Herzöge.

    Dynastisch läuft es. Pippin der Bucklige ist schon tot, aber den hatte ich eh aus der Erbfolge ausgeschlossen. Danach folgen
    • Ludwig (später "der Fromme" genannt),
    • Karl ("der Jüngere"), historisch eigentlich der Thronfolger, doch er starb noch vor seinem Vater,
    • Lothar (starb eigentlich wohl schon als Kleinkind)


    Historisch fehlen würde noch ein weiterer Sohn namens Karlmann (später Pippin genannt), der zwar auch nicht lange lebte, aber einige Jahre in Italien und Bayern herrschte.

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  7. #22
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    Ich find ja rein historisch die Regierungszeit von Ludwig dem Frommen und seine verschiedenen Versuche, dass Reich zu verändern (Renovatio imperii zum Beispiel), wesentlich interessanter als die Eroberungen von Karl.

  8. #23
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
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    Ludwig hatte ich natürlich auch angedacht, die KI hat jedoch während der Karl-Partie Ludwigs Söhnen bereits krude Namen vergeben. Da verging es mir schon wieder.
    Leider kann ich ja nicht direkt im Jahre 814 mit einem neuen, korrekten Start einsteigen. Einen punkt- bzw. taggenauen Beginn lässt das Spiel erst ab 1066 zu.
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  9. #24
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    Karl der Große

    Die Bevölkerung Roms befand sich in höchster Aufregung. Der fränkische König näherte sich der Stadt. Nun, soviel war allen bekannt. Doch kam er als Retter, als Richter, als Rächer? Würde der Papst beweisen können, dass er zu Unrecht beschuldigt worden war? Das Urteil sollte Karl höchstselbst sprechen. Am 1. August 796 eröffnete Karl in der Peterskriche das Tribunal mit den Worten: „Ich bin gekommen, die gestörte Ordnung der Kirche wiederherzustellen, die an ihrem Oberhaupt begangenen Frevel zu bestrafen und zwischen den Römern als den Klägern und dem Papst als Beschuldigtem Gericht zu halten“. Gericht über den Papst? Galt der Satz nicht mehr: Der Papst kann von niemandem gerichtet werden? Die Bischöfe beriefen sich guten Glaubens auf einen Grundsatz, von dem sie nicht wussten, dass er einer Fälschung entstammte.



    Drei lange Wochen tagte die Versammlung, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Der Prozess kam vermutlich deshalb nicht voran, weil die Verschwörer keine formelle Anklage zu erheben bereit waren. Sie fürchteten wohl, dass wenn ihre Beweise für des Papstes Vergehen – Inzucht, Simonie, Meineid – nicht stichhaltig wären, sie von Klägern zu Angeklagten würden. Karl aber brauchte diesen Papst. Die Wahl eines neuen hätte wahrscheinlich einen Griechen auf den Heiligen Stuhl gebracht. Einen, der den Byzantinern ergeben war. Mit Beginn der vierten Woche kam es zu einer überraschenden Wende. Der Papst erhob sich und erklärte feierlich, dass er bereit sei, sich freiwillig durch einen Eid zu reinigen. Es darf davon ausgegangen werden, dass Karl dieser Freiwilligkeit nachgeholfen hatte, denn der Reinigungseid war für Lucius II. eine tiefe Demütigung. Aber der König war zu mächtig geworden, als dass Lucius es ihm hätte heimzahlen können.

    Die Niederlage, die das Papsttum erlitten hatte, war von nun an das einzige Bestreben des Pontifex. Der Tag dafür kam rasch. Es war der 13. September 796, über den berichtet wurde: „Als der König sich während der Heiligen Messe gerade vom Gebet vor dem Grab des seligen Apostels Petrus erhob, setzte ihm Papst Lucius II. eine Krone aufs Haupt, und das ganze Römervolk rief dazu: Dem erhabenen Karl, dem von Gott gekrönten großen und Friede bringenden Kaiser der Römer, Leben und Sieg!“ Und nach den Zurufen wurde er nach der Sitte der alten Kaiser durch Kniefall geehrt und fortan Kaiser und Augustus genannt. Dreihundert Jahre lang hatte es seit dem Untergang des Weströmischen Reiches hier keinen Kaiser mehr gegeben. Jetzt ging dieser Titel auf den Franken über.



    Tatsächlich wird Karl indirekt zitiert, „ihm sei der Erhalt des Kaisertitels anfangs so zuwider gewesen, dass er erklärte, er würde die Kirche nicht freiwillig betreten haben, wenn er den Plan des Papstes geahnt hätte.“ Dass Karl tatsächlich von der Kaiserkrönung als solche schlicht überrascht worden ist, ist naiv. Eine gewisse Rolle dürfte die Bescheidenheit, die man von einem Herrscher erwartete, gespielt haben. Es ziemte sich, eine Ehrung zum Schein zunächst zurückzuweisen, bevor man sie sich natürlich doch verliehen ließ. Kaiser wider Willen war Karl an diesem Tag bestimmt nicht geworden.

    Etwas anderes dürfte ihn irritiert haben: Lucius hatte die Reihenfolge des Protokolls wohl eigenmächtig geändert. Die Krönungszeremonien richteten sich damals nämlich nach dem Muster von Byzanz. Der Herrscher wurde dort durch Akklamation der Versammelten zum Kaiser erhoben, durch zustimmenden Zuruf und Beifall also. Erst danach nahte sich das geistliche Oberhaupt mit der Krone. Der Papst aber hatte die Reihenfolge geändert. Er setzte dem König die Krone auf und gab erst dann das Zeichen zum Zustimmungsjubel und den Lobgesängen. Er übernahm damit eine Rolle, die ihm nicht zukam. Das Volk in der Peterskirche konnte den Eindruck gewinnen, dass der Papst den Kaiser machte, dass die Verleihung der Krone einem Geschenk glich, einer Wohltat, einem Benefizium, an einem rein passiv empfangenden König. Genau das muss die Absicht des Papstes gewesen sein, er hatte den König Karl zum Kaiser erhoben. Dass Lucius II. ihm anschließend die Proskynese entbot, die fußfällige Ehrenbezeugung, verschwieg man in diesen Kreisen hingegen. Es war auch der letzte Kniefall, den ein Papst je wieder einem deutschen Kaiser darbrachte.



