Seite 16 von 45 ErsteErste ... 612131415161718192026 ... LetzteLetzte
Ergebnis 226 bis 240 von 668

Thema: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

  1. #226
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
    Registriert seit
    03.01.02
    Ort
    Remscheid
    Beiträge
    5.326

    Die Wehen der neuen Epoche



    1. Die glühende Krone - Heinrich VI. (regierte 1190-1197)

    Schon im Kapitel über Heinrich den Löwen tauchte er auf, als Stellvertreter Barbarossas im Reich und als Gegenspieler des Löwen bei dessen letzten Kampf um die Macht: Barbarossas Sohn Heinrich VI. Dieser Herrscher ist heute ziemlich unbekannt, gleichsam eingeklemmt zwischen dem Glanz seines Vaters Friedrich I. Barbarossa und seinem Sohn Friedrich II., die beide die populärsten Staufer sind. Und dann hat Heinrich VI. auch noch ein schlechtes Image, das nicht seine Beweggründe und die Umstände seines Handelns, sondern sein vermeintliches Wesen, das ihn als einen Gewaltherrscher zeigt. Lange Zeit war das völlig anders, erst im 19. Jahrhundert wurde Heinrich VI. zum „enfant terrible“ der Staufer. Die 1190er waren zwar schon im den beiden vorigen Kapiteln abgehandelt, ich erzähle die Sache aber noch einmal aus Heinrichs Perspektive, um quasi eine Lanze für ihn brechen.



    Heinrich VI. wurde 1165 geboren, er war der erste Sohn von Friedrich I. Barbarossa und Beatrix von Burgund. Schon mit vier Jahren wurde er auf Betrieben seines Vater zum König von Deutschland gewählt und gekrönt, Barbarossa wollte zügig seine Nachfolge geregelt sehen. Über die Jugendzeit von Heinrich ist wenig bekannt, sicher ist nur, dass er eine erstklassige Ausbildung genoss und bestens auf seine Rolle als König vorbereitet wurde. Einen ersten großen Auftritt hatte er 1184, als er zu Pfingsten auf einem prunkvollen internationalen Hoftag gemeinsam mit seinem Bruder Friedrich die Schwertleite erhielt.



    Nur wenige Monate darauf hatte der junge Heinrich Glück, dass er einem unrühmlichen frühen Ende entging. Er machte im Juli Station in Erfurt, um einen Hoftag zu leiten. Nach dem Sturz von Heinrich dem Löwen lagen der Mainzer Erzbischof und der Thüringer Landgraf wegen irgendeiner Sache im Streit, und Heinrich VI. sollte hier schlichten. Die Versammlung fand im oberen Stockwerk der Dompropstei statt. Weil so viele Leute im Saal waren, brach der morsche Holzfußboden zusammen und die Menschen stürzten zum großen Teil in den Tod. Makaber war, dass unter der Wucht des Aufpralls auch der Boden des unteren Stockwerks durchbrach und die Opfer in die noch tiefer gelegene Latrine im Untergeschoss fielen. 60 Tote gab es zu beklagen, sie waren in dem Abort ertrunken oder von herabfallenden Gegenständen erschlagen worden. König Heinrich selbst saß zum Zeitpunkt des Unglücks in einer gemauerten Fensternische der steinernen Außenwand und kam mit dem Schrecken davon. Er reiste umgehend aus Erfurt ab...

    https://de.wikipedia.org/wiki/Erfurter_Latrinensturz

    Jetzt komme ich aber zu den Ereignissen um die Thronfolge in Sizilien, die schon im Kapitel mit Richard Löwenherz eine Rolle spielten – nun allerdings aus der Perspektive von Heinrich VI.:

    Später im Jahr 1184 sorgte Heinrichs Vater Barbarossa dafür, dass Heinrich mit der dreißigjährigen Konstanze verheiratet wurde, der Tante des Königs von Sizilien. Die Verbindung war ziemlich aussichtsreich, denn König Wilhelm II. von Sizilien hatte keinen Erben, seine Ehe mit Johanna (der Schwester von Richard Löwenherz) war kinderlos geblieben. Und damit war Konstanze die erste in der Thronfolge – sie würde später mit Heinrich VI. an ihrer Seite über Sizilien herrschen. Für Barbarossa war das ein wichtiger Plan, denn bisher war Sizilien in der Lehnsabhängigkeit des Papstes. Sizilien würde dank dieser Ehe vom Gegner zum Teil des deutschen Imperiums werden! Es dauerte noch eine Weile, bis alles vertraglich geregelt war, aber Anfang 1186 fand die politisch so wichtige Hochzeit statt.



    Es gab einen, dem diese Verbindung überhaupt nicht passen konnte, und das war der Papst. Zum Königreich Sizilien gehörte damals auch Süditalien, während Norditalien sowieso schon zum Heiligen Römischen Reich gehörte (wenn auch widerstrebend). Und dazwischen eingeklemmt in Mittelitalien war der Kirchenstaat des Papstes. Unter solchen Bedingungen war die Unabhängigkeit des Heiligen Stuhls unmöglich aufrechtzuerhalten, das war jedem an der römischen Kurie klar. Was also tun? Papst Urban III. plante gerade, Barbarossa und seinen Sohn zu exkommunizieren, als 1187 die Nachricht von der Eroberung Jerusalems durch Saladin die Christenheit aufschreckte. Urban soll buchstäblich vom Schlag getroffen worden sein, jedenfalls starb er bald danach. Auch seinem Nachfolger war ein nur zweimonatiges Pontifikat beschieden, die Kirche war also erst einmal mit sich selbst beschäftigt, zum Glück für den Kaiser. Als mit Clemens III. ein neuer Papst gewählt war, stand die Sache mit Sizilien schon wieder im Hintergrund – der Kreuzzug um Jerusalem bestimmte die Politik, und Barbarossa bot dem Papst die Hand und versprach, höchstpersönlich mit einem Heer in das Heilige Land zu marschieren.

    Im Mai 1189 brach der Kaiser mit seinem Sohn Friedrich dann tatsächlich zum Kreuzzug auf. Heinrich VI. übertrug Barbarossa für die Zeit seiner Abwesenheit die Regierung über das Reich. Wichtig war, das dürfte der Kaiser seinem Sohn eingebläut haben, eine Auge auf den Sachsenherzog Heinrich den Löwen zu haben. Den hatte Barbarossa für die Dauer des Kreuzzugs zwar vorsorglich ins englische Exil geschickt, aber er kannte ja seinen Vetter. Und tatsächlich kehrte der Welfe schon einige Monate nach Barbarossas Abreise aus England zurück und scharte in Sachsen seine Anhänger um sich, um noch einmal nach der Macht zu greifen. König Heinrich VI. organisierte gerade den Feldzug gegen den Löwen und erzielte bereits erste militärische Erfolge, da platzte eine Nachricht herein, die noch wichtiger war als die Krise in Sachsen...
    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    • Dateityp: jpg 001.jpg (106,3 KB, 324x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 002.jpg (159,2 KB, 320x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 003.jpg (150,2 KB, 322x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 004.jpg (176,4 KB, 319x aufgerufen)
    Übersicht meiner bisherigen und laufenden Storys hier im Forum

    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  2. #227
    Ewig unbezähmbar! Avatar von LegatBashir
    Registriert seit
    01.11.05
    Ort
    verschneiter Süden
    Beiträge
    1.689
    Ja welche denn???
    ex flammis orior

  3. #228
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
    Registriert seit
    03.01.02
    Ort
    Remscheid
    Beiträge
    5.326

    Die Wehen der neuen Epoche

    Hm, war ein unnötiger und nicht beabsichtigter Cliffhanger: Es geht schlicht um den Tod des sizilischen Königs - ohne Nachkommen wie allseits erwartet, trat der Tod jedoch früher ein als gedacht:

    König Wilhelm II. von Sizilien war Ende 1189 ohne Nachkommen gestorben, sein Königreich war ohne einen Herrscher. Das veränderte alles! Denn jetzt war Heinrichs Frau Konstanze diejenige, die den Anspruch auf den Thron hatte – wenn dieser auch durchgesetzt würde. Denn ein illegitimer Vetter des verstorbenen Wilhelm mit Namen Tancred griff nach der Macht und ließ sich im Januar 1190 in Palermo zum König krönen. Offenbar hatte Tancred dabei die Unterstützung des Papstes, der ja wie erwähnt nur gegen einen Staufer auf dem sizilischen Thron sein konnte.



    Heinrich VI. musste schleunigst nach Sizilien, um Tancred von seinem – ähm, vom Thron seiner Gattin zu stoßen. Er schloss mit Heinrich dem Löwen einen Waffenstillstand (zwei Söhne des Welfen, die Heinrich als Geiseln übergeben wurden, sollten dafür sorgen, dass der Herzog bei der Einhaltung des Friedens nicht wankend würde) und zog mit seinem Heer Richtung Italien. Papst Clemens III. sah das deutsche Heer auf Rom zukommen und hielt sich klugerweise zurück, Tancred allzu schnell als König von Sizilien zu belehnen und damit als rechtmäßig anzuerkennen. In der Tat ließ Heinrich VI. bei seinem Vormarsch Rom nicht beiseite: Weil im Sommer 1190 sein Vater Barbarossa auf dem Kreuzzug ums Leben gekommen war, hatte Heinrich als sein Nachfolger auf dem deutschen Thron eine klare Vorstellung. Er wollte vom Papst zum Kaiser gekrönt werden, und praktischerweise war der Staufer gerade vor Ort, vor Rom. Und mit ihm ein Heer, das dem Papst signalisierte, dass es wohl opportun wäre, dem Verlangen nach der Krönung nachzukommen. So wurde Heinrich VI. zu Ostern 1191 in Rom zum Kaiser gekrönt. Übrigens von einem zwischenzeitlich neuen Papst namens Coelestin III. (sein Vorgänger Clemens III. war kurz vorher gestorben). Wenn man bei Coelestin überhaupt von einem „neuen“ Papst sprechen konnte: er war bei seiner Wahl biblische 81 oder sogar 85 Jahre alt. Ein Übergangspapst war er letztlich trotzdem nicht, Coelestin wurde sagenhafte 88 bzw. 92 Jahre alt und regierte somit sieben Jahre lang.



    Derweil hatten der französische König Philippe II. sowie der englische König Richard Löwenherz auf ihrem Weg ins Heilige Land auf Sizilien Station gemacht. Richard setzte Tancred mit seinem Heer unter Druck und zwang diesen, Richards Schwester Johanna freizulassen. Als Witwe des alten Königs hatte sie gewisse Rechte und Güter in Sizilien. Die ließ sich Richard – natürlich im Namen seiner Schwester – nun von Tancred abfinden. Tancred griff tief in die Tasche, um Richard die geforderte Summe auszahlen zu können. Es war natürlich nicht seine eigene Tasche, sondern das sizilische Krongut, das Tancred zu Geld machte. Richard Löwenherz konnte zufrieden sein und setze seine Reise nach Jerusalem im Frühjahr 1191 fort.

