Seit einiger Zeit war Iwan IV. Witwer und auf der Suche nach einer neuen Braut, er strebte für seine inzwischen achte Ehe eine Verbindung mit England an. Die ganze Zeit während des Livländischen Kriegs wollte der Zar ein Bündnis mit England, auf dass die englische Flotte in der Ostsee eingreift. Dieser Versuch schlug jedoch fehl, weil der Königliche Rat sich weigerte, einen solchen Bündnisvertrag zu unterzeichnen. Iwan schrieb an Elisabeth I. den wenig freundlichen Brief, sie müsse ihre Macht offensichtlich mit „Handelsleuten und Krämern“ teilen: „Du verweilst in Deinem Jungfernstand, bist aber eigentlich ein ordinäres Frauenzimmer“. Dass er die „alte Jungfer“ verachtete, hinderte Iwan IV. nicht daran, Pläne für eine Vermählung mit ihr zu schmieden. Sein Heiratsantrag wurde jedoch abgelehnt. Im zweiten Anlauf warb Russland stattdessen um die Nichte der englischen Königin. Die (ebenfalls erfolglose) Brautwerbung hatte auch deshalb eine besondere Bedeutung, weil Iwan sich zugleich um Asyl in England bewarb. Das zeigte, wie unsicher sich der Zar seiner Position daheim wähnte. Der Umstand, dass Iwan IV. die Engländer umwarb und in diesem Zusammenhang englischen Kaufleuten großzügigen Zugang zum russischen Markt einräumte, kam bei seinen orthodoxen Landsleuten übrigens nicht gut an. Die vielen Ausländer erhielten am Rand von Moskau die eigene „Deutsche Vorstadt“ (als Deutsch wurde in Russland damals alles bezeichnet, das Westeuropäisch war), das Ausländerviertel. Zur großen Entrüstung des Klerus erlaubte der Zar den aus Livland umsiedelnden Lutheranern, in der Nähe von Moskau ihre eigene Kirche zu errichten. Die Freunde des Zaren waren schließlich protestantische Ketzer! Die Geistlichkeit suchte nach einem Vorwand, mit dem Ausländerviertel Schluss zu machen. Bitte schön: Der Metropolit ermahnte Iwan, dass die Ausländer ihre Privilegien beim Alkoholausschank nutzen würden, um brave russische Dienstleute zum Trinken zu verleiten. Der Klerus veranstaltete einen wütenden Pogrom in der Deutschen Vorstadt. Um die fanatischen Orthodoxen zu beschwichtigen, ließ Iwan IV. schließlich die Kirche, welche die Lutheraner errichtet hatten, niederbrennen.
Zurück zur allgemeinen außenpolitischen Perspektive. Der Untergang der osmanischen Armee bei Astrachan und die Zerschlagung der Krimhorde bei Moskau hatten die militärische Lage in Osteuropa klar verändert. 1575 war das erste Jahr seit langem, in dem die südlichen Grenzen Russlands nicht von den Tataren überfallen wurden. Zwei Jahre später starb der Khan der Krim, und sein Land fiel in eine lange innenpolitische Fehde. Im Westen stand die Wahl eines neuen polnischen Königs an. Die Orthodoxen setzten sich dafür ein, dass Iwan IV. auf den polnischen Thron gewählt werde, wobei der Zar wenig Ambitionen zeigte, die polnische Krone zu erwerben (er hielt die Idee eines gewählten Königs für Quatsch). Polen zu regieren hätte nur seine absolute Macht eingeschränkt, das Königreich war zudem in einem nicht guten Zustand. Sollten sich die Polen mit sich selber beschäftigen, Iwan IV. wollte die Zeit nutzen, um sich die Schweden vorzuknöpfen. Zwischen 1575 und 1577 gelang den russischen Truppen einige Erfolge im Baltikum, Reval als wichtigste Festung konnte aber nicht genommen werden. Indessen näherte sich das polnische Interregnum seinem Ende. Die Moskauer Diplomaten unterstützten den österreichischen Kandidaten Maximilian II. und führten mit ihnen Geheimgespräche darüber, wie die polnisch-litauische Union zu sprengen sei. Wie wäre es mit einer Aufteilung? Polen an Österreich, Litauen und Livland an Russland. Tatsächlich wurde Maximilian II. auf den Thron gewählt, er konnte ihn aber nicht lange halten: Die Gegner Österreichs wählten den Siebenbürger Stephan Bathory auf den polnischen Thron, und Maximilian II. starb im bald darauf Oktober 1576.