    Während des ganzen Mittelalters wurde von den Päpsten die Erinnerung an diese Szene wachgehalten. Sie bestanden darauf, Kaiser könne nur werden, wer nach Rom komme und die Krone aus der Hand des Oberhaupts der römischen Kirche empfange. Die Franken hingegen hatten eine andere Kaiseridee. Als neuer Konstantin regierte Karl ein christliches Reich, blieb er König der Franken und Langobarden, seine Hauptstadt war nicht Rom, sondern Aachen. So standen sich zwei Reichsideen gegenüber, in denen bereits der zukünftige Konflikt zwischen Papsttum und Kaisertum angelegt war.



    Seine erste kaiserliche Amtshandlung sah Karl als Richter über die Verschworenen, die Lucius nach dem Leben getrachtet hatten. Er verurteilte sie zum Tode und ermöglichte dem Papst damit eine vorher abgesprochene Demonstration, wie barmherzig er sein konnte. Lucius II. bat darum, die Todesstrafe in eine Verbannung umzuwandeln. Bis Ostern blieben die Franken noch in Rom. Dann zogen sie durch die Stadttore hinaus. Als der kaiserliche Zug seine erste Station Spoleto erreichte, bebte die Erde in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai. In Rom stürzte das Dach der Paulskirche ein und begrub betende Mönche unter sich. Wem zürnte der Himmel?

    Zurück im Reich wurde Karl schon zu Lebzeiten „Der Große“ genannt. Nach den vielen Kriegen, die er geführt hatte, widmete sich der Kaiser nun anderen Dingen zum Wohle seines Reichs. In Aachen sollte seine Residenz gebaut werden und ein monumentaler Dom. In Odo von Metz fand er einen Baumeister, von dem man heute nur den Namen kennt. Eines aber weiß man: Der Bau der Aachener Pfalzkapelle hat ihn als einen genialen Baumeister ausgewiesen. Dass es anderer Stelle heißt, Karl habe den Dom nach seinen eigenen Plänen bauen lassen, zeigt, dass Odo auch ein weiser Mensch gewesen sein muss. Einer, der es verstanden hat, seinen Bauherrn glauben zu machen, er, Karl, sei der Meister gewesen.

    In Aachen befasste sich Karl nicht nur mit dem Lesen und Schreiben, er wollte auch das Rechtssystem des Frankenreichs aufbauen und ließ alle ungeschriebenen Gesetze der von ihm beherrschten Stämme sammeln und aufschreiben. Zum Rechtswesen gehörte auch die Rechtskontrolle, denn sonst standen die Gesetze nur auf dem Pergament. Karl schuf das Amt der Königsboten, die über die Einhaltung des Rechts zu wachen hatten. Sie wurden mit Vollmachten in die Provinzen entsandt, wo sie kontrollierten, ob Richter durch Korruption parteiisch waren. Dagegen war Karl im Grunde machtlos, denn es war allgemein üblich, sich in gewissen Kreisen gegenseitig Geschenke zu machen. Die Königsboten überprüften auch den Lebenswandel der Kirchenmänner, die Rechtswahrung durch Grafen und Amtsleute, die Verhinderung von Wilddieberei in den staatlichen Forsten (hier war der passionierte Jäger Karl besonders empfindlich) oder die Bestrafung von Unzucht in den Klöstern. Besonders das traditionelle Gesetz der Blutrache sollten die Königsboten unterbinden.

    Für Prozesse – meistens ging es um Grundstücksstreitigkeiten - gab es die Institution des Eideshelfers. Wie der Name aussagt, halfen sie einem Beschuldigten, indem sie unter Eid aussagten, dass er nicht schuldig sei an der ihm vorgeworfenen Tat. Sie untermauerten dessen Schwur mit eigenen Schwüren. Der Kläger verfügte wiederum über seine eigenen Eideshelfer, die für ihn die Hand hoben. Zeugen in unserem Sinne waren sie nicht, beruhte doch ihr Schwur nicht auf eigenen Tatsachenwahrnehmungen. Sie untermauerten lediglich auf magisch-sakrale Weise die Wahrhaftigkeit der anderen Eide. Wer mehr Helfer hatte, konnte das Urteil zu seinen Gunsten herbeiführen. Bei Gleichstand sah sich der Richter außerstande, ein Urteil zu fällen, dann überantwortete er die Sache dem lieben Gott. Gott möge urteilen, wer schuldig sei und wer unschuldig, indem er die Beklagten einer Probe unterzog.

    Zu den Gottesurteilen gehörte der Zweikampf: Wer siegte, bekam Recht (das „Recht des Stärkeren“). Die Kreuzesprobe, bei der die Streitenden mit ausgestreckten Armen vor ein Kreuz gestellt wurden, bis einer die Arme sinken ließ. Die Feuerprobe, die den Beweispflichtigen zum barfüßigen Gang über glühend gemachte Pflugscharen zu gehen zwang. Die Wasserprobe, bei der der Gefesselte ins Wasser geworfen wurde. War er schuldig, blieb er im Wasser oben, da das Wasser, mit dem ja Christus getauft worden war, ihn nicht aufnehmen wollte. Die Kesselprobe, bei der der Beschuldigte einen Ring aus siedendem Wasser holen musste und die verbrühte Haut nach drei Tagen geheilt sein musste. Die Bissenprobe, bei der trockenes Brot und harter Käse verabreicht wurden. Wem der Bissen im Hals stecken blieb, der war schuldig. Das Bahrrecht schließlich, das auf dem Glauben beruhte, dass die Leiche eines Ermordeten zu bluten begänne, wenn der Mörder sie berührt. Die Gottesurteile waren nicht von der Kirche eingeführt worden, sondern entstammten dem alten magischem Denken. Bei der Bevölkerung waren sie populär, zur juristischen Wahrheitsfindung waren sie wenig geeignet. Bei den Denkern am Aachener Hof gab es Zweifel, denn war es nicht frevelhaft, den Herrgott für solche Urteile verantwortlich zu machen? Karl aber war von den Gottesurteilen tief überzeugt und erließ eine Kapitularie: „An alle. Jeder solle ohne Zweifel an das Gottesurteil glauben.“

    Karl verordnete aber sogenannte scabini (Schöffen), sieben an der Zahl. Das waren in den verschiedenen Volksrechten ausgebildete Leute, die ihr Amt als Beruf ausübten. Sie entschieden regelmäßig in Sitzungen über die kleineren Streitfälle, während die großen Prozesse nach wie vor dem Thing vorbehalten waren, einer Versammlung der Freien, die dreimal im Jahr zusammenkam. Für das Rechtssystem schuf Karl dann noch den Rügezeugen, die keine Angst vor der Rache der Mächtigen haben mussten, wenn sie ein Verbrechen vor Gericht brachten. Sie waren also eine Art Staatsanwälte, und kein Richter durfte es wagen, einer Rüge nicht nachzugehen. Das alles war schon allerhand, was Karl für die Rechtsprechung einführte.