    Zu dieser Zeit setzte Heinrich VI. seinen Marsch auf das Königreich Sizilien, frisch zum Kaiser gekrönt und selbstbewusst, fort – und scheiterte. Trotz der Übermacht seines Heeres biss er sich bei der Belagerung von Neapel fest. Die Stadt wurde von der Seeseite von Schiffen Genuas mit Nachschub versorgt, und dagegen konnte der Staufer nichts ausrichten. Und dann brach in der Sommerhitze auch noch eine Seuche in seinem Heer aus. Die Zahl der Toten, unter ihnen viele Reichsfürsten, stieg von Tag zu Tag. In dem Durcheinander gelang es dem Sohn des Löwen, der vom Kaiser mitgeführten Geisel, aus dem kaiserlichen Lager zu entkommen und sich nach Deutschland durchzuschlagen. Dort erzählte er, auch der Kaiser selbst sei der Seuche vor den Toren von Neapel erlegen. Tatsächlich war Heinrich VI. an dem Fieber erkrankt, aber er hatte sich wieder davon erholt. Trotzdem: Es führte kein Weg daran vorbei, den Feldzug gegen Sizilien abzubrechen.

    Geschlagen und von der Haltung des Papstes in der Frage Siziliens enttäuscht, zog sich Heinrich VI. nach Deutschland zurück. Er schwor Rache und einen zweiten Feldzug gegen Tancred. Der musste zusehen, dass er seine Position in Sizilien stärkte. Am wichtigsten war es, den offiziellen Lehnsherrn über Sizilien für sich zu gewinnen: den Papst. Tancred schloss mit Coelestin einen Vertrag, der Rom weitreichende Rechte in der sizilischen Kirchenpolitik garantierte. Die Vereinbarungen waren so günstig, dass der Papst unterschrieb und Tancred als König anerkannte. Jetzt stand ja auch kein deutsches Heer in Italien, das ihn daran hinderte, die Interessen seines Kirchenstaates zu verfolgen.



    Grollend verfolgte der Kaiser die Entwicklung in Italien. Den zweiten Versuch, seinen Anspruch auf Sizilien durchzusetzen, bereitete er aber generalstabsmäßig und in Ruhe vor. Zunächst galt es, seine Macht in Deutschland uneingeschränkt zu sichern und die Welfen für ihren Verrat zu strafen. Zu diesem Zweck verbündete sich Heinrich VI. mit dem französischen König gegen Richard Löwenherz, der wiederum mit den Welfen verbündet war. Der Kaiser bekam dann aber alle Hände voll zu tun, als zwischen den Fürsten im Reich Spannungen um die Neubesetzung des Bistums Lüttich auftraten. Mit Heinrich dem Löwen bzw. dessen Sohn schloss der Staufer schließlich lieber einen erneuten Waffenstillstand.

    Dann geschah im Dezember 1192 etwas, das die Situation auf einen Schlag zu Gunsten des Kaisers änderte: In Erdberg bei Wien war der englische König Richard Löwenherz von Bediensteten des österreichischen Herzogs gefangen genommen und an den Herzog ausgeliefert worden. Dieses Ereignis war bis dahin beispiellos in der Geschichte des mittelalterlichen Europas. Ein König, zumal noch ein Kreuzfahrer auf der Rückreise in die Heimat, verfolgt, aufgespürt, gefangengesetzt und anschließend an den Kaiser ausgeliefert. Mehr als ein Jahr blieb Richard in der Haft des Staufers, bis er gegen Zahlung eines horrenden Lösegelds freigelassen wurde. In der Geschichte hat das einen dunklen Schatten auf Heinrich VI. geworfen, er hatte aber seine Gründe.

    Der Kaiser war nicht der einzige Nutznießer von Richards Gefangenschaft. In England rieb sich Richards Bruder John die Hände, denn Richard hatte keine Kinder und John war somit der erste in der englischen Thronfolge. Ebenfalls freuen konnte sich Philippe II. von Frankreich, der die englischen Besitzungen in Frankreich zurückgewinnen wollte. In dieser Frage war John durchaus entgegenkommend, weil es ein Bündnis mit Philippe gegen Richards Anhänger gut gebrauchen konnte. Und für den Kaiser war Richard ein Feind des Reiches, seit dieser in Sizilien mit Tancred paktiert hatte und von Tancred das Geld erpresst hatte. Tancred hatte sich für die Zahlung ja am sizilischen Krongut vergriffen, und nach Ansicht des Staufers hatte Richard Geld angenommen, das nicht Tancred, sondern ihm als rechtmäßigen König von Sizilien gehörte. Zweitens hatte Richard mit Heinrich dem Löwen paktiert, als dieser sich gegen den Kaiser erhoben hatte. Und nicht zuletzt hatte Richard Löwenherz die Ansprüche des österreichischen Herzogs Leopold bei der Erstürmung von Akkon missachtet und diesen auch noch in seiner Ehre beleidigt.

    Die Forderungen Heinrichs VI. an Richard Löwenherz waren insofern nachvollziehbar: Kappen des Bündnisses mit den Welfen und mit Tancred, Rückzahlung des sizilischen Geldes und Entschädigung des österreichischen Herzogs. Richard verhandelte selbstbewusst und geschickt, als er sich bei einem Hoftag vor dem Kaiser verteidigen sollte. Es lief nicht gut für Heinrich, aber er hatte noch einen Trumpf: Er drohte Richard mit der Auslieferung an den französischen König, der bereit war, dem Kaiser die gleiche Summe wie das geforderte Lösegeld zu zahlen, um des englischen Königs habhaft zu werden. Da bekam es Richard mit der Angst zu tun. Für den Kaiser war er nur ein Mittel zum Zweck, aber in Gefangenschaft von Philippe zu geraten, bedeutete, nie wieder nach England zurückzukommen und den Thron an John zu verlieren. Heinrich VI. bekam von Richard das geforderte Lösegeld und die anderen Zusagen. Im Frühjahr 1194 konnte Richard nach England zurückkehren und sich seinen Bruder vorknöpfen.



    Für Heinrich VI. war das ein toller Erfolg. Er hatte ordentlich Kasse gemacht und seine Widersacher in Sachsen und Sizilien politisch isoliert. Während die Rüstungen für den sorgfältig geplanten zweiten Kriegszug gegen Sizilien Anfang 1194 nahezu abgeschlossen waren, starb am 20. Februar in Palermo völlig überraschend König Tancred. Damit schien das Haupthindernis beseitigt, das dem Erbantritt des Kaiserpaares im sizilischen Königreich im Weg gestanden hatte. Aber der Papst Coelestin stellte sich dem wieder in den Weg, er erkannte Tancreds neunjährigen Sohn Wilhelm III. als neuen König von Sizilien an. Für den Kaiser eine brüske Missachtung seines Anspruchs!

    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    • Dateityp: jpg 005.jpg (215,6 KB, 306x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 006.jpg (128,1 KB, 297x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 007.jpg (708,8 KB, 301x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 008.jpg (664,6 KB, 299x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 009.jpg (419,3 KB, 301x aufgerufen)
    Übersicht meiner bisherigen und laufenden Storys hier im Forum

    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  4. #229
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
    Registriert seit
    03.01.02
    Ort
    Remscheid
    Beiträge
    5.326

    Die Wehen der neuen Epoche

    Am Erfolg seines Kriegszugs konnte es kaum Zweifel geben. Heinrich hatte politisch dafür sorgen lassen, dass es in Norditalien keine Schwierigkeiten mit den Städten geben würde, wenn er mit seinem Heer dort aufmarschiert. Auch mit Genua und Pisa hatte er Abkommen schließen lassen, damit deren Flotten ihm nicht wieder vor Neapel oder beim Übersetzen nach Sizilien das Leben schwermachen konnten. Ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen, nahm Heinrich VI. innerhalb von Wochen Süditalien in Besitz und bestrafte seine Widersacher. Ende Oktober 1194 betrat Heinrich VI. zum ersten Mal den Boden der Insel Sizilien. Sein Flottenkommandeur Markward von Annweiler hatte dem heranziehenden Kaiser schon mitteilen lassen, er könne kommen, Sizilien sei besiegt und erwarte seinen Herrn.

    In Palermo angekommen, ließ der Staufer zunächst Tancreds Frau und ihren Sohn Wilhelm III. festsetzen und sich bald darauf feierlich zum König von Sizilien krönen. Bei der Zeremonie zu Weihnachten 1194 musste Wilhelm III. selbst dem Kaiser öffentlich seine Krone zu Füßen legen. Heinrich war der Herrscher über Sizilien und das Heilige Römische Reich in Personalunion:



    Kurioserweise war Heinrichs Frau Konstanze, über die er ja seinen Anspruch auf Sizilien ableiten konnte, an diesem Tag nicht zugegen. Sie befand sich in Norditalien, wo sie wegen ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft zurückgeblieben war. Dort brachte sie am 26. Dezember 1194 ihr einziges Kind, den späteren Kaiser Friedrich II., zur Welt.



    Heinrich VI. schien nun am Ziel seiner Wünsche angelangt: Das Erbe seiner Gattin war erfolgreich in Besitz genommen, und durch die Geburt seines Sohnes stand ihm nunmehr auch der ersehnte Thronfolger zur Verfügung. Sollte das Kind die Eltern überleben, dann hätte es aufgrund des Erbrechts einen legitimen Anspruch auf die Ausübung der Herrschaft im Königreich Sizilien. Für die römische Kirche war hingegen eingetreten, was sie so vehement verhindern wollte. Die Inbesitznahme ihres Lehens durch den Kaiser und damit die vollständige territoriale Umklammerung des Kirchenstaates durch ein nunmehr kaiserlich beherrschtes Gesamtitalien. Mit der Geburt eines Thronfolgers hatte sich die Lage noch zusätzlich verschärft. Jetzt bestand sogar die reale Möglichkeit, dass die Kirche nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft die politische Kontrolle über ihr Lehen im Süden Italiens verlieren könnte. Das aber wusste man auch am kaiserlichen Hof. Heinrich VI. begann aus dieser Position der Stärke, diplomatische Beziehungen zum Papst zu knüpfen, um seine Herrschaft über Sizilien auf das solide Fundament einer päpstlichen Anerkennung zu stellen.

