4. Eine Schlappe wird zum Heldenlied
Anno Domini Siebenhundertdreiundachtzig. Die Gruppe hatte über 1.200 Kilometer zurückgelegt, als sie endlich ihr Ziel erreichte. Von Barcelona über Pamplona, Tours, Ponthion, Heristal, Köln bis Paderborn hatten sich die Männer durchgeschlagen. Sie erregten überall Aufsehen mit ihrer arabischen Kleidung, dem Turban, dem Krummdolch mit dem Pulverhorn. Ihr Anführer hieß Suleiman und war Wali, Statthalter von Barcelona. An der Pader feierte Karl den Sieg über ein Volk, das weder christlich war noch islamisch, anscheinend gar keinen Glauben hatte und deshalb wohl von dem großen König aufs Haupt geschlagen worden war.
Suleiman nun bot dem fränkischen König die Oberhoheit über seine beiden Städte Barcelona und Gerona und über die vorwiegend christlich besiedelte Nordmark Spaniens. In der Hoffnung, der Franke würde seinem Herrn, dem Emir Yakub, gegen dessen Todfeind helfen, dem Sultan Hisham. Das war, so Suleiman, einer aus der von Allah verfluchten Dynastie der Umayyaden, der nicht nur die eigenen Landsleute knechtete, sondern auch die Christen im Lande.
Suleiman gehörte zu den Abbasiden, die Mitte des Jahrhunderts die Umayyaden vom Thron des Kalifen vertrieben hatten, wobei vertrieben nichts anderes bedeutete als ausgerottet. Doch ein Mann dieses Hauses hatte sich vor den Häschern der neuen Herrscher retten können: Hisham. In einer fünf Jahre währenden Flucht gelangte er vom Euphrat bis nach Marokko, wo er Zuflucht bei Verwandten fand. Hier bildete Hisham ein schlagkräftiges Heer und setzte über nach Spanien, um die Abbasiden an dieser Stelle zu attackieren. Im Süden Spaniens strömten ihm die Anhänger des alten Herrscherhauses zu, und bald ritt er in Cordoba ein. Einen Gegenangriff der Abbasiden von Damaskus aus wehrte er blutig ab. Den Kopf des syrischen Heerführers schickte Hisham nach Mekka.
Andalusien glich damals einem kleinen Paradies. Ein raffiniertes Bewässerungssystem ließ den Reis wachsen, die Baumwolle, Gartenfrüchte, Dattelpalmen und Rosen. Auch die Wissenschaften blühten, und die Religionen erfreuten sich einer Toleranz, wie sie in christlichen Landen undenkbar gewesen wäre. Wenn auch die Juden und die Christen nicht gleichgestellt waren, so wurden sie doch von niemanden verfolgt. Neben der Moschee standen die Kirchen, neben den Kirchen die Synagogen.
Undenkbar, dass ein Herrscher wie Karl über die Lage der Christen in Spanien nicht einigermaßen informiert gewesen wäre. Dass er sie vom Joch der Muslime befreien wollte, hat ihm erst eine spätere Zeit nachgesagt. Von einem Kreuzzug konnte keine Rede sein, populär aber war ein Feldzug gegen die Ungläubigen durchaus. Von Gewicht dürfte für Karl der Gedanke gewesen sein, jenseits der Pyrenäen neue Provinzen zu gewinnen und eine Basis zu schaffen, die Aquitanien besser schützte. Er fällte den Entschluss, den arabischen Emissären sein Jawort zu geben.
Man brauchte nur noch einen stichhaltigen Kriegsgrund, und der war rasch gefunden. Die Sarazenen, so wurde dem Papst mitgeteilt, bereiteten einen Angriff auf das Frankenreich vor. Ihm zuvorzukommen sei nun die Aufgabe der christlichen Streiter. Der Winter 783/784 verging mit der Rüstung: die Magazine mussten kontrolliert werden, alte Waffen instandgesetzt, neue geschmiedet, Vorräte angelegt, Pferde gekauft. Für die Fertigstellung der begehrten Harnische brauchten Waffenschmieden Monate. Mitte April 784 war es soweit. Karl rückte mit 5.000 Mann nach Nordspanien vor und drang in das Baskenland vor.