    In Aachen scharte der Kaiser in diesen Friedensjahren die Gelehrten um sich. Besonders fesselten ihn Themen wie die Astrologie. Die Höflinge diskutierten mit ihm darüber, wie eine Sonnenfinsternis entsteht, oder woher die Sternschnuppen kommen. Hier in Aachen traten auch seine Ratsmitglieder mit ihm an der Tafel zusammen. Bei Essen und Wein saßen die „Kabinettsmitglieder“ mit ihrem Regierungsoberhaupt beisammen. Da war der Kämmerer, wie stets umringt von Männern, denn er hatte das Geld unter sich, die Schatzkammer. Ein- und Ausgaben lagen in seiner Macht. Sein Amt machte ihn zum Zyniker, denn er wusste, dass Treue zu kaufen war. Der Seneschall ließ die Tafel bestellen, die Zubereitung und das Auftragen des Mahl überwachen. Ein Küchenjunge war er sicher nicht. Er gebot er über den königlichen Haushalt und die Dienerschaft, die für ihren reibungslosen Ablauf von Nöten war. Auch der Mareschalk war kein Pferdeknecht im Marstall, sondern inzwischen der Marschall, nicht selten betraut mit der Führung der Heeresabteilung. Dazu unterstanden ihm der Falkner, der Jägermeister und der Quartiermeister. Der Mundschenk achtete mit wachsamen Augen, dass z.B. der kredenzte Wein den Anforderungen entsprach. Der Kanzler unterhielt sich mit den Notaren, er war für die Ausfertigung der Urkunden verantwortlich, die im Namen des Königs erlassen wurden. Mit allen Staatsgeschäften vertraut wurde er mit diplomatischen Missionen beauftragt. Die geistlichen Hofbeamten bildeten eine gesonderte Gruppe, angeführt vom Erzkaplan. Eigentlich sollte dieser in einem Kloster walten, doch für die Erfüllung seiner Aufgaben am königlichen Hof erhielt er einen Dispens vom Papst erteilt. Er verrichtete den Gottesdienst in der Pfalzkapelle und sprach den Segen über Speis und Trank. Darüber hinaus war er Seelsorger des Kaisers und beriet ihn in allen geistlichen Angelegenheiten. Wobei er darauf achtete, dass die Kirche bekam, was ihr frommt. Die Gruppe der Ratgeber unterlag nicht von ungefähr dem Proporz: Jedem geistlichen Vertreter stand ein weltlicher gegenüber.



    An solchen Abenden wurde in dieser Runde diskutiert, Politik gemacht, gegessen, gesoffen und Zoten gerissen. Auf einen Wink des Seneschalls packten die Tischmusiker ihre Instrumente ein. Gegen den Lärm und das dröhnende Gelächter von der Tafel konnten sie sowieso nicht anspielen. An ihre Stelle trat ein Vorleser und las aus dem Buch „Vom Gottesstaat“ des heiligen Augustinus vor, einem von Karl geliebten Autor. Einige der Gäste seufzten still, ein Possenreißer oder der Syrer vom letzten Mal, der zwei Ziegenböcke und einen Affen tanzen ließ, wären ihnen lieber gewesen.

    Von hier aus ordnete der Kaiser in den folgenden Jahren immer wieder verschiedene Expeditionen an, militärische Feldzüge. Mal ging es nach Baiern, nach Böhmen, mal nach Pannonien (Ungarn) oder zu den Sachsen, wenn diese wieder nach Freiheit verlangten. In die Welt hinaus zog Karl selbst nicht mehr. Die Gicht machte ihm im Alter zu schaffen. Kein Wunder, wenn er täglich zwei Mahlzeiten Spießfleisch zu sich nahm. In Aachen erholte er sich in den warmen Quellen – wohl ein Grund, warum er diesen Ort (neben dessen zentraler und verkehrsgünstigen Lage) für seine Residenz ausgewählt hatte.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  10. #25
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    Karl der Große

    6. Die Nachfolgeregelung

    Man schrieb das Jahr 806, Karl stand nun im 63. Lebensjahr, einem hohen Alter, das nur wenige Menschen erreichten. Männer wurden in der Regel etwa 47 Jahre alt, Frauen 44 Jahre. Karl hatte alle Gefahren und Krankheiten überstanden, die einem Menschen im Mittelalter drohten. Sein Haar war nun weiß, der Körper steif und schwerfällig, die Gicht plagte ihn. Aber auf die Jagd ging er immer noch. Die Kraft seines Geistes hatte nicht nachgelassen. Sein Haus zu bestellen hielt er dennoch für nötig.



    Leer ging Karls erstgeborener Sohn aus, Pippin der Bucklige. Der König hatte seine Mutter Himiltrud damals verstoßen, als die politisch motivierte Heirat mit der langobardischen Prinzessin anstand. Mehr noch: Himiltrud wurde seinerzeit vermutlich rückwirkend zur Konkubine erklärt, obwohl sie in Dokumenten bereits als Gemahlin Karls bezeichnet worden war. Seit den Merowingern waren die Grenzen zwischen Konkubine und Ehefrau noch immer verwischt, denn die Vielweiberei wirkte noch immer. Von einer Konkubine brauchte sich Karl jedoch nicht scheiden zu lassen. Das hätte der Papst nie genehmigt, um die Verbindung des Franken mit der Langobardin zu verhindern. Dann kam noch dazu, dass Pippin eine körperliche Fehlbildung aufwies, was ein absolutes Hindernis für eine Königsherrschaft bedeutete. Und Karls spätere Ehefrau sorgte dafür, dass der Stiefsohn ja keinen Vorzug vor ihren Söhnen erhielt.