    Bis Mitte Januar 1195 blieb Heinrich VI. noch in Palermo, er schlug eine kleine Adelsrevolte von früheren Anhängern Tancreds nieder. Bei der Abreise begleitete eine Art Souvenir das deutsche Heer. Heinrichs jüngerer Bruder Philipp von Schwaben hatte sich stürmisch in eine Frau namens Irene, die zu den Rebellen gehörte, verliebt. Es war die byzantinische Schwiegertochter des verstorbenen Königs Tancred, die ihrerseits seit einem Jahr Witwe war. Irene begleitete den Kaiser und dessen Bruder nach Deutschland, konvertierte zum Katholizismus, nahm den Namen Maria an und heiratete 1197 Philipp. Auf dem Weg nach Deutschland trafen sich Heinrich VI. und seine Gattin Konstanze kurz. Er war auf dem Weg nach Norden, sie nach Süden, um die Regierung über Sizilien auszuüben.

    Die Verhandlungen mit Papst Coelestin gestalteten sich schwierig für den Kaiser. Immerhin war der Papst Lehnsherr über Sizilien und der Staufer wollte seine Herrschaft über dieses Königreich mit einer sauberen Legitimität bekleiden. Heinrich VI. machte den ersten Schritt im diplomatischen Reigen: Er verkündete zu Ostern 1195 öffentlich den Kreuzzug zur Befreiung Jerusalems, das musste dem Papst gefallen.



    Eifersüchtig wachte der Kaiser darüber, dass der Kreuzzug nicht in anderen Ländern wie Frankreich oder England gepredigt wurde, denn er wollte ihn alleinig anführen: Nur dann würde ihm der Ruhm alleine zufallen und als Befreier des Heiligen Landes konnte ihm der Papst kaum mehr die Anerkennung Siziliens verweigern. So der Plan. Der Papst zeigte sich erst einmal spröde, als wolle er sagen: Erst liefern.

    Heinrich VI. rührte in Deutschland nun also kräftig die Werbetrommel für seinen Kreuzzug. England und Frankreich hielt er aus der Sache heraus, indem er Richard Löwenherz und Philippe II. aufeinander hetzte und mit ihrem Krieg beschäftigte. Während die Vorbereitungen für den Kreuzzug anliefen, starb am 6. August 1195 in Braunschweig Heinrich der Löwe. Drei Monate später starb auch Pfalzgraf Konrad bei Rhein, der Onkel des Kaisers. Der Sohn des Löwen, Heinrich von Braunschweig, hatte inzwischen die Tochter Konrads geheiratet, obwohl der Kaiser die Ehe verboten hatte. Um mit dem Welfen Frieden zu schließen, genehmigte er die Verbindung aber nachträglich und gestand ihm damit die angeheiratete Grafschaft zu.



    Der Zuspruch zum Kreuzzug war unter den deutschen Fürsten ganz gut, immer mehr schlossen sich dem Unternehmen an. Mitten in diese bewegten Tage Ende 1195 hinein erschien vor dem Kaiser eine Gesandtschaft aus Zypern. Dort herrschte in der Nachfolge seines Bruder Guy von Lusignan (der Bösewicht aus dem Film) seit 1194 Amalrich. Im Namen ihres Herrn baten die Boten den Kaiser darum Amalrich unter die Lehnsherrschaft des Reiches zu nehmen und ihn dabei zum König zu erheben. Heinrich VI. sagte zu, auf dem Weg nach Jerusalem in Zypern Halt zu machen und die Sache zu bewerkstelligen.

    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    • Dateityp: jpg 010.jpg (391,8 KB, 278x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 011.jpg (238,6 KB, 278x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 018.jpg (83,2 KB, 280x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 012.jpg (325,6 KB, 276x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 021.jpg (488,1 KB, 276x aufgerufen)
    Übersicht meiner bisherigen und laufenden Storys hier im Forum

    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  5. #230
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
    Registriert seit
    03.01.02
    Ort
    Remscheid
    Beiträge
    5.326

    Die Wehen der neuen Epoche

    Bevor Heinrich VI. zum Kreuzzug aufbrechen konnte, wollte er in Deutschland die Thronfolge zugunsten seines kleinen Sohnes Friedrich regeln. Die Nachfolge war im Reich grundlegend anders als in Sizilien: In Sizilien galt das Erbrecht, im Deutschland das Wahlrecht der Fürsten. In CK2 durchaus eine unübersichtliche Angelegenheit, wenn man mehrere Königreiche anführt. Die deutschen Fürsten hatten Verständnis dafür, dass Heinrich vor Beginn seines Kreuzzugs hier Klarheit haben wollte. Auf so einer langen Heerfahrt konnte man durchaus das Leben verlieren, so wie das erst fünf-sechs Jahre zuvor Barbarossa widerfahren war. Die Fürsten sagten also zum Kaiser: In Ordnung, aber was bekommen wir für die Wahl deines Sohnes? Heinrichs Antwort überraschte die Fürsten total, denn sie war verwegen. Der Kaiser bot ihnen allen die Vererbbarkeit ihrer Lehen an. Bei den weltlichen Fürsten war das klar, der Sohn war automatischer Nachfolger. Mehr noch: Der Kaiser bot an, dass notfalls auch Töchter oder Familienangehörige aus Seitenlinien der Dynastie erbberechtigt sein würden. Bei den geistlichen Fürsten sollte es so laufen, dass der König während der Sedisvakanz, also der Übergangsphase von einem (verstorbenen) Bischof zum nächsten (gewählten) Bischof, die Einkünfte aus dem Bistum nicht mehr an die Krone fließen sollten.

    Das war unzweifelhaft eine große Minderung, wenn nicht sogar Preisgabe wesentlicher Königsrechte, die Heinrich da anbot. Jedem künftigen König wäre damit die Möglichkeit zur Einflussnahme bei der Lehensvergabe bis hin zu der Einziehung von Lehen praktisch aus der Hand genommen. In CK2 entspricht das Angebot wohl, freiwillig die Gesetze zu „Vergabe und Einziehen von Titeln“ in die Hände des Rates zu geben.



    Die Fürsten waren vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen (vermutlich außer dem Herzog von Österreich, für den das mit dem Recht zum Vererben seit 40 Jahren nichts Neues wahr). Natürlich präsentierte der Kaiser anschließend, wie er sich die Kompensation für seinen Verzicht vorstellte: Die deutsche Krone sollte künftig nicht mehr durch die Wahl der Fürsten vergeben, sondern ebenfalls erblich werden – natürlich innerhalb seiner staufischen Dynastie.

    Die Fürsten runzelten verunsichert die Stirn. Eine Erbmonarchie in Deutschland? Klar, sie verstanden, dass Heinrich VI. die Personalunion der deutschen und der sizilischen Krone zu einem Imperium dauerhaft sicherstellen wollte. Doch das war den Fürsten etwas unheimlich. Sie waren hin und hergerissen, stimmten dem Plan erst zu und dann doch nicht, wollten sich das ganze noch überlegen. In CK2 sind die Bedingungen für die Änderung der Nachfolgegesetze klar: 1) Kein Vasall darf eine negative Meinung über Euch haben – okay, dafür das Angebot des Kaisers an die Fürsten. 2) Der Kaiser muss seit wenigstens zehn Jahren regieren – „Hah!“, riefen die Fürsten aus, „diese Bedingung ist noch nicht erfüllt, wir müssen solange warten!“



    Und der Papst konnte mal gar nicht für Heinrichs Erbfolgeplan sein, Coelestin machte natürlich diplomatischen Druck auf die deutschen Kirchenfürsten und drohte dem Kaiser indirekt, endgültig die Tür für Verhandlungen über Sizilien zuzuschlagen, Kreuzzug hin oder her.

    Heinrich VI. lief die Zeit davon, der Kreuzzug sollte schon längst gestartet sein und konnte nicht mehr warten. Die Frage der Erbmonarchie in Deutschland war noch immer offen, der Papst in den Verhandlungen bezüglich der Anerkennung Siziliens hartleibig. Da machte der Kaiser dem Heiligen Vater einen für die Kirche äußerst lukrativen Vorschlag, dessen Einzelheiten freilich nicht bekannt sind. Erwähnt wird er als sogenanntes „höchstes Angebot“ des Kaisers. Es ging auf jeden Fall um einen umfangreichen Ausgleich zwischen Kaiser und Papst, der den Staufern Sizilien und der römischen Kirche eine dauerhafte finanzielle Unabhängigkeit gesichert hätte. Und offenbar schlug Heinrich vor, dass seine künftigen Erben jeweils vom Papst mittels eines goldenen Reichsapfels mit dem Kaisertum investiert werden sollen. Das war ein revolutionärer Vorschlag: Der Kaiser sollte dann nicht durch Gottes Gnade seine Herrschaft erhalten, sondern durch den Papst. Das Verhältnis von Kaisertum und Papsttum wäre auf eine neue Basis der Koexistenz gehoben worden.

    Aber Coelestin wusste offenbar, dass für die katholische Kirche Jahre oder Jahrhunderte nur einen Wimpernschlag darstellten. Er spielte auf Zeit und lehnte das ominöse höchste Angebot des Staufers mit dem Hinweis ab, er müsse sich das ganze bis Anfang 1197 überlegen. Heinrich VI. war ziemlich enttäuscht über die Abfuhr. In Deutschland gab er sich daraufhin auch mit der „kleinen Lösung“ zufrieden: Den Plan von der Erbmonarchie nahm er vom Tisch und ließ seinen Sohn stattdessen mittels Wahl der Fürsten als deutschen König und Nachfolger bestätigen.



    Der Kreuzzug zog nun los aus Deutschland, Heinrich führte das Heer nach Süditalien, um dort einzuschiffen. Die Anwesenheit vor Ort nutzte er natürlich, um seine sizilischen Vasallen zu versammeln. Er verärgerte sie mit der Aufforderung, eine Sondersteuer für den Kreuzzug zu bezahlen und ihm außerdem ihre Lehnsurkunden „zur Überprüfung“ vorzulegen. Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass die gewährten Privilegien in Zukunft bei Illoyalität auch wieder einkassiert werden konnten. Zur Untermauerung seiner Warnung ließ Heinrich bei dieser Versammlung in Capua den abtrünnigen Grafen Richard von Accera grausam hinrichten: Richard wurde von Pferden durch die Stadt geschleift und anschließend kopfüber aufgehängt, bis der Tod eintrat. Heinrichs Hofnarr soll während der Hinrichtung Scherze mit Richard getrieben haben.