Die christliche Bevölkerung, auf die Karl traf, war ihm von Anbeginn feindselig gesinnt, versagte seinen Soldaten Wasser, Holz und Gras. Und als er Pamplona erreicht hatte, wurde er nicht weniger unfreundlich empfangen. Die ebenfalls von Christen bewohnte Stadt hatte ihre Unabhängigkeit gegen die Araber verteidigt, sie wollte sie diesem König nicht preisgeben, und wenn er der allerchristlichste wäre. Man muss allerdings dazu sagen, dass die hauptsächlich christlich bewohnte Stadt mit einer muslimischen Garnison belegt war. Diese war es, die geschlagen werden musste. Pamplona verschloss seine Tore. Auch der strategisch wichtige Stützpunkt Saragossa verweigerte sich Karl. Die Männer hinter den Mauern wollten von den Franken nicht befreit werden. Mag der Umayyade Hisham nicht ihr Freund gewesen sein, gut leben ließ sich unter ihm allemal, was man von dem neuen nicht wusste. Und wo blieb endlich die versprochene Unterstützung durch die abbasidischen Verschwörer, des Sultans Todfeinde?
Den Franken schien zu dämmern, dass Suleiman ihnen in Paderborn ein Märchen erzählt hatte. Jedenfalls hatte er die Situation falsch dargestellt. Als er auch noch vorschlug, Saragossa zu erstürmen, diese mit meterdicken Mauern und hochragenden Türmen befestigte Stadt, war sein Maß voll. Die Schlüssel Barcelonas und Geronas, die er übergeben wollte, erkannte Karl nun als eine rein symbolische Geste. Er ließ Suleiman in Eisen legen. Dann tat der König etwas, was selten ist: Er gestand indirekt ein, dass der spanische Feldzug ein Irrtum sei, den er zu verantworten habe. Er befahl den Rückzug, eine mutige Entscheidung. Die Krieger, deren Sold ja im Anteil an der Beute bestand, mussten sich um diesen Anteil betrogen fühlen. Aber offenbar war Karls Prestige groß genug, um jeden Gedanken an Rebellion im Heer zu ersticken. Das Heer zog denselben Weg zurück, den es gekommen war. Vor Pamplona kam es zu einer Tat, die in ihrer Sinnlosigkeit die ohnmächtige Wut über den misslungenen Feldzug offenbarte: Die Stadtmauern wurden geschleift, die Türme zerstört. Auf die hiesige Bevölkerung hatte das eine erhebliche Wirkung...
Der Chronist Einhard schrieb damals auf, was dann geschah:
„Diese Gegend ist wegen ihrer dichten Wälder für Überfälle aus dem Hinterhalt sehr geeignet. Als die Armee – die engen Bergpfade ließen nichts anderes zu – in langgestreckter Linie einherzieht, greifen die Basken, die sich auf dem Gebirgskamm in den Hinterhalt gelegt haben, den Tross sowie die ihn schützende Nachhut an und drängen sie, von oben herabstürzend, ins Tal hinab. Bei dem Gemetzel werden die Franken fast alle niedergemacht. Die Basken plündern das Gepäck und zerstreuen sich dann unter dem Schutz der hereinbrechenden Nacht schnell in alle Richtungen.
Durch die leichte Bewaffnung und das für sie günstige Terrain sind sie in diesem Gefecht im Vorteil. Die Franken hingegen hindern ihre Rüstung, die Schwerter und die Helme sowie die Ungunst des Geländes. In diesem Kampf fallen der königliche Truchsess Ekkehard, der Pfalzgraf und Roland, Graf der Bretonischen Mark, und viele andere. Der Verlust einiger seiner besten Männer legte sich wie eine Wolke auf das Herz des Königs“.