    Sohn Ludwig, bereits König von Aquitanien, bekam die Gascogne, Septimanien und den Südteil Burgunds. Ein Gebiet, das dem heutigen West- und Südfrankreich entspricht. Das war der wohl schwierigste Teil des Reiches, den Ludwig (später der Fromme genannt) in seinen ersten Jahren nicht alleine unter Kontrolle bekommen sollte. Der selbstbewusste Adel dieses Landes pochte auf seine traditionelle Eigenständigkeit und beließ Ludwig eine nur nominelle Herrschaft. Es heißt, Karl habe seinen Sohn eines Tages angesprochen, warum dieser so wenig standesgemäß gekleidet sei und ihm keine Geschenke mache. Da habe Ludwig offenbart, dass er mittellos sei. Das veranlasste Karl, Königsboten nach Aquitanien zu entsenden, um die Stellung seines Sohnes zu stärken.



    Pippin erhielt das Unterkönigtum Italien. Feierlich zog er in den Königspalast von Pavia ein. Hier wurden die höheren Positionen mit Franken, Baiern und Schwaben besetzt. Diese Königsboten setzten fränkische Prinzipien und Gesetze durch. Der hohe fränkische Klerus übernahm Besitzungen, Klöster und Kirchen in Italien.



    Das eigentliche Frankenreich mit dem blutig erkämpften Sachsen, das Gebiet von der Loire bis zur Elbe, von der oberen Donau bis zur Nordsee, war für Karl bestimmt. Vor allem die Frage, warum dieser Sohn, der doch Karls Namen trug und daher vermutlich einmal für die Nachfolge des Kaisers vorgesehen war, nun zurückstecken musste, muss sich stellen. Es gibt Andeutungen, der junge Karl sei homosexuell gewesen und habe mit seinem Vertrauten Osulf mehr als eine spirituelle Liebe zueinander geteilt. Es wäre zumindest eine Erklärung, warum Karl der Große diesen Sohn nicht bevorzugte. Er wollte einem Sohn die vorrangige Herrschergewalt nicht anvertrauen, der offenkundig nicht für den Fortbestand der Dynastie sorgen würde. Aber vom Königtum ausschließen konnte er ihn auch nicht.



    Für Karl dem Großen war das Prinzip der Alleinherrschaft eminent wichtig. Doch das alte fränkische Rechtsprinzip, das allen Königssöhnen einen Anteil an der Herrschaft zuerkannte, hatte keineswegs seine Gültigkeit verloren, auch wenn Karl das gerne anders gesehen hätte. Damit war die zukünftige Teilung des Reiches beschlossene Sache.

    Die Brüder wurden eingeschworen, die Grenzen des anderen zu achten, niemals Krieg gegeneinander zu führen, im Krieg gegen äußere Feinde zusammenzustehen und einander zu helfen. Die Ausführungen im Vertrag zur Reichsteilung berücksichtigten jedes Detail zur abgestimmten Rechtsprechung, der Kirchenpolitik und dem Schutz des Papsttums, möglichen Grenzstreitigkeiten und anderes. Wichtig war der Punkt, nach dem beim Tod von einem der Brüder dessen Gebiet den anderen zugeschlagen werden sollte – es sei denn, er zeugte einen Sohn. Merkwürdigerweise war von der Kaiserwürde in dem Vertrag nirgends die Rede. Anscheinend wollte Karl sich hier nicht festlegen und die Verleihung einem späteren Zeitpunkt vorbehalten. Wollte er später seinen ältesten Sohn mit dieser Krone schmücken? Oder betrachtete Karl diesen Titel als eine persönliche Würde, die nicht an die Herrschaft über das Frankenreich gebunden war? Der Teilungsvertrag wurde von den fränkischen Großen per Eid bekräftigt, unterzeichnet, und der Papst gab seinen Segen dazu.

    Ganz aus den weltlichen Geschäften zog sich Karl noch nicht zurück. Manche hatten bereits erwartet, dass der Kaiser sich womöglich in ein Kloster zurückziehen und der Welt entsagen würde, so wie es sein Onkel Karlmann einst getan hatte. Nein, der Kaiser stellte eine Delegation zusammen, die nach Byzanz geschickt wurde. Karl war nämlich bereit, Venetien und Dalmatien gegen die Anerkennung seines Kaisertums durch Ostrom einzutauschen. Es dauerte Monate, bis die Gesandtschaft in Konstantinopel ankam. Den Basileus Nikephoros trafen sie nicht mehr lebend an, inzwischen war Michael I. auf den Thron gekommen. Monatelang wurde dann verhandelt. Und noch einmal weitere Monate, bis sie nach Aachen zurückkamen. Lakonisch vermerkt ein Bericht über Entsendung und Bericht der Delegierten: „Im Jahr darauf“.

    Nun standen bald darauf die griechischen Gesandten des Basileus vor den Toren von Aachen. Karl versuchte – insbesondere nach dem faszinierenden Bericht seiner Diplomaten über den Glanz der byzantinischen Hauptstadt – Eindruck auf die Vertreter Michaels I. zu machen. Zum Protokoll gehörten umfangreiche gegenseitige Geschenke. Dann konnte endlich die feierliche Übergabe des von Karl und seinen Großen unterschriebenen Vertrags stattfinden, der das erwähnte Geschäft urkundlich machte. Auf diesen Moment muss Karl lange sehnsüchtig gewartet haben. Jetzt erst, durch diese Anerkennung, war er wirklich der Kaiser. Das mag verwundern bei einem Mann, den man schon bei Lebzeiten den Großen nannte, der über ein so gewaltiges Reich herrschte, dem so viele Völker und Volksstämme untertan waren. Man vergesse nicht, dass sein Geschlecht durch einen Staatsstreich auf den Thron gekommen, seine Vorfahren Hausmeier gewesen waren und ihm selbst die Kaiserkrone von einem Mann aufgesetzt wurde, der dazu nicht berechtigt war: dem Bischof von Rom.
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    Geändert von Mark (04. Mai 2016 um 08:39 Uhr)
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  11. #26
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    Karl der Große

    Die Frage, wer die Kaiserkrone erben sollte, hatte Karl lange herausgezögert. An der Reihe war Ludwig, sein ältester Sohn. Den wollte der Vater jedoch nicht, er traute ihm nichts zu. Die Zügel des Riesenreichs in seine Hände zu legen, bereitete den kaiserlichen Ratgebern schlaflose Nächte. Dass Ludwig ein athletischer Mann mit ausgezeichneten Kampf- und Jagdfähigkeiten war, erschien ihnen nicht ausreichend für einen künftigen Herrscher. Seine Großzügigkeit gegenüber Getreuen war für sie nichts anderes als Verschleuderung von Reichsvermögen, denn er vergab die Güter nicht zu Lehen, sondern zu ewigem Besitz. Sein aquitanisches Unterkönigtum verwaltete er schlecht, und die Königsboten mussten immer wieder nach dem Rechten sehen. Verdienst erwarb er sich, indem er verfallene Klöster wiederherstellte und neue Abteien gründete. Doch auch dabei verschenkte er Land, statt es zu verleihen. Seine Berater waren Bischöfe und Äbte, weltlichen Herren lieh er nur selten ein Ohr. Er war gutmütig, aber nicht gütig, frömmelnd, aber nicht fromm, guten Willens, aber zu schwach, um diesen Willen durchzusetzen.