    Weiteres Geld für die Finanzierung des Kreuzzugs erpresste Heinrich VI. vom byzantinischen Kaiser. Der amtierende Alexios III. führte ein Reich im Niedergang, Heinrich verachtete ihn. Byzanz hatte in seinen Augen fragwürdige Beziehungen zu Sultan Saladin und zu König Tancred gepflegt, sprich stauferfeindliche Politik betrieben. Die deutschen Boten ließen keinen Zweifel: Wenn Alexios nicht 7.000 Pfund Gold und Silber zum Kreuzzug beisteuere, würden seine Kreuzritter Konstantinopel einen Besuch abstatten. Alexios war in einer so verzweifelten Lage, die geforderte Zahlung zusammenzubringen, dass er die Kaisergräber seiner Vorgänger aufbrechen ließ, um die Grabbeigaben zu entnehmen und einzuschmelzen.

    Heinrich VI. hielt sich noch einige Monate in Süditalien und Sizilien auf, um auf das Ankommen der verschiedenen Truppenkontingente an diesem vereinbarten Treffpunkt abzuwarten. Es gab einige Verspätungen, weil (wie beim Dritten Kreuzzug von Richard Löwenherz) eine Flotte samt Heer in Portugal Station machte, um sich am Krieg gegen die Almohaden zu beteiligen. Heinrich nutzte die Zeit, um auf Sizilien jagen zu gehen. Offenbar unterschätzte er den Unmut der sizilischen Barone, den er mit seinem Auftreten in Capua geschürt hatte. Bald hatten sie sich zu einer bewaffneten Rebellion entschlossen, die dem Staufer nach dem Leben trachtete.
    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    • Dateityp: jpg 013.jpg (172,2 KB, 266x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 014.jpg (221,2 KB, 263x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 015.jpg (174,9 KB, 263x aufgerufen)
    Übersicht meiner bisherigen und laufenden Storys hier im Forum

    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  6. #231
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
    Registriert seit
    03.01.02
    Ort
    Remscheid
    Beiträge
    5.326

    Die Wehen der neuen Epoche

    Der Aufstand vom Mai 1197 war gut vorbereitet worden, offenbar völlig unbemerkt war es den adeligen Verschwörern gelungen, eine stattliche Anzahl Bewaffneter zusammenzuziehen. Ihr Anführer, der Burgherr von Castrogiovanni (sein Name ist unbekannt), soll zuvor schon heimlich zum König gewählt worden sein. Nach dem erfolgreich durchgeführten Aufstand sollte dieser Thronprätendent unverzüglich die Regentschaft übernehmen, und einem Gerücht zufolge sogar Kaiserin Konstanze heiraten sollen. Auch der zeitliche Ablauf des Aufstands war offenbar in allen Einzelheiten festgelegt worden. Vorrangiges Ziel war, den Kaiser und seine engsten Begleiter gleich zu Beginn der Erhebung in einer Blitzaktion zu ermorden.



    Der Kaiser war anscheinend ahnungslos, er ging im Osten Siziliens bei Messina mit kleinem Gefolge auf die Jagd. Das war der Moment, auf den die Verschwörer gewartet hatten. Sie überfielen den Staufer in dem Wald. Aber buchstäblich im letzten Augenblick wurde der Anschlag verraten. Überstürzt konnte sich Heinrich mit seinem Gefolge hinter die Mauern Messinas flüchten, das seine Tore den Aufständischen sogleich verschloss. Mit dem Verlust des Überraschungseffektes hatten die Verschwörer die Chance auf ein schnelles und erfolgreiches Gelingen ihrer Erhebung verpasst. Es sollte sich zeigen, dass damit auch ihr gesamtes Unterfangen bereits im Ansatz scheiterte. Heinrich rief einen Teil der zahlreichen deutschen Ritter und Söldner, die in den Häfen Siziliens auf den Aufbruch zum Kreuzzug warteten, herbei. In einer einzigen Schlacht brachen sie dem Aufstand das militärische Rückgrat, den Flüchtenden wurde erbarmungslos in den Wäldern nachgestellt. Die Anführer der Verschwörung aber, so verlangte es der Kaiser, sollten unter allen Umständen lebend gefasst werden. Als letzte Bastion fiel die Burg Castrogiovanni des namentlich unbekannten Anführers. Heinrich VI. erhielt seinen Willen – die Rädelsführer wurden lebend gefasst und zu ihm nach Palermo geschafft.



    Was dann folgte, war ein grausames Strafgericht. Ganz offensichtlich wollte Heinrich ein Exempel statuieren, das nicht nur die Schuldigen bestrafen, sondern vor allem potentielle Nachahmer ein für alle Mal von einem ähnlichen Vorhaben abschrecken sollte. Auf Befehl des Kaisers wurde ein öffentlicher Schauprozess gegen die Verschwörer anberaumt. In Anwesenheit Heinrichs und seiner Frau Konstanze wurden sie ausnahmslos zum Tode verurteilt. Über die Gefangenen wurden Strafen von ausgesuchter Härte verhängt. Einige der Abgeurteilten wurden gehenkt, andere verbrannt, zersägt, gepfählt oder im Meer ertränkt. Am fürchterlichsten traf es den Burgherrn von Castrogiovanni, den Anführer der Verschwörer, in dessen Hinrichtung sich jenes Kapitalverbrechen spiegelte, dessen er angeklagt worden war. Ihm wurde mit eisernen Nägeln eine glühend gemachte Krone an den Kopf genagelt. „Nun hast Du endlich die Krone“, so soll Heinrich ihm zugerufen haben, „nach der Du gelangt hast. Ich neide sie Dir nicht. Genieße, wonach Du so eifrig gestrebt hast!“



    Dieses Strafgericht ist einer der Gründe für das Bild von Heinrich, nach dem ihm geradezu unmenschliche Eigenschaften zugeschrieben werden. In der Tat war Heinrich VI. „furchterregend und schrecklich für seine Feinde, intelligent und redegewandt, mit recht hübschem, aber eher magerem Gesicht, von mittlerer Statur, körperlich zart und schmächtig, aber harten Sinnes“, so schrieb Burchard von Ursberg über ihn. Grausam war das Gericht ohne Zweifel. Andererseits war das Strafmaß bei einer Verurteilung wegen Hochverrats noch nicht mal außergewöhnlich für diese Zeit. Damalige Chronisten urteilten: „Hätte der Kaiser nicht diejenigen, die den glimmenden Funken der Empörung gegen den Herrscher anfachten, gestraft, so würde er bald zu heller Flamme aufgeschlagen sein. Aber der Herrscher, rechtzeitig auf der Hut, bemerkte ihren treulosen Anschlag, kam ihren Plänen zuvor und tötete ohne Schonung, ohne Erbarmen alle ohne Unterschied. So brach er ihre Macht und unterdrückte sie durch Tod und harte Gefangenschaft dermaßen, dass sie ohnmächtig wurden, eine Empörung zu wiederholen. Ein anderer Chronist dieser Zeit, Arnold von Lübeck, schrieb kurz und knapp: „So glückte dem Kaiser, seine Widersacher in die Gewalt zu bekommen und gerechte Strafe an ihnen zu nehmen.“

    Es hält sich bis heute die Vermutung, dass Heinrichs eigene Gemahlin Konstanze Teil des Komplotts gegen ihn gewesen sei. Es ist zwar davon auszugehen, dass Konstanze als gebürtige Sizilianerin eine andere Vorstellung von der Regierung ihres Volkes hatte als ihr Mann. Aber sie hatte ihren Thron eindeutig seinem Einsatz zu verdanken und hätte von einem Umsturz politisch wohl kaum profitieren können. Dieser Umstand, und nicht etwa eheliche Loyalität, macht es unwahrscheinlich, dass sie an der Verschwörung beteiligt war.
    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    • Dateityp: jpg 022.jpg (697,2 KB, 242x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 016.jpg (359,9 KB, 246x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 017.jpg (568,6 KB, 243x aufgerufen)
    Übersicht meiner bisherigen und laufenden Storys hier im Forum

    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  7. #232
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
    Registriert seit
    03.01.02
    Ort
    Remscheid
    Beiträge
    5.326

    Die Wehen der neuen Epoche

    Der Sommer 1197 schritt voran, der Aufmarsch der Kreuzritter war endlich abgeschlossen. Mehrere tausend von ihnen warteten samt ihrer Knappen und Pferde sowie Fußsoldaten auf ihre Einschiffung. Es war das bisher größte Heer, das sich je für einen Kreuzzug versammelt hatte. Für den Proviant und den Nachschub war bestens gesorgt, es konnte losgehen. Es musste auch losgehen, in der sommerlichen Hitze und dem Gedränge machten sich Durchfallerkrankungen und andere Ausfälle im Heer bemerkbar. Heinrich VI. ließ seinem jüngeren Bruder Philipp, der sich in Schwaben befand, die Botschaft mit dem Auftrag überbringen, Philipp solle nun den kleinen Thronfolger (den dreijährigen Friedrich II.) aus dem italienischen Foligno abholen, um ihn mit nach Deutschland zu nehmen. Philipp machte sich wie geheißen auf den Weg über den Brenner. Doch da wurde der Kaiser von einer Krankheit befallen. Es begann harmlos im August 1197 wie bei einer Erkältung.



    Dann aber verschlechterte sich Heinrichs Erkrankung plötzlich so sehr, dass man ihn nach Messina bringen musste. Schwere Durchfall-Attacken belasteten den Fieberkranken zusätzlich. Mehrere Tage war sein Zustand sehr kritisch, doch dann trat eine Besserung ein. Der Kaiser erholte sich soweit, dass er sogar seine Regierungsgeschäfte wieder aufnahm. Schon ließ er Vorbereitungen für seine Rückkehr nach Palermo treffen. Der größte Teil des Hofstaats war mit dem Gepäck bereits abgereist, da warf ihn ein Rückschlag nieder.

    Am Sonntag, den 28. September 1197, „nach guter Beichte und mit Zerknirschung des Herzens“, starb Kaiser Heinrich VI. in Messina. An seinem Sterbebett standen nur seine Gattin Konstanze und einige enge Vertraute. Wenige Wochen später wäre er 32 Jahre alt geworden. So verging der Mann, der nicht weniger als die Errichtung eines Imperiums mit einer Erbnachfolge und unter der endgültigen Führung seiner staufischen Dynastie geplant hatte. Woran er starb, ist nicht gewiss. Vielleicht war es die Malaria, zu der sich eine Ruhr-Infektion gesellt hatte. Allerdings passen die Schilderungen über die kurzfristige Erholung mit anschließendem Rückfall nicht dazu. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass es Gift gewesen war, das Heinrich vom Diesseits ins Jenseits befördert hatte. Gerüchten zufolge wurde Konstanze selbst verdächtigt, hier ihre Finger im Spiel gehabt zu haben.