Bathory dachte nicht daran, solange untätig zu bleiben, bis die Russen Riga, Reval und Kurland eingesackt haben würden. Es gelang ihm nicht nur, seine innenpolitische Stellung abzusichern, Bathory schloss Ende 1577 auch einen Waffenstillstand mit den Türken, um die Hände freizubekommen gegen Russland. Er wollte als erstes Ziel die einst verlorene Festung Polozk zurückerobern. In Moskau nahm man die polnischen Kriegsvorbereitungen zwar wahr, unterschätzte sie aber. Iwan IV. beschloss, die Initiative bei sich zu behalten und griff mit einem Teil des russischen Heeres Kurland an. Diese Offensive würde die Polen zwingen, von ihrem eigenen Vorstoß abzulassen. Das war ein strategischer Fehler, Iwan IV. hatte seine militärischen Kräfte gespalten, so dass die Polen (die ihren Angriff gut vorbereitet hatten) im August 1579 Polozk erobern konnten. So was ist mir auch schon passiert, wenn ich zu siegessicher mehrere Festungen zugleich belagern wollte.
Das polnische Heer war 41.000 Mann stark und für sich bereits ein ernstzunehmender Gegner für die Russen. Zugleich traten nun auch die Schweden mit 17.000 Mann auf den Plan. Iwan IV. war reichlich unter Druck. Ihm fiel nichts besseres ein, als sich zunächst im strategisch wichtigen Narva einzuigeln. Was fehlte da noch zum Glück? Ganz klar: Im Frühjahr 1580 tauchten die Tataren wieder im Süden Russlands auf und plünderten das Land ungehemmt. Was für eine Scheiße – Iwan IV. machte seinen Gegnern im Westen hektisch ein Friedensangebot, das aber zurückgewiesen wurde. Obwohl Iwan den Polen anbot, das Baltikum mit Ausnahme von Narva abzutreten, bestand Bathory auf eben dieses Narva. Zar Iwan wurde nun richtig stinkig und drohte dem polnischen König: „Solltest Du aber nicht willens sein, Gutes zu tun, und schickst Du unsere Gesandten zurück, dann werden vierzig oder gar fünfzig Jahre lang keine Gesandtschaften und Eilboten mehr zwischen uns verkehren.“
Das nächste Ziel des polnischen Vorstoßes war jetzt Pskow. Wenn diese Festung fiel, wäre der russische Einfluss auf das Baltikum erledigt. Dort also musste die Schlacht entbrennen, von dessen Ausgang das Schicksal des Landes abhing. Erst im September 1581 begann Bathorys Armee mit der Belagerung der starken Festung. Zwei Monate haute man sich gegenseitig die Schädel ein, aber die resoluten Verteidiger hielten stand. Mit dem Einsetzen des Frostes mussten sich die Polen Ende 1581 zurückziehen. Bathory hatte sich an den Mauern von Pskow eine blutige Nase geholt, seine Streitkräfte waren erschöpft. Polen hatte nun auch Interesse an einem Frieden mit Russland. Iwan IV. verzichtete darauf, dem polnischen Heer nachzustellen, er musste die Schweden aus Nowgorod vertreiben. Die Schweden hatten zuvor bereits die schwachen russischen Garnisonen in Livland und Narva überwältigt und die Provinzen relativ locker in Besitz genommen.
Militärisch gesehen war die schwedische Kontrolle über Livland und Narva für Russland eine gefährliche Situation. Politisch ergab sich eine günstigere Entwicklung. Die Meinung von Polen über Schweden ging deshalb nämlich in den Keller, in der Form: „Sie begehren folgende Provinzen: Livland, Narva, ...“ In der Konsequenz rangelten sich nun auch Polen und Schweden, statt weiterhin gemeinsam gegen Russland vorzugehen.