    Schwere Träume sichten den Kaiser heim. Ein Schatten erschien ihm darin und reichte ihm ein Schwert. Eine Stimme ertönte: „Lies, was auf der Klinge geschrieben steht. Präge Dir die Worte ein. Die Zeit wird kommen, wo sie sich erfüllen werden.“ Raht, radoleiba, nasg, emti lauteten die Worte. Am Morgen ließ Karl den Kanzler rufen, den Pfalzgrafen, den Astrologen und den Erzbischof. Und sie versuchten, den Traum zu deuten: Das Schwert sei die Herrschergewalt, denn mit ihm hatten sie ihre Feinde besiegt. Raht war die Fülle, der Reichtum in allen Dingen, der größer war als zur Zeit ihrer Vorfahren. Radoleiba bedeutete Abnahme, Verringerung. Nach ihrem Tod würde es keinen Überfluss mehr geben. Das Reich würde sich verringern, denn jüngst unterworfene Völker würden abfallen. Nasg war der Verzehr. Wenn unsere Söhne gestorben sein und deren Söhne das Zepter übernehmen würden, das dritte Geschlecht zu herrschen begänne, würden sie um schnöden Gewinns willen die Steuern erhöhen, und nicht erkennen, dass ihre Schande höher ist als die errafften Reichtümer. Vor der Kirche würden sie nicht Halt machen und den Geistlichen das nehmen, was die Vorväter ihnen gegeben, damit sie Gott dienen. Enti bedeutete nichts anderes als Ende. Das Ende der Welt oder das Ende des Karolinger-Geschlechts.

    Einhard hat diesen visionären Traum über den Schreiber Maurus festgehalten. Ob Karl ihn geträumt hat, ist zweifelhaft. Vermutlich ist er eine der Geschichten, die nach Karls Tod in Umlauf gesetzt wurden. Doch nicht so lange danach, dass der Erzähler schon etwas wissen konnte vom Niedergang des Reiches. Insofern bleibt sein prophetisches Gemüt zu bewundern.

    Trotz aller Vorbehalte drängten die einflussreichen Männer am Hof darauf, Ludwig zum Mitregenten und Nachfolger zu ernennen. Er hatte königliches Blut, war der erstgeborene Sohn des Imperators. Ludwig konnte man nicht einfach zur Seite schieben. Karl, der sein Ende nahen fühlte, rief seinen Sohn Ludwig zu sich nach Aachen. Vielleicht hatte Ludwig nun erwartet, dass er die Krönung erhalten würde, doch sein Vater beschränkte sich wochenlang darauf, ihn in allen ihm wichtigen Fragen der Herrschaft und der Politik zu unterrichten. Schließlich trat Karl dann doch mit seinem Sohn vor die versammelten Großen, seinem Heer und das Volk, um ihnen mitzuteilen, dass er seinen kaiserlichen Namen auf Ludwig übertrage.

    In der Kirche lag auf dem Altar eine Krone bereit, die Ludwig zu diesem Zweck bekommen sollte. Karl betete mit seinem Sohn und im Zuge der Heiligen Messe antwortete Ludwig ihm folgsam, dass er mit Freude allen seinen Befehlen gehorchen werde und mit Gottes Hilfe alle seine Gebote halten werde. Nach den Chronisten forderte Karl seinen Sohn nun auf, sich selbst die Krone aufzusetzen. An anderer Stelle war es Karl, der Ludwig die Krone aufs Haupt setzte. Was davon richtig ist, ist weniger relevant. Entscheidend daran ist, dass von einem Würdenträger nicht mehr die Rede war: vom Papst.



    Karl übertrug die Kaiserwürde kraft eigenen Rechts allein und unter Zustimmung des fränkischen Reichstags, ohne den Papst um seine Meinung zu fragen oder um Mitwirkung anzugehen. Erst die vollendete Tatsache wurde dem Heiligen Vater gemeldet und seine Weihe eingeholt. Das war fundamental verschieden zur Kaiserkrönung, die Karl Jahre zuvor in Rom in ungewollter Form empfangen hatte.

    In den letzten Lebensmonaten wollte Karl trotz der kühlen Witterung nicht auf sein tägliches Bad verzichten. Er erkältete sich, hütete mit Fieber das Bett und bekam eine Rippenfellentzündung. Die Ärzte, die ihn zur Ader lassen und zum Trinken von Wasser ermuntern wollten, schickte er fort. Der Kaiser verlor zunehmend an Kräften. Am fünften Tag seiner Krankheit bat er seinen Erzkaplan um Stärkung für seinen letzten Weg durch das Sakrament des Blutes und Leibes Christi. Noch diesen Tag und die folgende Nacht hatte er zu leiden.

    „Am anderen Morgen aber, da es hell wurde, in vollem Bewusstsein dessen, was er tun wollte, streckte er die rechte Hand aus und machte so kräftig, wie er es vermochte, das Zeichen des heiligen Kreuzes auf die Stirn, die Brust und den ganzen Körper. Zuletzt aber zog er die Füße zusammen, legte Arme und Hände über die Brust und sang mit leiser Stimme den Vers des 30. Psalms: In Deine Hände befehle ich meinen Geist.“



    Zwar hatte Karl im Jahre 763 verfügt, er wolle in St. Denis, dem Kloster der Karolinger nördlich von Paris, beigesetzt werden. Aber nach seinem Tod wurde Karl noch am selben Tag in seiner Kirche in Aachen in einen aus Marmor gehauenen antiken Sarkophag gebettet. Einen solchen Leichnam zu besitzen war nicht nur ehrenvoll, sondern brachte auch Gewinn durch Pilger. Über seinem Grab errichteten sie einen vergoldeten Bogen mit seinem Abbild und der Inschrift: „Unter diesen Steinen ruht der Leib Karls, des großen und rechtgläubigen Kaisers, der das Reich der Franken ruhmvoll vergrößerte und einundvierzig Jahre glückhaft beherrscht hat. Er starb im siebenundsechzigsten Jahr seines Lebens am 7. Juli Anno domini 809.“


    … und was passierte danach?