    Der Kaiser hatte kaum die Augen geschlossen, da handelte Konstanze sofort. Im Wissen darum, dass ihr Schwager Philipp bereits auf dem Weg sein musste, um ihren Sohn zur Krönung nach Deutschland abzuholen, setzte die Kaiserin alles auf eine Karte. Sie ließ unverzüglich den kleinen Friedrich aus Foligno holen und kam den Deutschen nur um Stunden zuvor. Friedrich wurde nach Sizilien gebracht, damit er hier seine Herrschaft über das Königreich antreten konnte, mit seiner Mutter Konstanze als seine Regentin. Es dauerte kaum mehr als ein Jahr, da ging es auch mit Konstanze zu Ende. In Sorge um die Zukunft ihres vierjährigen Sohnes machte sie dem Papst weitreichende Zugeständnisse in der Kirchenpolitik Siziliens, ganz so, wie es Coelestin die ganzen Jahre über angestrebt hatte. Coelestin III. selbst war im Januar 1198 gestorben, und ihm war ein Mann mit einem ausgeprägten Machtinstinkt und -anspruch auf den Heiligen Stuhl gefolgt: Innozenz III.

    Im Gegenzug wurde für die Kirchenprivilegien und die Anerkennung Friedrichs als König von Sizilien wurde Innozenz gemäß Konstanzes Wunsch Friedrichs Vormund, somit der Garant für die Sicherheit des Jungen. Der Papst war wieder der klare Lehnsherr des Königs von Sizilien. Und die Verschmelzung Siziliens mit dem Reich war verhindert. Denn dass der Papst seinen Mündel nicht für die Thronfolge in Deutschland herausgeben wollte, versteht sich von selbst. Die Kirche hatte gesiegt.

    Und was wurde aus dem Kreuzzug? Er startete wie geplant, alle Vorbereitungen dazu waren schließlich abgeschlossen. Aber ohne ihren Anführer Heinrich konnte er nicht erfolgreich sein: Weil nicht religiöse, sondern politische Gründe ihn eigentlich angetrieben hatten.



    Jetzt, da diese politischen Gründe nach dem Tod des Kaiser obsolet oder zumindest unklar geworden waren, fehlte dem Kreuzzug die Einigkeit und Stoßrichtung. Eigentlich waren die Bedingungen zur Eroberung Jerusalems günstig: Nach Saladins Tod im März 1193 waren im muslimischen Lager die Diadochenkämpfe ausgebrochen, ganz so, wie es der Sultan befürchtet hatte. Militärisch stand der neue Kreuzzug vor dem gleichen Problem wie einige Jahre zuvor der Dritte Kreuzzug unter Richard Löwenherz. Jerusalem konnte nur angegriffen werden, wenn die Küste gesichert war. Das gelang den Kreuzrittern auch, aber dann war es vorbei mit der Einigkeit im christlichen Lager: Inzwischen hörte man von den chaotischen Ereignissen in Deutschland, die sich nach dem Tod des Kaisers zutrugen. Man hatte es deswegen eilig, nach Hause zu kommen. Mit den Ayyubiden schlossen die Kreuzritter im Juni 1198 einen neuen Waffenstillstand, nach dem der eroberte Küstenstreifen samt Jaffa in der Hand der Franken bleiben sollte. Christliche Pilger erhielten erneut den freien Zugang zu Jerusalem und die Heiligen Stätten.



    In Deutschland erwartete die heimkehrenden Kreuzfahrer der Thronfolgestreit zwischen Staufern und Welfen, angeführt von Philipp von Schwaben auf der einen Seite und Otto von Braunschweig auf der anderen Seite. Der eine war ein Sohn Barbarossas, der andere ein Sohn Heinrichs des Löwen. Zwischen Staufern und Welfen ging es also in die nächste Runde.
    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    • Dateityp: jpg 019.jpg (682,0 KB, 223x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 024.jpg (376,4 KB, 221x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 023.jpg (87,5 KB, 217x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 020.jpg (529,9 KB, 217x aufgerufen)
    Übersicht meiner bisherigen und laufenden Storys hier im Forum

    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  8. #233
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
    Registriert seit
    03.01.02
    Ort
    Remscheid
    Beiträge
    5.326

    Die Wehen der neuen Epoche



    2. Better to reign in hell, than serve in heaven - John Lackland (regierte 1199-1216)

    Der frühe Tod von Richard Löwenherz spülte 1199 einen Mann auf den englischen Thron, wie man sich einen Schurken nicht schlimmer vorstellen kann. John war der jüngere Bruder von Richard und war gar nicht dafür vorgesehen gewesen, einmal König zu werden. Aus diesem Grund hatte ihn sein Vater damals übergangen, als es um die Verteilung von Grundbesitz an die Nachkommen ging. Das hatte John den Spottnamen Lackland (Ohneland) eingebracht, ersonnen vom eigenen Vater.

    John war nur 1,65 Meter groß und mit den Worten eines Chronisten „ein unehrlicher König“. Er war ein verwöhntes Kind gewesen und wild, launisch und unberechenbar. Er hatte schräge Augen wie ein Orientale, sein Fuchsgesicht war ständig fahl. Nur in Dingen persönlicher Hygiene war er über allen Zweifeln erhaben: Man wusste, dass er in einem Jahr acht Bäder nahm. Seine Unausgegorenheit zeigte sich bei seiner Krönung. Entgegen dem Protokoll verweigerte er das Sakrament. In feierlichen Augenblicken riss er schlüpfrige Witze und brach in sein lautes meckerndes Lachen aus.



    Kaum war John seinem Bruder am 27. Mai 1199 auf den Thron gefolgt, da brach auf dem Kontinent die Hölle aus. Philippe II. hatte John im Kampf gegen Richard Löwenherz noch unterstützt, wandte sich nun aber gegen John. Der König von Frankreich wusste ganz genau, dass John weder politisch noch militärisch das Format von Richard hatte – und fiel in die englischen Besitzungen auf dem Kontinent ein. Ein Grund hierfür war rasch zur Hand: Der junge Arthur von der Bretagne (Pfeil), ein Sohn von Johns älterem Bruder Geoffrey, habe einen viel besseren Anspruch auf die englische Krone.



    John sah sich direkt in der Defensive, weil er es sich mit seinem eigenen Adel verscherzt hatte. Für den Moment hatte er noch seine Mutter Eleonore (sie war schon fast 80 Jahre alt), die in der Lage war, die Empörung über Johns Scheidung von Isabella von Gloucester zu glätten. Eleonore vermittelte für ihren Sohn direkt eine neue, wichtige Partie: Isabella von Angouleme, die Tochter seines mächtigsten aquitanischen Vasallen. Und dann verhalf das Glück John zum Erfolg: Bei einem Überraschungsangriff auf die feindlichen Truppen fiel ihm sein Neffe und Konkurrent Arthur in die Hände.

    Einen ganzen Schwung Gefangener ließ John im Kerker verhungern, Arthurs Schwester versauerte vierzig Jahre (!) bis zu ihrem Tod im Verlies. Arthur selbst wurde zunächst auch eingesperrt und John hatte zunächst vor, den Jungen blenden zu lassen, um ihn für die Thronfolge untauglich zu machen. Aber die Wachen weigerten sich wohl, diesen Befehl auszuführen. Stattdessen kam Arthur am 3. April 1203 unter ungeklärten Umständen ums Leben. Der Prinz war gerade einmal sechzehn Jahre alt geworden. Natürlich vermutete der englische Adel für diesen Tod eine Verantwortung bei John, und das bedeutete den Makel des Verwandtenmordes. Sie rückten weiter von ihm ab.



    Unter diesen Umständen überrascht es nicht, dass Frankreichs Philippe II. ungehemmt die Oberhand über die englischen Besitzungen auf dem Kontinent erlangen konnte: John verlor die Normandie, Anjou und Aquitanien an die Franzosen.

    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    • Dateityp: jpg 100.jpg (109,6 KB, 203x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 101.jpg (677,2 KB, 202x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 102.jpg (226,4 KB, 200x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 104.jpg (316,2 KB, 205x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 103.jpg (540,2 KB, 204x aufgerufen)
    Übersicht meiner bisherigen und laufenden Storys hier im Forum

    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  9. #234
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
    Registriert seit
    03.01.02
    Ort
    Remscheid
    Beiträge
    5.326

    Die Wehen der neuen Epoche

    Die gaben ihm einen weiteren Spottnamen: John Weichschwert. Somit blieb John nur noch England als Betätigungsfeld. Er schröpfte seine Untertanen in einer Rücksichtslosigkeit, die noch nicht dagewesen war. Bevorzugt die Kinder seiner politischen Widersacher nahm er als Geiseln – und brachte sie um, wenn die Dinge nicht nach seiner Zufriedenheit liefen. Und er entzog seinen Untertanen den Beistand und Trost der Kirche, weil er ein Interdikt des Papstes auf sich zog.



    In Rom saß seit 1198 Papst Innozenz III. auf dem Heiligen Stuhl, ein Mann mit schwächlichem Körper, jedoch dem eisernen Willen, sich die ganze Welt zu unterwerfen. In dieser Hinsicht war er ein geistiger Nachfolger von Papst Gregor VII., dessen Entschlossenheit seinerzeit Kaiser Heinrich IV. im Investiturstreit zu spüren bekommen hatte. Der englische König John bekam es nun aus einem ähnlichen Anlass mit Innozenz III. zu tun. Der König mischte sich in die Freiheiten der Kirche ein, besteuerte den Klerus, um seine Kriege zu finanzieren.



    Im Jahre 1207 kam es zum Knall, als das Erzbistum Canterbury neu besetzt werden musste. John lehnte den aus Rom geschickten Nachfolger Stephen Langton schlicht ab und ernannte einen eigenen Kandidaten. Weil beide Seiten unnachgiebig blieben, verhängte Innozenz III. schließlich den Bann über König John und ganz England. John reagierte auf seine Weise: Er warf die papsttreuen Kleriker aus dem Land und beschlagnahmte ihre Güter. In England läuteten keine Glocken mehr, die Kirchen verfielen. Auf den Sommer folgte der Winter und wieder ein Sommer, ohne ein einziges christliches Fest. England steckte in einem dauernden Karfreitag, er sollte über sechs Jahre währen.



    John sorgten die religiösen Nöte seiner Untertanen nicht, er war beseelt von dem Gedanken, die verlorenen französischen Territorien zurückzuerobern. Um seine Kriegskasse zu füllen, überfiel er Irland, Wales und Schottland, das waren drei leichtere Gegner. Mit seinen Truppen verbreitete der König dort überall Angst und Schrecken. Wer von den Unterworfenen dem König nicht gehorchte oder ihm auch nur Geld schuldete, musste damit rechnen, dass seine Familienangehörigen im Kerker dem Hungertod überlassen wurden. Die englischen Lords reagierten beunruhigt auf diese Praxis: Schuldeten sie nicht alle dem König eine Menge Geld? Unter dem Joch der Gewaltherrschaft erhoben sich 1212 die Waliser, und zur Rache Rache ließ John im August 28 Geiseln, darunter auch Kinder, in Nottingham hinrichten.