Auf der Suche nach außenpolitischen Freunden führte Iwan IV. nun sogar mit den Katholiken Gespräche. Vielleicht konnte ja der Papst Russland dabei nützlich sein, mit Polen klarzukommen. In Rom hegte man die Hoffnung, Russland würde sich der antitürkischen Liga anschließen. Außerdem gab es noch das Ziel, die katholische und orthodoxe Kirche wieder zu vereinen. Das Gespräch des päpstlichen Legaten mit Iwan IV. in Moskau lief jedoch unglücklich. Vor der versammelten Duma stellte der Zar zunächst klar, er wolle mit dem Legaten nicht über Glaubensfragen reden, damit es nicht zu einem Zwist oder Streit komme. Aber genau für eine solche Diskussion war der Legat doch angereist! Dieser bestand so hartnäckig auf seinem Wunsch, bis Iwan sich bereit erklärte, über „kleine“ Glaubensangelegenheiten zu sprechen. Das ganze führte jedoch nur dazu, dass Iwan IV. höhnische Fragen stellte: Warum der jesuitische Legat sich den Bart schneide, ob es für den Papst angemessen sei, das Kreuz unterhalb der Gürtellinie zu tragen usw. Die darauf folgende Diskussion über die Apostel und die Herkunft der Kirche wurde ziemlich scharf. Der Zar erklärte, die orthodoxe Kirche erkenne die Autorität der ersten Päpste an, die nachfolgenden Päpste hätten jedoch durch ihr unsittliches Leben das Anrecht auf Verehrung verloren. Als Antwort darauf machte der Legat eine indirekte Anspielung auf das ebenfalls nicht makellose Benehmen des Zaren. Wütend sprang Iwan IV. auf und schrie: „Irgendwelche Dörfler vom Markt haben es dir beigebracht, mit mir wie mit deinesgleichen oder wie mit einem Bauern zu reden!“ Iwan war drauf und dran, dem Besucher mit seinem berüchtigten Eisenstab eins über die Rübe zu ziehen, seine Hofleute machten sich schon bereit, den Legaten im Fluss zu ersaufen. Doch der Zar beruhigte sich wieder und zwei Tage später entschuldigte er sich sogar dafür, dass er den Papst ein „Wolf und Raubtier“ genannt habe. Na ja, ein Durchbruch zur Überwindung der Differenzen zwischen den Kirchen war das alles nicht gerade.
Im Januar 1582 unterzeichneten Polen und Russland einen zehnjährigen Friedensvertrag, bei dem Russland auf seinen Anspruch auf Livland verzichten musste. Die beiden Festungen Pskow und Polozk blieben bei ihren jeweils aktuellen Besitzern. Ausgeklammert wurde die Frage, wem das schwedisch besetzte Narva zusteht. Iwan wollte Narva unbedingt zurückerobern, die Polen (die gerne das gleiche wollten, aber derzeit nicht konnten) ermahnten ihn scharf, davon die Finger zu lassen.
Schwedens König Johann III. dürfte gelächelt haben über den Zwist seiner Feinde um Narva. Er nahm bereits sehr viel ehrgeizigere Ziel in den Blick, nämlich die Zerschlagung Russlands. Von Finnland aus griff er Ladoga an – und lernte wie Bathory nun auch die russische Entschlossenheit kennen, ihre Festungen zu verteidigen. Schweden war nicht in der Lage, den Kampf gegen Moskau allein zu führen. Aber auch Moskau konnte seine militärische Überlegenheit nicht zur Geltung bringen. Im Süden war Nogai in Russland eingefallen, die Völker des Wolgagebiets hatten sich zu einem grandiosen Aufstand gegen die Zarenherrschaft erhoben, der sich zehn Jahre lang hinziehen sollte. Zwischen Russland und Schweden war eine Patt-Situation entstanden. Notgedrungen schlossen beide Seiten 1583 einen Friedensvertrag, der im Wesentlichen den Status quo abbildete. Russland musste seine Träume von der Dominanz an der Ostsee begraben.
Das war es mit den Ambitionen im Westen unter Iwan den Schrecklichen. Zig Jahre hatte man Krieg geführt, der Durchbruch zur Ostsee blieb Russland trotzdem verwehrt. Aber es gab ja noch eine weitere Möglichkeit zur Expansion, auch wenn die nicht so spektakulär daherkam. Die Rede ist von der Erschließung des sibirischen Osten.
Ich steige im Oktober 1582 ein, da besiegte eine kleine Abteilung von Tataren unter der Führung von Jermak den Herrscher des sibirischen Khanats. Dieser Khan hieß Kutschum und war ein Erbe der Goldenen Horde. In Sibirien war nicht besonders viel los. Die Bevölkerung lebte halbnomadisch in Stämmen, ging der Fischerei und der Jagd nach. Viehzucht und Ackerbau gab es hier nur in kleinem Umfang. Die Russen hatten sich bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts in diese Gegend vorgeschoben, die Grenze zwischen dem Zarenreich und dem Khanat Sibir bildete die Gebirgskette des Ural. Treiber der russischen Expansion waren die Kaufleute, besonders die Familie der Stroganow. Die hatte es mit dem Salzhandel zu Reichtum gebracht. Beim Zaren baten die Stroganows um die Erlaubnis, in der sibirischen Wildnis Wald abzuholzen und Bauern anzusiedeln. In Moskau ahnte man bereits, welche Reichtümer Sibirien bereithielt. Wenn Kaufleute die Kolonisationsarbeit übernehmen wollten, konnte das nur recht sein. Natürlich ließ Iwan IV. deutlich niederschreiben, welche Abgaben die Stroganows dabei an ihn abzudrücken hatten.