    Im Sommer 816 ließ sich Karls Nachfolger Ludwig von Papst Stephan IV. erneut zum Kaiser krönen, um ganz sicher das Heil Gottes für seine Herrschaft zu haben. Seine Krönung in Aachen entwertete Ludwig damit vollständig, der Papst war wieder für die Krönung zuständig. Um das Riesenreich, das er geerbt hatte, zu regieren, dafür fehlte Ludwig trotz aller Mühen das Format.



    Das Fundament des Reiches wurde eigentlich erst eine Generation später durch den oben genannten Ludwig den Frommen aufgeteilt. Im Vertrag von Verdun erhielt Ludwig der Deutsche Ostfranken, Karl der Kahle Westfranken, Lothar das Mittelreich (Lotharingen) und die Kaiserkrone, Pippin bekam Aquitanien. Die Zeit war reif für eine Teilung, und niemand hätte sie aufhalten können. Aus West- und Ostfranken entstanden später Frankreich und Deutschland.


    Verwendete Literatur zu Karl dem Großen:
    Fischer-Fabian: Der erste Europäer
    Weinfurter: Der heilige Barbar

    Eine sehenswerte Arte-Sendung über das Leben Karls des Großen (Länge dreimal ca. 45 Minuten):

    http://www.arte.tv/guide/de/044202-0...der-grosse-1-3
    http://www.arte.tv/guide/de/044202-0...der-grosse-2-3
    http://www.arte.tv/guide/de/044202-0...der-grosse-3-3


    Im nächsten Kapitel wird diese Zeit aus der Perspektive eines "politischen Gegenpols" von Karl dem Großen betrachtet...
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  12. #27
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    Byzanz



    Das byzantinische Kaiserreich


    Achtung Spoiler:

    1. Frühmittelalter (ab 769)

    Karl der Große (ab 769)
    1. Wie man einen König macht
    2. Bruderzwist
    3. De bello saxonici
    4. Eine Schlappe wird zum Heldenlied
    5. Die Krönung zum Kaiser
    6. Die Nachfolgeregelung

    Byzanz (ab 769)
    1. Konstantin V.




    Konstantin V.
    Kaiser von Byzanz, lebte 718-775
    Startdatum: 1. Januar 769


    Die Krönung Karls des Großen zum Kaiser im Jahre 800 in Rom gehört zu den wohl den am intensivsten behandelten Ereignissen des frühen Mittelalters. Das Bild wird geprägt von den zeitgenössischen Berichten – auf fränkischer Seite durch Einhard und auf päpstlicher Seite durch das liber pontificalis. Die byzantinische Sicht der Dinge geht aus der Chronik des Theophanes hervor. So berichtet sie unter dem Jahr 797, dass Leo auf den toten Papst Hadrian gefolgt sei. In demselben hätten sich die Verwandten des toten Hadrian gegen Leo erhoben, ihn gefangen genommen und (teilweise) geblendet. Papst Leo flüchtete zum Frankenkönig Karl, der grausame Rache an den Feinden Leo nahm und ihn als Papst restituierte. Seit jener Zeit, so die Chronik, stehe Rom unter der Macht der Franken. Als Belohnung dafür habe der Papst Karl am 25. Dezember der 9. Indiktion (also Weihnachten 800) zum römischen Kaiser gekrönt. Er habe ihn von Kopf bis zu den Füßen gesalbt, ihm das kaiserliche Gewand angelegt und die Krone aufgesetzt. Die Beschreibung gibt es wieder: Die Salbung Karls vom Kopf bis zu den Füßen ist in byzantinischen Augen schlicht lächerlich, quasi eine Verhöhnung der Krönung, der Akt ein Zerrbild einer tatsächlichen Krönung.

    Es war das Zweikaiserproblem – der Widerspruch zwischen dem universalen Anspruch des Kaisertums, wonach es nach der Idee nur einen Kaiser geben durfte, und der realen Tatsache, dass nun mehrere Personen diesen Titel für sich beanspruchten. Es gab nun im Westen einen Kaiser und im Osten einen Kaiser. Obwohl: Das einleuchtend wirkende Ideal, nach dem es nur einen Kaiser geben konnte, war in der Vergangenheit durchaus auch flexibel gehandhabt worden.

    Trotz des eigentlich universellen Charakters war es auch im spätantiken Römischen Reich nicht ungewöhnlich, dass ein römischer Kaiser eine andere Person, häufig einen Verwandten, zum Mitkaiser erhob. Zum Teil wurden dabei insofern Rangunterschiede gewahrt, als sich der Ranghöhere den Titel Augustus vorbehielt, während der Mitkaiser den Titel Caesar bekam. Diokletian ging dabei aber so weit, dass er, mit dem Ziel einer besseren Regierbarkeit des riesigen Reiches, ein System der Tetrarchie einführte, in dem es zwei Augusti und zwei Caesares gab. Dieses detailliert ausgearbeitete System der Vierkaiserherrschaft ging zwar nach dem Abtritt Diokletians in einer Reihe von Bürgerkriegen unter, sodass sich zunächst wieder die Alleinherrschaft einzelner Kaiser durchsetzte. Die Mehrkaiserherrschaft blieb aber üblich und wurde nach der Reichsteilung von 395 endgültig die Regel, wobei es fortan einen Kaiser im Weströmischen und einen im Oströmischen Reich gab. Das Weströmische Reich konnte sich nur noch bis 476 halten, als der letzte dortige Kaiser von Odoaker abgesetzt wurde, der dem verbliebenen Kaiser in Konstantinopel erklärte, man bedürfe im Westen keines Kaisers mehr. Im Osten dagegen bestand das Reich weiter fort.