    Das stachelte die Wut der Empörer nur weiter an, selbst die eigenen englischen Fürsten murrten über den Tyrannen auf dem Thron. John nahm sich ohne Hemmungen jede Frau seiner Untertanen mit in sein Bett. Auch seine Gattin Isabella von Agouleme war bekanntermaßen verrucht: Gelegentlich nahm sie sich einen Liebhaber, den John dann vornehmlich in ihrem Bett ermorden ließ.



    Manche der darüber aufgebrachten englischen Adeligen liefen sogar zum französischen König über. Der populäre Prediger Peter prophezeite mit unverhohlener Schadenfreude das baldige Ende von Johns Herrschaft.
    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    • Dateityp: jpg 105.jpg (151,7 KB, 200x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 106.jpg (188,8 KB, 199x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 107.jpg (240,7 KB, 202x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 108.jpg (241,5 KB, 197x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 109.jpg (131,0 KB, 201x aufgerufen)
    Übersicht meiner bisherigen und laufenden Storys hier im Forum

    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  10. #235
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
    Registriert seit
    03.01.02
    Ort
    Remscheid
    Beiträge
    5.326

    Die Wehen der neuen Epoche

    John war zum Zurückrudern gezwungen und schloss 1213 Frieden mit dem Papst, indem er ihm England „schenkte“ und sogleich vom Heiligen Vater als Lehen zurückbekam. Klar, es hingen weitere, handfestere Pflichten daran: Rückgabe der beschlagnahmten Kirchengüter und Entrichtung eines Zinses nach Rom. Diplomatisch war das trotzdem ziemlich geschickt. John hatte die Exkommunikation abgestreift und sich den Papst zum Verbündeten gemacht. Und mal ehrlich: Wen sollte es später noch interessieren, dass John sein England nur als Lehen vom Papst erhalten hatte? Eine ähnliche Erklärung hatte sein Bruder Richard auch gegenüber Kaiser Heinrich VI. gemacht, um aus der Gefangenschaft freizukommen.



    Hochzufrieden ließ sich John nach diesem Coup im Mai 1213 ein zweites Mal krönen und ließ zur Feier des Tages den Prediger Peter, der ihn öffentlich verhöhnt hatte, gemeinsam mit dessen Sohn aufhängen. Aufgelöst wurde der Bann offiziell im Juni 1214, erst da waren alle Rückstände an Innozenz III. bezahlt. Erst dann wurden die Kirchentüren geöffnet, das Te Deum gesungen und die Glocken wieder geläutet. Und mit der freundlichen Erlaubnis des Papstes durfte Christus wieder nach England.

    Weil John den harten Griff um die englische Kirche hatte lockern müssen, packte er nun bei seinen Adeligen umso fester wieder zu. Sein Ziel war immer noch der Feldzug in Frankreich. Aber die Barone weigerten sich, mitzumachen und wurden nur durch das beherzte Einschreiten des Erzbischof von Canterbury, Stephen Langton, vor Johns Zorn (sprich: dem Galgen) geschont. Die unwilligen Barone wurden geschont und mussten für Johns Krieg zahlen. In der Konsequenz knüpften sie mit dem Erzbischof ein Band, über das der König wenig später noch stolpern sollte.



    Im Jahre 1214 bekam der König endlich seinen ersehnten Revanchekrieg gegen Frankreich. Zu seinem „Festlandsdegen“ hatte John nämlich den deutschen Kaiser Otto IV. gewonnen, seinen Neffen aus dem Haus der Welfen. Die beiden hatten in Papst Innozenz III. einen gemeinsamen Gegner, und Otto musste sich in Deutschland neuerdings mit Friedrich II. einem gefährlichen Thron-Konkurrenten aus dem Haus der Staufer erwehren. Der Staufer wurde vom französischen König Philippe II. großzügig mit Geld unterstützt. Hier schloss sich quasi der Kreis, was die Parteizugehörigkeiten angeht. Den Anlass für das entscheidende Aufeinandertreffen gab das abtrünnige Flandern, das sich dem französischen König widersetzte. Philippe II. marschierte mit seinem Heer an der flandrischen Grenze auf, auf der anderen Seite die Flandern sowie Ottos Heer (John nahm nicht persönlich an dem Feldzug teil, er unterstützte den militärisch deutlich mehr begabten Otto IV. mit Geld).

    Die bei dem Dorf Bouvines gelegene Brücke über den kleinen Wasserlauf der Marque musste unweigerlich von den kaiserlichen Truppen passiert werden, um französischen Boden zu betreten. Genau dorthin wandte sich Philippe, um dem Feind den Weg zu versperren. Am 27. Juli 1214 trafen die beiden Heere aufeinander. Es war Sonntag, der Tag des Herrn, an dem eigentlich nicht gekämpft werden durfte. Doch Philippe II. schien, vielleicht mit Hilfe des Überraschungseffekts, gegen Ende des Vormittags die Situation forciert und den entscheidenden Funken an das Pulverfass gelegt zu haben. Zu Beginn verlief der Kampf eher konfus und ungewiss. Philippe II. selbst, der sich ins Getümmel gestürzt hatte, wurde an einem bestimmten Punkt aus dem Sattel geworfen und riskierte sein Leben. Doch durch ihre bessere Organisation gelang es der schweren Reiterei der Franzosen, sich gegen die gegnerischen Ritter ebenso durchzusetzen wie gegen die zahlreichen Fußsoldaten, die diese begleiteten, so dass der Kaiser – ebenfalls vom Pferd gestürzt – gezwungen war, vom Feld zu fliehen, beschützt von einer Gruppe sächsischer Ritter.

    Den letzten Widerstand im kaiserlichen Heer leistete eine vom Grafen von Boulogne befehligte Abteilung flämischer Fußsoldaten, die mit Piken bewaffnet den französischen Rittern lange Paroli bieten konnte. Erst als es Abend wurde, mussten auch sie aufgeben. Der Sieg Philipps II. auf dem Schlachtfeld hatte enorme politische Auswirkungen auf dem politischen Parkett Europas. Dem französischen König gelang es, die englische Präsenz auf dem Festland zu schwächen und vor allem seine politische Autorität dem Adel gegenüber zu stärken: Damit waren die ersten entscheidenden Schritte zur Gründung des französischen Staates getan.

    Otto IV. Schicksal war durch die Niederlage bei Bouvines besiegelt, der Kaiser war isoliert. Im Jahr darauf wurde der Staufer Friedrich II. vom Papst als künftiger Kaiser anerkannt. Ohne den Sieg Philipps wäre Friedrich nie auf den Thron gelangt. Papst Innozenz III. war ebenfalls indirekter Gewinner der Schlacht bei Bouvines: der eigenwillige Otto IV. war zu Fall gebracht worden und der Papst konnte erneut als „Kaisermacher“ agieren.

    John Lackland dagegen hatte nicht nur einen großen Teil seiner erst kürzlich von Philippe zurückeroberten französischen Lehen verloren, seine Autorität wurde massiv von der englischen Aristokratie in Frage gestellt. Nur wenige Monate später musste John einem demütigenden Waffenstillstand mit Philippe II. zustimmen und 40.000 Pfund Reparationen an ihn zahlen.

    Übel gelaunt kehrte John als geschlagener Feldherr nach England zurück. Dort saßen händereibend seine Gegner, denen zu einem guten Teil aufgrund des Kompromisses zwischen John und Innozenz die Rückkehr nach England ermöglicht worden war. Es roch nach einem Aufstand, dem sich auch die Waliser anschließen wollten. John musste etwas gegen die drohende Revolte unternehmen, aber nach seinem französischen Abenteuer und der Entschädigung der Kirche war er pleite. John konnte seine Söldner nicht mehr bezahlen.



    Er hatte die eher unkluge Idee, seine Probleme mit der Erhebung einer Sondersteuer zu lösen. Das brachte bei den Lords das Fass zum Überlaufen, die Rebellion gegen den König brach offen aus. Sie kündigten John die Gefolgschaft und rüsteten für den Bürgerkrieg.



    Der König war derart verhasst, dass er in England kaum noch Verbündete fand und klein beigeben musste. Am 15. Juni 1215 unterzeichnete John auf Druck seiner Barone eine Freiheitsurkunde, welche die gegenseitigen Rechte und Pflichten von König und Adel festschrieb und die aufgrund ihrer Länge „Magna Charta“ genannt wurde. Für die Erhebung von Steuern, richterliche Entscheidungen wie Hinrichtungen und sowieso für Entscheidungen über Krieg und Frieden benötigte der König künftig die Zustimmung des Rats aus geistlichen und weltlichen Lords. Der Charta zufolge war der König wie alle freien Menschen dem Gesetz unterworfen, und die Gesetze sollten nicht geheim sein, sondern bekannt.

    John, nun ein frommer Katholik, informierte umgehend seine Heiligkeit. Als Innozenz III. davon hörte, rief er aus: „Bei Petrus, wir können diese Beleidigung nicht ungestraft lassen.“ Dieses Dokument, oft die Grundlage der englischen Freiheitsrechte genannt, wurde vom Papst förmlich „gegen das moralische Gesetz“ verdammt. Der König, erklärte er, sei keineswegs Baronen und Volk untertan. Er sei nur Gott und dem Papst untertan. Von solchen Worten ermutigt, focht John die Magna Charta an und führte nun doch Krieg gegen seine Adligen – und das sogar erfolgreich. Isoliert saßen die Rebellen in London fest und ersuchten den französischen Thronfolger Louis um Hilfe. Ja, sie boten ihm sogar die englische Krone an – Louis' Frau war eine Enkelin von Henry II. - wenn er nur den Tyrannen John besiegen würde. Das Angebot kam Louis recht, denn er war ein kriegstüchtiger junger Ritter. Er behauptete, John habe seine Krone durch den Mord an seinem Neffen Arthur verwirkt und setzte im Mai 1216 (gegen das ausdrückliche Verbot des Papstes) mit einem Heer nach England über. Im Norden fiel der neue, junge König Alexander von Schottland in England ein, im Westen rüsteten die Waliser zum Kampf. John stand militärisch wie politisch mit dem Rücken zur Wand. Er hastete mit den letzten Getreuen von einem Brandherd zum nächsten. Er erreichte zwar nichts, richtete aber unter der einfachen Bevölkerung noch mehrere Blutbäder an.

    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    • Dateityp: jpg 110.jpg (169,1 KB, 185x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 111.jpg (259,3 KB, 182x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 112.jpg (109,7 KB, 183x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 113.jpg (571,4 KB, 181x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 114.jpg (648,9 KB, 184x aufgerufen)
    Übersicht meiner bisherigen und laufenden Storys hier im Forum

    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  11. #236
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
    Registriert seit
    03.01.02
    Ort
    Remscheid
    Beiträge
    5.326

    Die Wehen der neuen Epoche

    Am 9. Oktober 1216 erkrankte der König plötzlich an heftigem Durchfall und schaffte es zumindest noch bis ins sichere Newark, das noch fest in der Hand der Königstreuen war. Aber in der Nacht auf den 19. Oktober starb John. „So grauenhaft die Hölle auch sei“, schrieb ein Chronist zum Nachruf, „wird sie nun, da John dort ist, noch viel grauenvoller sein.“



    John hinterließ eine muntere Schar von Kindern, die er gemeinsam mit seiner Frau Isabella von Angouleme gezeugt hatte. Henry, der Älteste, war noch ein Kind, als sein Vater starb. In aller Eile wurde er am 28. Oktober 1216 – also neun Tage nach Johns Tod – gekrönt, um den Rebellen und dem französischen Prätendenten etwas entgegenzusetzen. Dem kleinen Henry muss das alles wie ein böser Traum vorgekommen sein. Aber seiner Mutter fiel nichts besseres ein, als ein gutes halbes Jahr nach der Krönung zu verschwinden, in ihre südfranzösische Heimat zurückzukehren und sowohl Henry III. als auch seine kleinen Geschwister einem höchst ungewissen Schicksal zu überlassen.



    Der Junge hatte Glück, dass sein nächster Regent ein mehr vertrauenswürdiger Mann war: Der betagte William Marschall hatte bereits zu Zeiten von Henrys gleichnamigen Großvater der Krone loyal gedient. Es war die Chance für einen Neuanfang, denn alle Parteien in England schätzten ihn gleichermaßen. Marschall besiegte nicht nur die Rebellen, er zerschlug auch die Träume des französischen Prinzen Louis, den englischen Thron zu besteigen. Der ließ sich mit einem Schmiergeld auszahlen und kehrte nach Paris zurück, wo er 1223 seinen Vater Philippe II. auf dem Thron beerben sollte.

    Der loyale William Marschall war dem kleinen Henry III. ein echter Vaterersatz. Kein Wunder, wenn man bedenkt, was für einen leiblichen Vater der junge König gehabt hatte. Marschall starb allzu bald (1219) und es sollte sich in der Folge zeigen, dass Henry III. sein Leben lang auf der Suche nach einem Vaterersatz sein würde. Wirklich „mündig“ wurde er nie – mit entsprechenden Konsequenzen für England, das sich in den folgenden Jahrzehnten mit sich selbst beschäftigte und auf der internationalen Bühne wenig Gewicht haben sollte.
    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    • Dateityp: jpg 115.jpg (306,8 KB, 185x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 116.jpg (599,3 KB, 187x aufgerufen)
    Geändert von Mark (13. August 2017 um 11:36 Uhr)
    Übersicht meiner bisherigen und laufenden Storys hier im Forum

    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  12. #237
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
    Registriert seit
    03.01.02
    Ort
    Remscheid
    Beiträge
    5.326

    Die Wehen der neuen Epoche



    3. „Ein Ausbund an Verderbtheit und das Werk der Hölle“ - der Vierte Kreuzzug (1202-1204)

    Am 8. Januar 1198 wurde Lotario de Conti di Segni zu Papst Innozenz III. gewählt. Mit 37 Jahren zählt er bis heute zu den jüngsten Amtsinhabern. Während seines ereignisreichen Pontifikats (1198-1216) erreichten die Kreuzzüge eine neue Intensität und Vielfalt, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis: Die Feinde der Kirche, innerhalb wie außerhalb der Christenheit, wurden identifiziert, herausgefordert und in manchen Fällen auch besiegt. Innozenz war überzeugt, dass die Gläubigen den Verlust Jerusalems und das Scheitern des Dritten Kreuzzugs rückgängig machen konnten. Unter seinem Pontifikat zielte der Kreuzzugsgedanke aber auch in neue Richtungen: unter anderem gegen Ketzer in Südfrankreich (Albigenser) und gegen politische Gegner des Papsttums in Süditalien.



    Die Kreuzzüge, die Richard Löwenherz und Heinrich VI. 1191 bzw. 1197 angepackt hatten, waren nicht sonderlich von Erfolg gekrönt gewesen. Innozenz III. musste sich nun, im Jahre 1200, vor allem mit den Franzosen zusammensetzen, wenn er Jerusalem zum Ziel eines neuen, des vierten Kreuzzugs, machen wollte. Denn in England und Deutschland waren nach dem Tod der Herrscher innenpolitische Unruhen ausgebrochen. Im Frühjahr 1200 trafen sich die Planer des Kreuzzugs in Soissons und fällten bei ihren Beratungen eine folgenschwere Entscheidung: Sie beschlossen, in die Levante zu segeln, und wandten sich, weil Pisa und Genua gegeneinander Krieg führten, an die dritte damalige Seemacht, die Venezianer. Im März 1201 traf eine Delegation der Kreuzfahrer in Venedig ein, um die Bedingungen für eine Überfahrt auszuhandeln. Sie begegneten dort einer der faszinierendsten Figuren der mittelalterlichen Geschichte: dem Dogen Enrico Dandolo, einem über neunzigjährigen Mann, der seit mindestens zwei Jahrzehnten blind war.



    Trotz seiner Behinderung war Dandolo eine Persönlichkeit von gewaltiger Tatkraft, dessen Verhalten auf dem Feldzug ihm sowohl großes Lob als auch scharfe Kritik eintragen sollte. Dandolo regierte Venedig seit 1192 und war mit Sicherheit ein erfahrener und tüchtiger Politiker. Nach einigen Tagen Bedenkzeit stellten die Venezianer ihre Bedingungen auf die Anfrage der Kreuzfahrer. Es ging um die Gestellung von Transportschiffen für ein Heer von 4.500 Rittern und 20.000 Mann Fußtruppen samt der Pferde, die dazugehörigen Knappen und neun Monate Proviant für die Gesamtheit des Heeres. Zum Schutz der Überfahrt kamen „um Gottes Liebe“ fünfzig bewaffnete Galeeren hinzu. Der Preis, den die Venezianer hierfür aufriefen, belief sich auf 85.000 Mark, wovon 5.000 Mark direkt anzuzahlen waren – und die Kreuzritter sagten zu. Der Betrag war gigantisch, er entsprach dem doppelten Jahreseinkommen der englischen und französischen Krone. Und das, ohne dass ein größerer Monarch mit seinen Truppen an dem Kreuzzug teilnahm. Die Stadt Venedig war über ein Jahr lang komplett ausgelastet, um diesen gewaltigen Auftrag zu realisieren.



    Schon jetzt gab es eine geheime Absprache zwischen der Führung des Kreuzzugs und dem Dogen, den Kreuzzug mit einem Angriff auf Ägypten statt dem Heiligen Land zu beginnen. Man wollte Ägypten als Zwischenstation auf dem Weg nach Jerusalem nutzen. Eine vernünftige Strategie und beträchtliche finanzielle Anreize steckten hinter dem Plan. Die schier unerschöpflichen Ressourcen Ägyptens boten dem christlichen Militär ungeahnte Möglichkeiten, zugleich würde die Kontrolle der Küstenlinie die Sicherheit der fränkischen Schifffahrt garantieren. Die Venezianer konnten ihrerseits nicht der verführerischen Aussicht widerstehen, die dominierende Handelsmacht in Alexandria zu werden. Sie wussten, dass die Stadt später in EU4 einen wichtigen Handelsknoten darstellen würde. Im Jahre 1200 wickelte Venedig nur 10% seines Handelsvolumens in Alexandria ab, Genua und Pisa waren dort viel stärker vertreten. Der Papst missbilligte Geschäfte mit den Muslimen, insbesondere mit Kriegsmaterial wie Eisen und Holz, aber im Vorfeld des Kreuzzugs wollte Innozenz es sich nicht mit Venedig verscherzen und ließ den Handel mit nichtmilitärischen Waren zu.

    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    • Dateityp: png 202.png (36,2 KB, 177x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 200.jpg (150,7 KB, 173x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 207.jpg (214,8 KB, 175x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 201.jpg (451,7 KB, 171x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 205.jpg (626,7 KB, 175x aufgerufen)
    Übersicht meiner bisherigen und laufenden Storys hier im Forum

    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  13. #238
    yay! Avatar von Setcab
    Registriert seit
    18.01.09
    Beiträge
    4.700
    Sie/Ihr

    Storys:
    (Civ 4 BASE 5.0): Die Geschichte des römischen Reiches (abgeschlossen)
    (Civ 4 BASE 6.0): Das Reich der Mitte auf dem Weg durch die Geschichte (abgebrochen)

  14. #239
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
    Registriert seit
    03.01.02
    Ort
    Remscheid
    Beiträge
    5.326

    Die Wehen der neuen Epoche

    Weil im Mai 1201 der bisherige Anführer des Kreuzzugs starb, musste man sich einen neuen suchen. Die Wahl fiel auf Bonifaz, den Marquis von Montferrat. Seinen Brüdern waren wir schon begegnet: Wilhelm Langschwert (kurzzeitig der Ehemann von Sybille von Jerusalem) und Konrad Montferrat, den die Assassinen im Jahr 1192 ermordet hatten.



    Den Rest des Jahres 1201 und 1202 kamen die Kreuzzugspredigten und die Vorbereitungen allmählich in Gang. Nebenher kam es zu Weihnachten 1201 in Hagenau zu einer Begegnung zwischen Bonifaz und Philipp von Schwaben, dem deutschen König. Bonifaz traf bei Philipp dessen Schwager Alexios an, Prinz von Byzanz. Der reiste zu der Zeit in Europa umher, um Unterstützer dazu zu überreden, ihm und seinem Vater wieder zu ihren rechtmäßigen Stellungen zu verhelfen. Alexios' Onkel hatte einige Jahre zuvor selbst nach der Macht gegriffen und die beiden ins Gefängnis geworfen. Während Alexios' gestürzter Vater im Kerker geblendet wurde und dort versauern musste, war dem Prinzen dagegen die Flucht gelungen. Seine inständigen Bitten in Deutschland blieben auf emotionaler Ebene zwar nicht ohne Wirkung, aber schon Philipps Bruder und Vorgänger Heinrich VI. hatte für die Familie von Alexios wenig übrig gehabt: Die Angelos hatten ihrerseits die vorherige Dynastie erbarmungslos abgesetzt und sich gar mit Saladin verbündet gehabt. Es gab also wenig Interesse daran, den Bitten des Alexios zu folgen.