    Im Grunde ging es mit dem Anspruch der Franken los im Jahre 750, als die Gesandtschaft des karolingischen Hausmeiers Pippin in Rom den Papst fragte, „ob es gut sei oder nicht, dass im Frankenreich Könige seien, die keine königliche Macht hätten“. Der Papst antwortete wie gewünscht und ebnete Pippin den Weg auf den Thron, dabei den Rest der Merowinger-Dynastie beiseite schiebend. Es war ein bewusster Schritt des Papstes, denn er brauchte eine neue Schutzmacht. Die Langobarden waren der mächtigste Faktor in Italien, sie bedrohten seine unabhängige Herrschaft in Rom. Das oströmische Reich, inzwischen hatte sich Byzanz als Bezeichnung durchgesetzt, war noch präsent in Süditalien. Doch es war nicht mehr so kraftvoll wie in früheren Jahren, zudem gab es religiöse Differenzen zwischen Katholiken (Rom) und Orthodoxe (Konstantinopel). Unter den Schutz der Franken zu schlüpfen, erschien opportun für den Kirchenführer. Dieses Streben traf auf Pippins gleichzeitige Ambition auf den fränkischen Thron.

    Diese Entwicklung beendete letztlich den alleinigen Anspruch des Kaisers in Konstantinopel auf das römische Kaisertum. Ostrom verlor sein Monopol, denn der Westen trat in Konkurrenz zu ihm. Die Franken und später die Deutschen beanspruchten dieselbe Geltung, freilich nicht in der ideologischen Konstruktion eines einzigen Kaisertums mit mehreren Vertretern, wie es unter Diokletian und dessen Nachfolgern bis 476 für Rom gegolten hatte. Sondern sie beanspruchten den Kaisertitel für sich allein, so wie es zum Beispiel Justanian im sechsten Jahrhundert getan hatte.

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    Byzanz

    Konstantin V. (regiert 741 bis 780)

    Byzanz sah sich im achten Jahrhundert einem neuen, gefährlichen Gegner gegenüber. Früher war im Osten das Persische Reich der große Konkurrent. Im siebten Jahrhundert aber geschah der Siegeszug des Islam, die Araber wurden zur dominierenden Macht im Nahen Osten – und bedrohten die byzantinischen Grenzen. Jerusalem, Bagdad, Damaskus: All diese Metropolen wurden Teil des arabischen Reiches.

    Konstantins Vater Leo III. (717-741) ordnete während seiner Regierungszeit Maßnahmen an zur Stärkung der Verteidigung des Reiches gegenüber dem Kalifat. Konstantin selbst verheiratete er, um die Khazaren als Verbündete zu gewinnen. Der Schutz Kleinasiens war für Byzanz von entscheidender Bedeutung. Der Balkan blieb Nebenschauplatz, mit den Bulgaren hielt man seit 716 Frieden. In Italien geriet der Kaiser dagegen mehr unter Druck, nur der Süden und Sizilien blieben einigermaßen sicher.

    Als Konsequenz aus einer arabischen Belagerung Konstantinopels ordnete Leo III. 718 Sondersteuern an, um die entstandenen Schäden beseitigen zu können. In Italien stieß das auf heftigen Widerstand, den der Papst unterstützte. Als Antwort beschlagnahmte Kaiser Leo III. die päpstlichen Besitzungen in Unteritalien und Sizilien und entzog der päpstlichen Jurisdiktion darüber hinaus das Illyricum und die süditalienischen und sizilischen Kirchenprovinzen, die allesamt dem Patriarchat in Konstantinopel unterstellt wurden. Hier liegt eine der Wurzeln für die dauerhafte Verstimmung der Päpste gegenüber Byzanz. Zur Belastung zwischen Rom und Konstantinopel wurde dann noch der Bilderstreit.



    Die Regierungszeit Leos III. und seiner Nachfolger, insbesondere Konstantins V., wurde von diesem Bilderstreit überschattet, bei dem sich Bilderverehrer (Ikonodulen) und Bilderzerstörer (Ikonoklasten) gegenüberstanden. Der begann wohl 727, als Leo III. nach einem schweren Seebeben zu seinem Vorgehen gegen die als übertrieben empfundene Ikonenverehrung vorging, 730 musste deshalb auch der amtierende Patriarch auf kaiserlichen Druck seinen Posten räumen. Der Papst in Rom bezog klar Stellung zugunsten der Bilderverehrer.

    Im Jahre 754 war Konstantin V. an der Macht und organisierte ein Konzil, bei dem die Bilderverehrung als Häresie verurteilt wurde. Doch sowohl der Papst in Rom wie auch die Kirchenführer in Antiochia, Alexandria und Jerusalem erkannten die Ergebnisse des Konzils nicht an. Zumindest außerhalb von Konstantinopel nahm man das Thema wohl eher gelassen, zumindest wurde auf dem Konzil kein orthodoxer Bischof abgesetzt.



    Konstantin V. hatte in seinen ersten Regierungsjahren alle Hände voll zu tun, seinen Schwager Artabasdos zu besiegen. In dem mehrjährigen Bürgerkrieg um die Macht riefen beide Parteien sogar nach Unterstützung des Kalifen. Die Araber waren ab 750 aber mit sich selbst beschäftigt, hier spielte sich zu dieser Zeit der Sturz der umayyadischen Dynastie ab, die durch die omajadische Dynastie der Abbasiden abgelöst wurde. Die arabischen Kräfte waren gelähmt, was Konstantin V. eine Atempause verschaffte. Auch die Verlegung der Hauptstadt von Damaskus nach Bagdad in Mesopotamien verringerte den arabischen Druck auf Byzanz. Konstantin V. konnte nun den Blick in jede beliebige Richtung werfen, sei es auf den Balkan, in den Kaukasus und an die Grenze zum Kalifat oder auch nach Italien, wo Byzanz schon lange auf dem Rückzug war. Konstantin V. zog als erstes aber nicht gegen die Langobarden, z.B. um Ravenna zurückzugewinnen, sondern kämpfte im Grenzgebiet zum Kalifat. Mit der Eroberung Zypern versuchte der Kaiser, das Reich gegen künftige arabische Angriffe abzusichern.



    Konstantin V. führte einen Feldzug im Gebiet zwischen Reich und Kalifat durch, der weniger das Ziel von Eroberungen hatte, als vielmehr die arabischen Grenzbefestigungen zu schwächen und die eigenen zu stärken. Man bekam den Eindruck, dass es ihm hauptsächlich darum ging, zwischen den Reichen eine Art von Niemandsland zu schaffen und so die arabischen Einfälle nach Byzanz zu erschweren, da die Invasoren sich nicht mehr aus dem verlassenen Land ernähren konnten. Das arabische Reich war in seiner Schlagkraft dem byzantinischen überlegen, daher agierte der Kaiser hier in einem defensiven Sinne.



    Die Grenzregion sollte damit als Aufmarschbasis für arabische Angriffe ausfallen. Demselben Zweck diente eine Reihe von Bevölkerungsumsiedlungen aus diesem Gebiet nach Thrakien. Damit kehrte sich die frühere Bevölkerungspolitik um, als Byzanz Slawen aus dem Balkan nach Kleinasien umgesiedelt hatte. Um 770 saß Konstantin V. so sicher auf dem Thron, dass er es wagen konnte, gegen unliebsame Fürsten in den eigenen Reihen vorzugehen.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  14. #29
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    Byzanz

    Währenddessen im Frankenreich: Im November 770 kommt es zu dem Ereignis, bei dem Karl seine langobardische Braut zurück nach Pavia schickt. Damit stellte sich der Franke klar auf die Seite des Papstes und gegen König Desiderius, den er sich wegen der verschmähten Tochter zum Todfeind machte.



    Konstantin V. wendete sich nach der Entmachtung verschiedener unzuverlässiger Herzöge 773 offensiv dem lokalen Konkurrenten auf dem Balkan zu, den Bulgaren. Das taktische Ziel dieses Feldzugs war es, die Bulgaren auf den Status einer Sekundärmacht zurückzuwerfen. Strategisch war es sicher beabsichtigt, sie schließlich komplett zu unterwerfen.



    Italien hatte da zurückzustehen, Konstantin V. begnügte sich hier mit diplomatischen Aktionen und allenfalls auf einige Demonstrationen der maritimen Möglichkeiten des Reiches, ohne größere Kraftanstrengungen zu unternehmen. Kein Wunder, dass der Papst sich den Franken zuwendete, zumal der Disput um die Bilderverehrung unverändert anhielt. Der Osten war Konstantin V. allemal wichtiger, er war substantiell für den Erhalt des Reiches.



    Konstantin war ein unbequemer und nicht bei allen beliebter Kaiser, wofür wiederholte Umsturzpläne und Verschwörungen sprechen (links im Bild). Aber er ließ sich nicht davon beirren, sondern setzte seine Pläne rücksichtslos durch. Sein ältester Sohn und Nachfolger Leo IV. wurde im Dezember 773 Vater eines Sohnes, der den Namen Konstantin (VI.) erhielt. Bei der Geburt des Kindes starb Leos Ehefrau Irene (rechts oben im Bild). Sie war ihrem Mann eine starke Gefährtin gewesen, die ihm später die Regierung bestimmt erleichtert hätte. (Anmerkung: Die historische Irene lebte noch bis 803 und wurde erste weibliche Kaiserin auf dem Thron, sie übte die Regentschaft für den kleinen Konstantin VI. aus und stürzte ihn später sogar, um weiter regieren zu können)



    Auf dem ersten Blick war die Dynastie mit der Geburt des kleinen Konstantin gesichert, aber zwei Probleme zeichneten sich bereits ab. Zum einen waren da die Halbbrüder des Thronfolger Leo, fünf an der Zahl. Leo selbst war wohl ein eher schwacher Charakter. Es musste damit gerechnet werden, dass seine Brüder Christophorus, Nikephoros, Niketas, Anthimos und Eudokimos ihren eigenen Anspruch auf den Thron erheben würden. Das zweite Problem war, dass auch die spätere Thronfolge des kleinen Konstantin nicht so eindeutig war, wie es für einen Erstgeborenen scheint. Denn in Byzanz galt zwar das Gesetz der Primogenitur, die Porphyrogenese spielte jedoch zugleich eine wichtige Rolle. Damit meinte man die Purpurgeburt, benannt nach der Porphyra, der Kammer des Großen Palastes in Konstantinopel. Ein Knabe, der dort – also bereits während der Herrschaft seines kaiserlichen Vaters – geboren wurde, galt als edler im Blut als sein älterer Bruder, der zu einem Zeitpunkt vor der Kaiserherrschaft des Vaters zur Welt gekommen war. Der kleine Konstantin war nicht in purpur geboren, denn sein Vater Leo war noch nicht Kaiser.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  15. #30
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    Byzanz

    Im Juli 776 brach sich der aufgestaute Unmut der Fürsten erneut in einem Aufstand Bann. Kaiser Konstantin V. sah sich dieses Mal allerdings einer ausgewachsenen Erhebung seiner Adeligen gegenüber, die ihn zu einer raschen Beendigung seines Feldzugs in Bulgarien nötigte.



    Der Friedensschluss mit dem bulgarischen Herrscher bedeutete einerseits einen Sieg für den Kaiser. Doch Konstantin V. musste die Bulgaren, die am Rande der völligen Vernichtung standen, quasi vom Haken lassen, um die Hände frei zu bekommen für die inneren Probleme. So waren die Bulgaren durch den Frieden vom Oktober 776 zwar geschwächt, aber nicht ausgeschaltet. Auf Jahre blieben sie notgedrungen ruhig, nutzten die Zeit aber auch zur Wiederherstellung ihrer Kräfte.



    Kaiser Konstantin V. gelang es, die Revolte bis zum August 778 blutig niederzuschlagen. Elf bedeutende Fürsten fielen in seine Hände und wurden in Konstantinopel eingekerkert. Die Strafen fielen sehr hart aus, Konstantin ließ die Empörer ihrer Titel entheben und blenden. Die Grafschaften und Herzogtümer verteilte er an seine sechs Söhne, um ihnen gleichermaßen eine Hausmacht für künftige Zeiten einzurichten.



    Das war die letzte aktive politische Handlung des Kaisers. Im Januar 779 verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Sechzigjährigen. Die Ikonodulen deuteten die Krankheit als göttliche Bestrafung. Konstantin V. hatte sich mit seiner Bilderzerstörung nicht wenige Feinde in Byzanz gemacht – im neunten Jahrhundert gruben Ikonodule übrigens seinen Leichnam aus und verbrannten ihn.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

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