    Im Frühjahr und Sommer 1202 trafen die nordfranzösischen Kreuzfahrer nach und nach in Venedig ein – besser gesagt bei Venedig. Dandolo quartierte sie in weiser Voraussicht außerhalb der Stadt, damit sie dort keine Unruhe stiften konnten. Die Zahl der Eintreffenden enttäuschte jedoch, im August waren es erst 12.000 der vereinbarten 35.000 Mann. In Venedig machte man sich Sorgen, dass der ganze Plan scheitern würde und alle Opfer, die man sich abverlangt hatte, umsonst waren. Dandolo richtete eine klare Botschaft an die Kreuzfahrer: Entweder Venedig würde für seine Investitionen und zwischenzeitlich entgangenen Gewinne vollständig bezahlt, oder der Nachschub an Verpflegung würde gestoppt. So unter Druck gesetzt, legten die Anführer des Kreuzzugs ihr Geld zusammen, es fehlten aber immer noch 34.000 Mark. Der Ruf beider Seiten stand auf dem Spiel: Dandolo hatte seine Bürger auf den Vertrag verpflichtet, der nun zu einem Minusgeschäft zu werden drohte. Und die Kreuzfahrer hätten womöglich unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren müssen. Was für eine Blamage wäre das, nachdem man zuvor doch feierlich das Gelübde zur Befreiung Jerusalems abgelegt hatte. Der September 1202 kam, die Herbststürme standen ins Land, schlechte Voraussetzungen für einen Start in die See. Was also tun?



    Dandolo machte der verschuldeten Streitmacht vor seinen Toren einen Vorschlag: Man könne doch zunächst die kroatische Stadt Zara (heute: Zadar) überfallen, die 165 Seemeilen südöstlich von Venedig lag. Die Zaraner waren früher Untertanen Venedigs gewesen, hatten aber dessen Herrschaft abgeschüttelt. Die Sache hatte nur zwei Haken: Die Zaraner waren Christen, und ihr derzeitiger Herr, König Bela III. von Ungarn, war selbst Kreuzfahrer. Nominell standen seine Territorien also unter dem Schutz der Kirche und durften gar nicht angegriffen werden – schon gar nicht von anderen Kreuzfahrern. Da sich die Führer der Expedition über die höchst umstrittene Rechtmäßigkeit dieses Vorhabens im Klaren waren, beschlossen sie, den Truppen das Ziel vorerst zu verschweigen, und gaben nur den Befehl zur Abreise.



    Die einfachen Kreuzfahrer waren froh, dass es endlich losging, inbrünstig gingen sie an Bord der venezianischen Schiffe. Der Augenzeuge Robert von Clari beschrieb die mit Wappen und Flaggen geschmückte Flotte von fast zweihundert Schiffen so: „Es ist der prächtigste Anblick seit Anbeginn der Welt.“

    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    • Dateityp: jpg 203.jpg (261,8 KB, 143x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 204.jpg (222,0 KB, 143x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 206.jpg (598,0 KB, 144x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 208.jpg (644,2 KB, 142x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 209.jpg (574,9 KB, 143x aufgerufen)
    Übersicht meiner bisherigen und laufenden Storys hier im Forum

    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  15. #240
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
    Registriert seit
    03.01.02
    Ort
    Remscheid
    Beiträge
    5.326

    Die Wehen der neuen Epoche

    Der Papst in Rom, der von der Abänderung des Ziels erfahren hatte, sah das ganz anders. Er beauftragte seinen Legaten Peter von Capuano, den Angriff zu verbieten und den Kreuzfahrern bei Ungehorsam die Exkommunikation anzudrohen. Peter, der vor Ort von den ganzen Schwierigkeiten alles live mitbekommen hatte, entschied sich, die Haltung des Heiligen Vaters vor den Kreuzfahrern zu verschweigen. In seinen Augen hatte es oberste Priorität, dass der Kreuzzug überhaupt begann. Innerhalb des Kreuzfahrerheeres gab es auch so eine Spaltung. Der Adelige Simon von Montfort war gegen den Abstecher und teilte den Zaranern mit, kein französischer Soldat werde die Waffen gegen die erheben, Zara solle venezianische Forderungen nach einer Unterwerfung ruhig zurückweisen. Dandolo bekam das natürlich mit und wurde wütend. Am 13. November 1202 begann die Belagerung von Zara mit Türmen, Katapulten und der gefährlichsten Waffe, dem Tunnelbau. Der Aufmarsch war so beeindruckend, dass Zara rasch über die Bedingungen einer Übergabe der Stadt verhandeln wollte. Ende 1202 war die Sache bereits über die Bühne gebracht, der Kreuzzug hatte seine Schulden bei den Venezianern zumindest teilweise beglichen.



    Der moralische Preis indes wog viel schwerer. Papst Innozenz machte seine Drohung der Exkommunikation wahr und schrieb an die Kreuzfahrer: „Hütet euch, aus eurem Gold ist einfaches Metall geworden, und euer Silber ist inzwischen fast völlig verrostet, da ihr von der Reinheit eures Plans abgekommen seid.“ Die Kreuzfahrer mussten sowieso bei Zara überwintern und schickten in der Zwischenzeit Gesandte zum Papst, um ihn zu beschwichtigen.

    Währenddessen trafen Botschafter des Prinzen Alexios in Zara ein. Sie brachten einen sorgfältig ausgewogenen Vorschlag, der geschickt eigens auf die Bedürfnisse und Interessen aller Beteiligten des Kreuzzugs abgestimmt war. Alexios begehrte, mit Hilfe der Kreuzritter wieder nach Konstantinopel, auf den Kaiserthron, zurückkehren zu können. Als Gegenleistung bot er an, das orthodoxe Byzanz unter den Gehorsam des katholischen Rom zu bringen. Ein frommer Christ müsse eine solche Mehrung für die Mutter Kirche doch gut finden, oder? Und der Papst müsse erst recht erfreut sein über das Ende des Schisma und würde sich gegenüber den Kreuzfahrern dann sicher großzügig erkenntlich zeigen, da wären doch bestimmt 200.000 Mark für sie drin. Mehr als genug, um dann den Kreuzzug nach Ägypten fortzusetzen! Das hörte sich verdammt gut an, der Haken daran war nur, dass Konstantinopel sicherlich mit Gewalt eingenommen werden musste, um Alexios auf den Thron zu setzen. Also wieder Kampf gegen eine christliche Stadt? Die Franzosen unter Simon von Montfort sagten dazu Nein und beschlossen, alleine direkt ins Heilige Land zu segeln. Die übrigen Kreuzritter folgten dem Dogen Dandolo, der von dem Plan sehr angetan war. Schließlich winkte in Konstantinopel fette Beute und nach so einem Umsturz und der Unterstellung unter Rom würde Byzanz als Venedigs Konkurrent im Seehandel auf lange Sicht ausfallen.



    Papst Innozenz reagierte mit der Aufhebung der Exkommunikation unter Vorbehalt und ermahnte die Kreuzfahrer mit der schwammigen Bemerkung, sie dürften „die Länder von Christen nicht feindlich betreten oder ihnen Schaden zufügen, außer wenn sie euren Zug böswillig behindern wollen oder ein anderer notwendiger oder gerechter Anlass sich ergeben sollte.“ Alles klar, sagten sich die Kreuzfahrer: Wenn sich ein „notwendiger oder gerechter Anlass“ ergeben sollte, werden sie daran denken. Von da an richtete sich der Kreuzzug gegen Konstantinopel. Als die Flotte der Kreuzfahrer im Mai 1203 vor Konstantinopel ankam, schwante den Männern erst, worauf sie sich so selbstbewusst eingelassen hatten.



    Die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches war mit 350.000 Einwohnern und seinen unvergleichlichen Befestigungsanlagen eine der gewaltigsten Metropolen der Welt. Zunächst versuchte man es damit, den Einwohnern von Konstantinopel den Prinzen Alexios zu präsentieren. Alexios hatte nämlich behauptet, dass seine Landsleute ihn glücklich empfangen würden, froh, die Tyrannei des Alexios III. abschütteln zu können. Nichts dergleichen geschah, die Byzantiner auf den Mauern der Stadt reagierten gleichgültig, als der Prinz von außerhalb der Stadt das Wort ans sie richtete. Der junge Mann war hier weder großartig bekannt noch geschätzt, die Leute hatten bereits Winde davon bekommen, dass der Prinz ihre Freiheit an den Papst verschachern wollte. Niedergeschlagen kehrten die Kreuzfahrer mit dem gedemütigten Prinz Alexios in ihr Lager zurück. Dann also Kämpfen.

    Die Belagerung einer flächenmäßig so großen Stadt war illusorisch, Konstantinopel hatte zudem einen schwer bewachten Hafen, konnte also auf sicherem Seeweg mit Nachschub versorgt werden. Die Festung war einfach perfekt am Bosporus gelegen. Das Kreuzfahrerheer dagegen hatte nur begrenzt Proviant zur Verfügung, es musste also schnell eine Entscheidung her. Und tatsächlich: Überraschend und mit viel Tapferkeit errangen die Angreifer taktische Siege, setzten die Griechen an den Mauern und zur See unter erheblichen Druck. Der Ostteil der Stadt ging rauchend in Flammen auf, nur der Einsatz der elitären Waräger-Garde verhinderte Schlimmeres für den Kaiser.



    Alexios III. entschloss sich zu handeln und führte sein Heer vor die Stadt, um den Gegner zur Schlacht an der Nordmauer aufzufordern. Die Westeuropäer blickten entsetzt auf die Zahl der byzantinischen Streitmacht (mehrere Tausend), während die Katholiken nur noch 500 Ritter, weitere 500 Reiter und 2.000 Fußsoldaten hatten. Bei den Kreuzfahrern machten sich Unordnung und Flucht bemerkbar, da zog Alexios III. überraschend sein Heer wieder in die Stadt zurück – warum auch immer.

    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    • Dateityp: jpg 210.jpg (754,2 KB, 127x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 211.jpg (141,0 KB, 123x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 212.jpg (564,6 KB, 124x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 213.jpg (285,1 KB, 124x aufgerufen)
    • Dateityp: jpg 214.jpg (202,3 KB, 123x aufgerufen)
    Übersicht meiner bisherigen und laufenden Storys hier im Forum

    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

Seite 16 von 45 ErsteErste ... 612131415161718192026 ... LetzteLetzte

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •